Schwarz-rot-goldene Marionetten

Vor Kurzem hatte ich mit ein paar Freunden eine Diskussion über den sogenannten Partypatriotismus, und da ja nun bald auch wieder das nächste Spektakel in Form der WM im nächsten Sommer ansteht, scheint es mir angebracht, dieses Phänomen ein bisschen eingehender zu betrachten.

Wann ging das denn überhaupt los, dass auf einmal bei öffentlichen Events (zunächst mal in erster Linie beim Fußball, mittlerweile auch bei allen anderen sportlichen oder auch kulturellen Veranstaltungen, zum Beispiel beim Eurovision Song Contest) massenweise Leute mit schwarz-rot-goldenen Devotionalien umherliefen? 2002 bei der Fußball-WM in Japan und Südkorea sorgte es zumindest hier in Hamburg-St. Pauli noch für Erstaunen, als auf einmal, als die Mannschaft der Türkei das Halbfinale erreichte, dies von einigen fahnenschwingenden Türken mit Autokorsos gefeiert wurden. Bei der nächsten WM im Jahr 2006, dem sogenannten Sommermärchen, sah das dann auf einmal ganz anders aus, denn plötzlich versank wie selbstverständlich ganz Deutschland im schwarz-rot-goldenen Taumel. Wie kam es dazu?

Vorbereitet wurde das Ganze meines Erachtens durch die Kampagne Du bist Deutschland, die im Jahr 2005 von Bertelsmann koordiniert wurde. Überall sah man Plakate oder Werbespots, die mit dem Slogan warben, wobei zunächst mal kaum jemandem klar war, was einem denn nun hier verkauft werden sollte. Als dann aber ein gutes halbes Jahr später auf einmal ganz Deutschland die WM im eigenen Lande mit bisher nicht gekannten patriotischen Bekundungen begleitete und dies auch in allen Medien ordentlich abgefeiert wurde, war schnell klar, was mit dieser Kampagne bewirkt werden sollte: Es ging darum, den immer zahlreicher werdenden Verlierern des immer stärker neoliberal ausgerichteten Wirtschaftssystems etwas zu geben, das ihnen eine Identifikation bietet – Opium fürs Volk, sozusagen.

Und dieses Opium wurde auch gleich in ordentlich großen Dosen verabreicht, denn alle berichteten darüber, und das auch ausschließlich positiv. Dabei wurde dann allerdings getrickst, was das Zeug hält, und spätestens bei manipulierter Berichterstattung in den Medien sollte man hellhörig werden. Ein Freund von mir, der 2006 als WM-Helfer tätig war, berichtete mir beispielsweise davon, dass vor den Stadien von Kamerateams Jubelbilder inszeniert wurden von Fans, die dann wieder einfach nur dösig in der Gegend rumstanden, als die Kamera abgeschaltet und der Hier ist ja eine so unglaublich tolle Stimmung-Bericht abgeschlossen war. Und auch als er mir erzählte, dass Bundeswehrsoldaten in entsprechenden Farben gekleidet in den Stadien leere Kurven voll gemacht hätten bei Spielen, die nicht dazu geeignet waren, die großen Stadien komplett zu füllen, drängte sich mir das Bild auf, dass hier dem Medienkonsumenten ein Bild vorgegaukelt werden soll, was so nicht der Realität entspricht. Und auch die Mär von den vollkommen friedlichen Spielen wurde konsequent aufrechterhalten, da eben Störungen nicht ins Bild passten. So habe ich selbst aus dem Wohnzimmerfenster beobachten können, wie sich vor meinem Haus Polizeieinheiten inklusive Wasserwerfern Straßenschlachten mit marodierenden Fußballfans geliefert haben – Berichterstattung dazu in den Medien: Fehlanzeige!

Offensichtlich wurde eine solche Manipulation dann bei der EM 2012 (s. hier), und dies ging dann sogar durch die deutsche Medienlandschaft – allerdings überwiegend mit einer humorigen Note. In der Tat ist es ja nun auch nicht so relevant, was da inhaltlich an einer anderen zeitlichen Stelle präsentiert wurde (die Schelmerei von Trainer Löw mit einem Balljungen), allerdings sollte es einem zu denken geben, dass Fernsehbilder mittlerweile technisch so perfekt und mit einer zunehmenden Selbstverständlichkeit manipuliert werden, dass der Zuschauer nicht mehr unterscheiden kann, was da nun tatsächlich live oder nur Inszenierung ist. Und wenn dann eben über rechtsradikales Auftreten von Fans der deutschen Fußballnationalmannschaft regelmäßig nur ausgesprochen sparsam bis gar nicht berichtet wird (hier mal eine Ausnahme mit einem Artikel in der Zeit über das nationalistische Gebaren deutscher Fans beim Spiel in Schweden im Oktober dieses Jahres), dann drängt sich auch hier der Gedanke auf, dass er nur darum geht, eine schöne, heile Fußballwelt zu suggerieren.

