Ohnmacht und Autonomieverlust

Ohnmachtsgefühle bzw. deren Äußerung begegnet einem heute ja immer öfter. „Man kann ja eh nichts machen als Einzelner“ oder „Die Politiker machen doch eh, was sie wollen“ sind typische Aussagen, aus denen eine gehörige Portion Resignation spricht. Natürlich gibt es schon gute Gründe, so zu empfinden, aber ich habe dennoch das Gefühl, dass hier einige verstärkende Impulse mit hinzukommen: In unserem alltäglichen Handeln erfahren wir nämlich zum einen ständige Ohnmachtserlebnisse, zum anderen einen immer größer werdenden Verlust von Autonomie, beides zu einem erheblichen Teil bedingt durch Digitalisierung und Technisierung.

Wir erfahren tagtäglich unsere eigene Ohnmacht auf verschiedenen Ebenen, so zum Beispiel gegenüber Konzernen, gerade wenn diese Monopolisten sind. Nehmen wir nur mal die Post: Immer öfter hört man, dass Zustellungen nicht oder reichlich verspätet ankommen – und als Empfänger hat man  keine Chance, etwas dagegen zu machen. Klar, man kann bei der Hotline anrufen und sich beschweren, aber wer das schon mal gemacht hat, weiß, dass man dort von den Callcenter-Mitarbeitern mit ein paar Floskeln abgespeist wird und sich letztlich nichts ändert. Und die Post ist ja nun nicht das einzige Unternehmen, das mit ausgelagerten Callcentern arbeitet, die verhindern, dass wir tatsächlich mit denjenigen sprechen können, denen wir etwas sagen möchten.

Auch Nestlé ist so ein Beispiel. Viele haben sehr zu Recht gar keinen Bock mehr auf diesen fiesen Konzern und würden es gern vermeiden, dessen Produkte zu kaufen. Das ist allerdings nicht ganz so einfach, denn es steht nicht überall Nestlé drauf, wo auch Nestlé drin ist, denn die haben mittlerweile so viele Produkte und kleiner Firmen übernommen und aufgekauft, dass es schon nicht ganz leicht ist, auf Nestlé zu verzichten. Und wenn man dann irgendwann feststellt, dass ein Produkt, was man gern gekauft hat, nun auch zu Nestlé gehört, dann fühlt man sich so einem Konzern gegenüber schon etwas ohnmächtig.

Auch der sogenannte Dieselskandal zeigt den Autokäufern auf, wie wenig sie selbst Einfluss nehmen können. Sie wurden betrogen, aber der Betrüger muss nicht dafür haften, sondern die Autofahrer selbst sehen sich mit der Androhung von Fahrverboten in Innenstädten gegenüber.

Dazu kommt generell, dass immer offensichtlicherer Lobbyismus und enorme PR-Mittel, die den Konzernen zur Verfügung stehen, Ohnmachtsgefühle verstärken. Wie soll man da als „einfacher Bürger“ bei der Politik auch Gehör finden, wenn einem diese Ressourcen und Wege nicht zur Verfügung stehen?

Aber auch die Dinge, die wir im Alltag benutzen, bescheren uns den Eindruck, ihnen recht ohnmächtig gegenüber zu stehen, denn wir verstehen viele Dinge in ihrer Funktionsweise einfach nicht mehr. Wenn die dann mal kaputtgehen oder nicht das machen, was sie sollen, dann können wir den Schaden oft nicht selbst beheben, ja, noch nicht mal abschätzen, ob sich nun eine Reparatur lohnt oder nicht. Selbst als nicht gerade handwerklich geschickter Mensch konnte ich beispielsweise bei meinen ersten Autos noch selbst eine kaputte Scheinwerferglühbirne wechseln – heute komme ich da überhaupt nicht mehr ran bei meinem Auto und muss dafür dann einen Fachmann aufsuchen.

