Rote-Flora-Demo – Gewalt mit Ansage

Gestern herrschte Ausnahmezustand in Hamburg in den Gebieten zwischen Schanze und St. Pauli. Ausgangspunkt war eine Demonstration zum Erhalt der Roten Flora und der Esso-Häuser, die dann allerdings sehr schnell eskalierte – und wie es scheint, war dies auch durchaus von allen Seite so gewollt.

Schon im Vorfeld wurde in Hamburger Medien massiv über die Demonstration berichtet, und der Tenor war eigentlich überall, dass man Krawall und Randale erwarten würde. Ebenfalls trug die Maßnahmen der Hamburger Innenbehörde, den gesamten Innenstadtbereich zum Gefahrengebiet zu erklären, nicht dazu bei, die Stimmung zu beruhigen. Als dann noch am Freitagabend die Davidwache in St. Pauli attackiert wurde, wobei einige Streifenwagen massiv beschädigt wurden, spitzte sich die Situation schon im Vorfeld weiter zu.

Vor diesem Hintergrund war es eigentlich nicht mehr die Frage, ob es zu Ausschreitungen kommen würde, sondern wann dies der Fall sein würde. Und hier wurde nun vonseiten der Polizei alles andere als deeskalierend agiert, indem der Demonstrationszug (und man muss dabei immer vor Augen haben: Es handelte sich dabei um eine angemeldete und genehmigte Demonstration) schon nach zehn Metern gestoppt wurde. Die Begründung hierfür lautete, dass es vonseiten der Demonstranten zu Übergriffen gekommen wäre, doch diese Aussage darf durchaus angezweifelt werden, wie aus einem Artikel mit Fotos und Videoaufnahmen von Publikativ.org (leider nicht mehr online aufrufbar)hervorgeht, und auch die taz beschreibt dies recht ähnlich. Die Frage stellt sich hier (eine Frage übrigens, die sich Fußballfans Woche für Woche stellen): Wieso ist die Polizei nicht dafür da, Menschen zu beschützen und eine angespannte Situation zu entspannen, sondern agiert immer öfter als eskalierendes Moment?

Doch so einfach, nun nur der Polizei die Schuld in die Schuhe zu schieben, ist das Ganze auch nicht, denn schließlich wurde ja auf das aggressive Vorgehen der Beamten auch augenblicklich mit massiver Gewalt reagiert – und diese entlud sich dann im Folgenden gegen alles und jeden, was gerade greifbar war: parkende Autos, Schaufensterscheiben, zufällig vorbeikommende Passanten, Mülltonnen, die angezündet wurde …

Die Frage sei erlaubt: Warum gehe ich mit einem solchen inneren Gewaltpotenzial und ausgerüstet mit Gegenständen wie Böllern, Flaschen und ähnlichen Wurfgeschossen zu einer Demonstration, bei der es doch eigentlich um Solidarität und Menschlichkeit geht? (Hierzu findet sich ein hervorragender Blogbeitrag auf La Vie Vagabonde, der mittlerweile leider nicht mehr online ist) Meine Vermutung: Es geht denjenigen gar nicht darum, sich für irgendetwas zu positionieren oder Inhalte zu transportieren/öffentlich zu machen, sondern einfach um das Erleben von Gewalt, Action, Randale – also quasi das, was schon öfter als Krawalltourismus bezeichnet wurde.

Anders als bei den Ausschreitungen aus dem Jahr 2011 in London, bei denen sogenannte abgehängte Jugendliche ohne Perspektive kein anderes Mittel fanden, um sich zu artikulieren, als eben Gewalt (wie auch aus diesem Interview mit Christoph Butterwegge im Deutschlandfunk hervorgeht), handelt es sich meinen eigenen Beobachtungen zufolge (immerhin fanden die Ausschreitungen direkt bei mir vor der Haustür statt, da bekommt man schon bei der Gassirunde mit dem Hund einiges mit) bei denjenigen, die gestern in Hamburg randalierend und Katz und Maus mit der Polizei spielend (diese Formulierung findet sich in vielen Berichten über die Ausschreitungen, zum Beispiel hier in der WAZ und hier in der Mopo) unterwegs waren, eher um junge Menschen aus durchaus mittelständischem Milieu, die das Ganze als eine Art Action-Freizeitvergnügen gesehen zu haben schienen. Mit den ursprünglichen Ideen, die hinter der Roten Flora oder dem Protest für die Esso-Häuser (von den Lampedusa-Flüchtlingen mal ganz abgesehen) stehen, scheinen diese Demonstrationsteilnehmer nichts am Hut zu haben – so zumindest lässt sich deren Verhalten nur erklären, dass ja all denen, die an diesen Inhalten interessiert sind und sich dafür engagieren, einen mächtigen Bärendienst erweist. Schließlich dürften viele Bürger, die über das Fernsehen oder die überwiegend nur die Polizeiberichte abschreibenden Printmedien von den Ausschreitungen hören, nun nicht gerade positiv für diese linken Demonstranten eingenommen werden. Olaf Scholz dürfte die Ereignisse zumindest händereibend und zufrieden beobachtet haben, denn ihm spielt das nun sehr in die Karten und rechtfertigt weiteres Hardliner-Vorgehen gegen jede Form von Protest, der von links kommt.