Dieser Aspekt bewirkt dann eine ganz andere Gefahr: Nationalistisches Verhalten wird so akzeptabel gemacht. Auch Fans der deutschen Nationalmannschaft, die nichts mit irgendwelchem rechten Gedankengut am Hut haben, erleben ja, wie andere Fans so auftreten – und tolerieren dies zumindest. Und selbst wenn sie sich darüber aufregen und ein solches Verhalten verurteilen (dies nur eben als Einzelperson gegenüber eine grölenden Horde aus Sorge um die eigene Gesundheit nicht kundtun wollen), so wird durch die fehlende negative Medienresonanz dann das Gefühl erzeugt: Das ist wohl schon alles o. k. so. Zudem wurde mittlerweile in einigen Studien nachgewiesen (hier wird zum Beispiel darüber berichtet), dass Partypatriotismus nicht einfach nur ein harmloser Ausdruck der Freude ist (wie es uns in den Mainstream-Medien gern und häufig suggeriert wird), sondern durchaus eine deutliche Nähe zum Nationalismus aufweist. Und spätestens wenn man dann die gehässige Berichterstattung der BILD-Zeitung (kein Link dazu, darauf verlinke ich grundsätzlich nicht) betrachtet, zum Beispiel vor dem Spiel Deutschland gegen Griechenland bei der EM 2012, dann weiß man, welche Ressentiments hier gezielt geschürt werden sollen – oder zumindest sehr billigend in Kauf genommen werden (genauso wie bei Sarrazins Bestseller Deutschland schafft sich ab – übrigens auch bei Bertelsmann erschienen).

Nun stellt sich daran anschließend die Frage: Warum wird denn überhaupt mit so viel Aufwand eine derartige Manipulation betrieben? Hier kommt man dann der Lösung nahe, wenn man sich vor Augen führt, wer denn letztendlich von einem gesteigerten Patriotismus/Nationalismus und auch der Massenwirkung von entsprechend national eingefärbten Events profitiert. Und es handelt sich mal wieder um die üblichen Verdächtigen.

Zum einen werden Fußballevents mittlerweile von Politikern ganz offensichtlich benutzt, um dreist eigene Imagepflege zu betreiben (wie hier am Beispiel Merkels dargestellt), zum anderen, um unangenehme Entscheidungen und Gesetze, die normalerweise auf massiven Widerstand und deftige Kritik in der Bevölkerung stoßen würden, möglichst ungestört verabschieden zu können. Wie dies 2010 während der WM gemacht wurden, darüber berichtete Monitor, und im Jahr 2012 standen in der Zeit der Fußball-EM die Entscheidungen über ESM, Elterngeld und Diätenerhöhung an.Es wird also gezielt darauf gesetzt, dass sich die Menschen im Lande nur um die Ergebnisse eines Fußballturniers kümmern anstatt um Sachen, die ihre eigene Gegenwart und Zukunft deutlich stärker beeinflussen als das Abschneide der Nationalmannschaft bei einer EM oder WM. Dies widerspricht m. E. massiv dem Verständnis eines demokratischen Meinungsbildungsprozesses und kommt einer Entmündigung der Bürger gleich – und passt damit natürlich hervorragend zum Selbstverständnis, welches hinter bewusst manipulierten Fernsehbildern und verfälschter Berichterstattung steht.