Auch der Gebrauch entzieht sich zunehmend unserem eigenen Einfluss: Wenn beispielsweise der Betreiber einer Website, die wir öfter nutzen, meint, deren Design und Funktionen ändern zu müssen, dann müssen wir uns dem zwangsläufig anpassen. Wenn unser Computer, mit dem wir eigentlich noch gut zurechtkommen, aus Altersgründen keine Updates mehr für die genutzten Programm bekommt und neuere Programme darauf gar nicht mehr laufen, dann müssen wir uns einen neuen kaufen. Auch der hemmungslos profitorientierte Umgang mit unseren Daten, die wir auf (gerade aktuell ja im Fokus) Facebook, aber auch auf anderen Seiten hinterlassen, der wenig bis nichts mit Anstand und Datenschutz zu tun hat, erzeugt zu Recht den Eindruck, keinen wirklich Einfluss darauf zu haben, was einem so in der virtuellen Welt geschieht.

Und damit geht es auch schon fließend über zum zweiten Aspekt: des Verlusts und der Abgabe von Autonomie. Dies geschieht nicht nur so, wie gerade beschrieben mehr oder weniger unfreiwillig, sondern wir entledigen uns in immer größerem Maße ganz freiwillig unserer Autonomie und damit auch unserer Fähigkeit zu autonomem Handeln. Ein paar Beispiele:

Für viele ist das Navigationssystem im Auto mittlerweile ein selbstverständlich genutztes Hilfsmittel. In fremden Städten mag das ja auch ganz hilfreich sein, allerdings habe ich den Eindruck, dass sich viele mittlerweile nahezu immer von ihrem Navi durch die Gegend lotsen lassen. Dabei kommt man dann unfreiwillig zuweilen ja auch mal irgendwo hin, wo man gar nicht hinwollte, und die Zeitungsmeldungen von Leuten, die ihrem Navi blind gefolgt und dann in einen Fluss gefahren sind oder denen ähnliche Malheurs passierten, kennt ja nun auch jeder. In jedem Fall gibt man so die Autonomie ab, selbst auf eine Karte zu schauen und sich den Weg rauszusuchen – und viele sind dadurch schon nicht (mehr) in der Lage, überhaupt eine Karte lesen zu können.

Auch die Autokorrektur beim Smartphone führt dazu, dass Menschen ab und zu etwas schreiben, was sie gar nicht wollen, da eben Dinge falsch erkennt werden. Man macht sich so keine Gedanken mehr, wie man etwas schreiben sollte, das Gerät übernimmt das ja für einen. Auch hier verkümmern letztlich eigene Fähigkeiten, die nicht mehr trainiert werden.

Generell ist das Leben auf dem Smartphone-Display, das für viele Menschen einen immer größeren Teil ihrer alltäglichen Lebenszeit einnimmt, mit Inhalten, die uns angezeigt werden (Algorithmen von Facebook und Co. bestimmen, was wir sehen, auch Werbung ist dort omnipräsent), etwas, das zunehmend unsere Autonomie untergräbt. Resultat davon: Wir kaufen in immer größerem Maße das, was wir kaufen sollen, nicht das, was wir tatsächlich brauchen – seinen deutlichsten Eindruck findet das in Produktempfehlungen auf Seiten von Onlinehändlern („Kunden die dies gekauft haben, kauften auch jenes …“). Dieses Phänomen war allerdings schon im Vor-Smartphone-Zeitalter zu beobachten bei Menschen, die den Fernseher zu Hause ganz automatisch angemacht und dann geschaut haben, was ihnen dort gezeigt wird – und nicht etwa, weil sie gezielt eine bestimmte Sendung schauen wollten (das sogenannte Zappen ist ein Ausdruck davon). Nun haben viele ihre „Glotze“ permanent bei sich …

Darüber hinaus bestimmen immer mehr groß beworbene Events, zu denen man halt hingeht, weil eben alle da hingehen, unsere Freizeit. Auch Dinge wie das Formatradio, das zunehmend weniger Auswahlmöglichkeiten bietet, sondern auf allen Sendern so ziemlich das Gleiche bietet, vermindert unsere Autonomie: Es ist egal, welchen Sender man anschaltet, wir bekommen auch hier das präsentiert, was wir toll finden sollen – und Musik, die uns vielleicht viel besser gefallen würde, die aber nicht von einer großen Plattenfirma ins Radio „gedrückt“ wird, bleibt uns als Radiohörern unbekannt.