Die Medien haben also im Vorfeld das Stöckchen ordentlich poliert, die Innenbehörde und die Polizei haben es dann hingehalten, und die Krawalltouristen (wobei ich nicht ausschließen will, dass auch bei den Flora-Befürwortern durchaus welche dabei sind, die Gewalt nicht abgeneigt sind) sind schön drübergesprungen. Der Veranstalter der Demo muss sich nun den Vorwurf gefallen lassen, dass er sich und seine Ziele in diesem Maße hat instrumentalisieren lassen – und damit einen großen Schaden für die Protestkultur in Hamburg angerichtet hat.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

5 Gedanken zu „Rote-Flora-Demo – Gewalt mit Ansage“

  1. Hier noch mal ein paar Links, die mir in den letzten Tagen untergekommen sind und die sich mit dem Fehlverhalten der Polizei beschäftigen:

    Polizei geht gegen sachlich argumentierende Demonstranten vor.

    Polizei geht mit Pfefferspray auf passive Demonstranten los und drückt diese zusammen.

    Eine Anwohnerin in der Schanze schildert gegenüber einem Radiosender, was sich gerade vor ihrer Wohnung an Polizeigewalt abgespielt hat. Das Bild bei Youtube stammt übrigens von einer älteren Demo und nicht vom 21. 12.

    Vor allem interessant ist auch dieser kritische Kommentar auf der Webseite von n-tv, von denen man solche Töne sonst ja nicht unbedingt gewöhnt ist.

    Eine m. E. treffende Analyse findet sich auch bei Telepolis.

    Mit der nicht so rühmlichen Rolle der Medien bei den Geschehnissen beschäftigt sich der Journalist Benjamin Laufer in seinem Blog.

    Daniel Bröckerhoff äußert in seinem Blog nachvollziehbares fehlendes Verständnis für die gesamte Situation. Lesenswert.

  2. Und hier noch ein interessanter Aspekt, der in einem FAZ-Artikel beleuchtet wird: Es gibt durchaus auch in den Reihen der Polizei selbst Leute, die ein Interesse daran haben, dass die Gewalt gegen Polizisten statistisch nachweisbar nach oben geht. Ob das gute Voraussetzungen sind, um zukünftig deeskalierender vorzugehen?

  3. Das Thema ist ja immer noch brandaktuell, und durch die Einrichtung eines unbefristeten Gefahrengebiets sowie die Forderungen nach einer Aufrüstung der Polizei u. a. vonseiten der Polizeigewerkschaften werden die Auswirkungen nun deutlich spürbar – und damit auch klar, welchen Dienst die Randalierer und Krawalltouristen den Hardlinern bei der Polizei und in der Politik mit ihrem Verhalten geleistet haben. Hierauf gehen auch lesenswerte Kommentare der taz und auf Spiegel Online ein.

  4. Und nun bekommt das Ganze u. U. noch einmal eine ganz neue Dimension: Ein Rechtsanwalt bezeichnet die Geschehnisse um den zweiten Angriff auf die Davidwache als konstruiert.
    Dass die Polizei eher herumeiert, nachdem sie mit den Vorwürfen konfrontiert wurde, und zudem anscheinend keine Videoaufnahmen oder Fotos von dem angeblichen Angriff vorliegen, scheint die Sichtweise des Anwalts zu bestätigen. Dies wäre dann m. E. ein enormer Skandal, da sich die Polizei damit wissentlich unter Vorspielung falscher Tatsachen eine Legitimation für ein rechtsstaatwidirges, undemokratisches Vorgehen geschaffen hätte.

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