Darüber hinaus ist der neu erwachte Nationalstolz wichtig, um die Konkurrenzpolitik, die Deutschland in der Euro-Währungszone betreibt, rechtfertigen zu können. Jens Berger von den Nachdenkseiten beschreibt das hier recht treffend, zudem kann man diesen nationalistischen Dünkel, der mittlerweile im deutschen Alltag wieder Einzug gehalten hat, ständig auf Facebook und in anderen sozialen Medien nachverfolgen (Immer nur zahlen wir für die Südeuropäer!, Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber … usw.) sowie auch in viele Mainstream-Medien (die BILD ist da natürlich wieder ganz vorn mit dabei, wenn es darum geht, Vorurteile und Aversionen zu schüren gegen „die faulen Griechen“ und „die undisziplinierten Südeuropäer“). Dass die deutsche Wettbewerbsfixiertheit in der Wirtschaftspolitik eine Sache ist, die eher negativ zu bewerten ist (zumal innerhalb einer Währungsunion) kann so hervorragend verschleiert werden, wenn ein Großteil der Bevölkerung erst mal grundsätzlich auf alles stolz ist, was irgendwie mit Deutschland zu tun hat – egal, ob Nationalmannschaft, Schlagerwettbewerbsteilnehmer oder Exportüberschuss.

Und so werden auch im kommenden Jahr die gleichen Mechanismen wieder greifen, wenn es dann nach Brasilien geht (ein Land übrigens, dass sein Geld deutlich besser in andere Projekte als den Bau von Fußballstadien stecken könnte, aber das ist ein anderes Thema), und die meisten Menschen im Land werden sich lächelnd zu Jubelpersern degradieren lassen und fähnchenschwingend, schwarz-rot-gold bemalt einfach wieder schön dabei mitmachen – SCHLAAAAND!

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Schwarz-rot-goldene Marionetten“

  1. Zu diesem Thema erreichte und folgender Leserbrief von Zwarte Piet:

    Moin, interessante Artikel habt ihr hier. Ja Brot und Spiele haben schon bei den Römern gut funktioniert. Allerdings muss ich sagen das der „Patriotismus“ bei Nationalmannschaft, Schlagerwettbewerb, etc. in den meisten anderen Ländern wesentlich mehr zelebriert wird. Da hängen die Fahnen an jedem Haus und aus allen Fenstern. Ein Bild was in Schland wohl immer noch recht komisch aussehen würde. Aber vielleicht ja dann in Brasilien. Spätestens aber in Qatar ;). Groetjes

    Zunächst einmal freuen wir uns natürlich über das Lob. Vielen Dank!
    Zu dem Patriotismus in anderen Ländern: Hier verweist ja schon der oben verlinkte Artikel aus der Süddeutschen Zeitung auf die Unterschiede zu anderen Ländern, wie Großbritannien, Frankreich und den USA zum Beispiel, in denen die Nationalität über den Geburtsort und nicht, wie in Deutschland, durch die Abstammung definiert wird. Zudem ist eben auch immer wichtig, ob sich der Patriotismus in der positiven Sicht auf das eigene Land oder mehr in der negativen Sicht auf andere Länder manifestiert. Hier reicht ein Blick auf die gängigen Schlagzeilen der BILD zu den Pleitegriechen, um zu sehen, in welche Richtung der deutsche Patriotismus gelenkt wird.
    Zum anderen ist dann auch m. E. ein über Jahrzehnte/Jahrhunderte gewachsener Patriotismus anders zu beurteilen als ein quasi von oben aufoktroyierter, wie es nun in Deutschland seit 2005 der Fall ist. Und dass die Fahnen mittlerweile nicht aus allen Fenster bzw. an allen Autos hängen würden bei Fußball-Events, kann ich so für Hamburg zumindest nicht bestätigen.
    Darüber hinaus kann ich einen deutlichen Rechtsruck in der öffentlichen Meinung und auch bei den Nutzern sozialer Medien feststellen in den letzten Jahren – also quasi parallel zum neu erwachenden deutschen Patriotismus. Dass krude Rechtsaußenthesen wie die von Sarrazin oft mit Das wird man ja noch mal sagen dürfen … kommentiert werden, ist hierbei noch das Harmloseste, die Proteste gegen Asylbewerberheime (beispielsweise in Berlin-Hellersdorf) sind da schon eine ganz andere Hausnummer. Und wenn man sich zu entsprechenden Themen mit Bezug auf Flüchtlinge, Asylbewerber und ähnlichen Themen mal anschaut, was in sozialen Medien wie Facebook oder in Kommentarspalten der Internetauftritte von Zeitungen dazu wie selbstverständlich und ohne Scham mittlerweile an nationalistischen, rassistischen, deutschchauvinistischen und menschenverachtenden Statements geschrieben wird, dann ist dort m. E. eine deutliche Verschiebung des deutschen Zeitgeistes in die rechte Richtung zu beobachten.

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