Natürlich ist der Bürger, der sich ohnmächtig fühlt und dabei noch zunehmend weniger autonom, sondern gelenkt agiert, für Regierung und Konzerne ein angenehmer Geselle: Der nervt nicht rum, sondern hält die Klappe und konsumiert schön, was man ihm vorsetzt.

Und dann kommt auch noch hinzu, dass Ohnmacht und Autonomieverlust letztlich Ignoranz erzeugen, und dies ist ja nun überall und alltäglich zu beobachten (und wird auch von einigen Menschen zunehmend beklagt): Wer den Eindruck hat, nichts ändern zu können, und es gewohnt ist, seine eigenen Handlungsalternativen gar nicht mehr wahrnehmen zu wollen, der interessiert sich eben auch nicht für das, was anderen geschieht – nützt ja eh alles nichts. Dies verstärkt noch die ohnehin schon im Neoliberalismus angelegte Entsolidarsierung und Ellenbogenmentalität, sodass sich auf diese Weise eben auch die teilweise erschreckend empathielosen Äußerungen vieler Zeitgenossen erklären lassen.

Den sogenannten Eliten kommt das alles nur sehr recht, denn derartig dressierte und dem eigenständigen Handeln (und damit auch Denken) entwöhnte Untertanen lassen sich eben jede Schweinerei gefallen, solange man ihnen das Gefühl gibt, dass es ihnen doch noch einigermaßen gut ginge, und sind zudem recht leicht manipulierbar.

Wer darauf keinen Bock hat, sollte zusehen, dass er sich seine Autonomie so weit wie möglich erhält (oder wieder zurückerlangt) und sich trotz eventueller Ohnmachtsgefühle nicht davon abschrecken lässt, Dinge im eigenen Einflussbereich zu ändern, im Kleinen mit gutem Beispiel voranzugehen und nicht zu resignieren. Das ist nicht einfach, aber wert ist es das allemal!

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

3 Gedanken zu „Ohnmacht und Autonomieverlust“

  1. Ja, ich stimme vor allem darin zu, dass unser politisches Establishment darauf gleich zweifach abzielt: politische Frustration (und damit verbunden politisches Desinteresse) und stillschweigendes Konsumieren (für ihren Freund den Lobbyisten von nebenan und ihre spätere Anschlussperspektive).
    Was mich am Smartphone immer wieder verwundert: dass die Leute mit WhatsApp, Facebook und Co. auch selbst etablieren, dass man ja „nicht antworten muss“?! Für Gruppen hilfreich, aber als direkte zwischenmenschliche Kommunikation doch ein Ohnmachts-No-Go schlechthin: keine Antwort bekommen.

  2. Hierzu bekamen wir einen Leserbrief von Heinz Peglau:

    Strike! Genauso ist es und wird es auch bleiben, wenn wir nicht wieder in der Mehrheit kritisch mit dem umgehen, was uns angeboten wird, wenn wir weiterhin denken lassen, als selbst zu denken.

  3. Ein weiterer sehr relevanter Aspekt im alltäglichen Leben vieler Menschen, der vor allem durch Ohnmachtserfahrungen geprägt ist, ist die Miete. Aufgrund des gezielt seit Jahren herbeigeführten Mangels an bezahlbarem Wohnraum (der Mieterverein zu Hamburg mahnt beispielsweise schon seit Anfang des Jahrtausends regelmäßig an, dass viel zu wenig günstige Wohnungen gebaut werden) sind viele Mieter ihren Vermietern recht schutzlos ausgeliefert. Diese können die Miete immer weiter erhöhen, kümmern sich oft nicht um Instandsetzungsmaßnahmen und geben sich ausgesprochen unnahbar oder auch gern ignorant-überheblich.

    Da man nun mal wohnen muss, entsteht so für viele Mieter eine Abhängigkeit von den Launen des Vermieters/der Hausverwaltung, gegen die sie wenig ausrichten können.

    Nun zeigt ein Gastkommentar der SPD-Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe in der taz auf, wie es gehen könnte: mit einem Streikrecht für Mieter, um sich so Gehör zu verschaffen. Gute Idee, von der man hoffen kann, dass der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen schafft, um so der zunehmenden Ohnmacht vieler Menschen in diesem elementaren Lebensbereich entgegenzuwirken.

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