Genderwahn und unisexuelle Erziehung

Gestern war internationaler Frauentag, und wie im letzten Gastbeitrag von Tina Voggenreiter, werden die Frauen in unserer westlichen Welt an einem solchen Tag eher mit kommerziellen Angeboten überschüttet … als gäbe es eine tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter in Deutschland (auch wenn es für einige Effekte Erklärungen gibt). Die mediale Berichterstattung war leider von typischen Luxusproblemen der westlichen Industrienationen geprägt, anstatt sich etwas mehr auf die bestehenden Missstände hier oder auch international zu konzentrieren. Vielleicht ging da aber auch einiges an mir vorbei, denn ich neige in Sachen Fernsehen ja eher zu den öffentlich-rechtlichen Satiresendungen und Dokumentationen.

Was mir allerdings in ähnlicher Sache schon ab und an die Falten auf die Stirn treibt, ist die teilweise abenteuerliche Debatte über Anerkennung aller möglichen Geschlechter und sexuellen Gesinnungen (Mundart: „Genderwahn“). Allein Geschlecht und sexuelle Gesinnung in einen Topf zu werfen scheint mir schon so am Ziel vorbei zu gehen!? Okay, ich gehöre praktisch zu den „alten weißen Männern“ (wie Enno Park auf Deutschlandfunk Kultur zum Besten gab), aber wozu die Bevölkerung noch weiter spalten, als es der neoliberale und rein egoistische Trieb der Spitzenpolitiker (und ihrer Schergen) bereits seit Jahren tut? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum man heute Hartz-IV-Empfänger und Flüchtlinge aufeinanderhetzt: immer schön von der eigenen Unfähigkeit und Mitschuld ablenken.

Gerade vor ein paar Tagen sah ich eine vielschichtige Dokumentation „Re: Junge? Mädchen? Egal!“ (nur bis 27. 3. 2018 in der arte-Mediathek, jetzt auf YouTube) über eine geschlechterneutrale Erziehung in Schweden. Dort werden Kinder im Kindergarten weder als Jungen noch als Mädchen behandelt, sondern es wird die neutrale Form „das Kind“ gewählt. Das bedeutet nicht, dass man die Kinder alle zu unisexuellen Erwachsenen erzieht, sondern ihnen nur während ihrer frühkindlichen Prägung mehr Raum für die eigenen Interessen und Vorlieben einräumt. Der Ansatz ist verständlich, und tatsächlich sind die Interessen der Kinder breiter gestreut, und die Geschlechter spielen bis ins höhere Alter miteinander.

Was allerdings hierzulande als Diskussion die Runde macht, scheint mir oft mit überspitzter Nadel gestrickt: von Unisex-Ampeln über transsexuellen Toiletten bis zur beidgeschlechtlichen Schreibform von Worten (Doktorinnen und Doktoren oder gar DoktorInnen). Auch hier: Hauptsache Klein-Klein und Gesellschaft spaltend.

Richtig verwundert hat mich allerdings ein Dokument der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung). Unter dem Titel „Standards für die Sexualaufklärung in Europa“ hat diese ein 72-seitiges Papier veröffentlicht, das eng mit der WHO abgestimmt ist. Klingt erst einmal nicht verkehrt, aber die Tabellen mit Empfehlungen ab Seite 41 haben es dann schon in sich: Für 0- bis 4-Jährige wird bei der Aufklärung z. B. in Sachen „Sexualität“ eine „… frühkindliche Masturbation“ oder „lustvolle Erfahrung körperlicher Nähe als Teil des menschlichen Lebens“ empfohlen. Okay, dass man mit frühkindlicher Masturbation irgendwie umgehen muss (die fassen sich nun mal auch im Genitalbereich an), aber eine Anleitung in die Richtung? Bei den „lustvollen Erfahrungen“ setzt es bei mir endgültig aus. Da gehöre ich wohl wieder zu den alten weißen Männern.

Um also noch einmal an den Titel anzuknüpfen: Das eine hat mir dem anderen kaum etwas zu tun. Eine differenzierte Betrachtung lohnt sich auch bei dem Thema, ohne gleich komplett abzuwinken. Jede und jeder sollte sich sein Geschlecht selbst definieren können, solange man sich noch entscheiden kann, auf welche Toilette man nun geht. Und was die sexuelle Gesinnung angeht, das steht auf einem anderen Blatt. Und ein wenig besser das „andere Geschlecht“ zu verstehen kann einer (zwischenmenschlichen) Beziehung sicher kaum schaden …

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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