Ukraine – der Tanz auf dem Vulkan

Was in der Ukraine in den letzten Wochen passiert, ist in vielerlei Hinsicht dramatisch und bemerkenswert: Zum einen zeigt es, wie unkritisch neoliberale Politiker fragwürdigen Gesinnungen gegenüber sind, wenn deren Protagonisten nur in ihrem Interesse handeln, zum anderen verdeutlicht es in erschreckendem Maße, wie weit vorangeschritten die gleichgeschaltete Manipulation durch die hiesige Medienlandschaft mittlerweile ist. Und dann kommen auch noch Faschisten in Schlüsselpositionen eines Regimes in einem Land, dass sich in der fragilen Position zwischen EU und NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite befindet. Das ergibt ein Gebräu, aus dem ein neuer Kalter Krieg oder sogar noch Schlimmeres, beispielsweise ein atomarer Konflikt, gemacht ist.

Zwei Dinge vornweg, da es anscheinend nötig ist, dies explizit zu erwähnen: Janukowitsch ist m. E. ein Kleptokrat schlimmen Ausmaßes gewesen, der sich in einem Land, dass eine schwere Wirtschaftskrise durchlebt, hemmungslos bereichert hat. Und Putin ist für mich (anders als für unsere unsäglichen Exkanzler) alles andere als ein lupenreiner Demokrat, sondern ein Machtpolitiker mit wenig Skrupeln, wenn es um die Durchsetzung seiner Interessen geht. Es geht hier also nicht darum, diese beiden in irgendeiner Form zu verteidigen.

Doch der Reihe nach. Wann begannen die Proteste in der Ukraine? Exakt zu dem Zeitpunkt Ende November letzte Jahres, als Janukowitsch sich weigerte, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen (wie hier in der Zeit nachzuvollziehen). Solche Proteste sind nun auch vollkommen legitim und drücken eben den Willen eines Teils der Bevölkerung aus. Doch schon bald wurde der Maidan-Protest überschattet von Gewalttätigkeiten, laut der Mainstream-Medien ausgehend von der Regierung Janokowitschs, sodass klar werden sollte, wer die Guten und wer die Bösen sind. Doch leider fing hier die Falschberichterstattung schon an, denn die Proteste sind keineswegs friedlich verlaufen, sondern wurden von einem Teil der Demonstranten, und zwar vor allem von, was die gezielte Ausübung von Gewalt angeht, gut organisierten Rechtsradikalen, eskaliert, bis es dann schließlich zahlreiche Tote gab, wie man den erschreckenden Bildern dieses YouTube-Videos und auch diesem Beitrag in der ARD-Sendung Panorama entnehmen kann. Hierbei wurde vor allem der Regierung Janukowitsch vorgeworfen, dass sie Scharfschützen auf umliegenden Gebäuden postiert hatte, die gezielt auf die Protestierenden schossen, doch sind hieran mittlerweile ernsthafte Zweifel aufgekommen, wie beispielsweise die FAZ oder das Schweizmagazin berichten. Es erscheint mir zudem auch generell unlogisch, warum eine Regierung, wenn sie denn einen Protest gewaltsam unterdrücken möchte, auf ein Mittel wie Scharfschützen zurückgreifen sollte, wenn ihr denn dafür Mittel wie Räumpanzer und Maschinengewehre zur Verfügung stünden, mit denen eine Volksmenge besser eingeschüchtert werden kann. Vielmehr erscheinen mir Scharfschützen eher geeignet, durch gezielte Tötungen Märtyrer zu schaffen – und das dürfte bestimmt nicht in dieser angespannten Situation das Ziel der Janukowitsch-Regierung gewesen sein.

Dass nach der Weigerung Janukowitschs, dass EU-Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, die Sympathien der EU-Politiker eher auf Seiten der regimekritischen Demonstranten lag, mag verständlich sein, wenn allerdings massiv Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen versucht wurde, wie es diese geleakten E-Mails oder auch die Treffen von deutschen und EU-Politikern mit ukrainischen (rechtsradikalen) Oppositionspolitikern, wie in diesem leider nur noch kostenpflichtig als Abonnent einsehbaren Artikel von German Foreign Policy gezeigt wird, nahelegen, dann handelt es sich um eine interessengesteuerte Einmischung in die Innenpolitik eines Landes, die so nicht hinzunehmen ist, zumal die ukrainische Regierung vor gerade einmal drei Jahren demokratisch gewählt wurde (auch wenn nun häufig angemerkt wurde, dass es bei der Wahl Unregelmäßigkeiten gegeben haben soll, aber dann hätte beispielsweise die Regierung des nachgewiesenen Wahlbetrügers George W. Bush ja auch nicht anerkannt werden dürfen).

Janukowitsch ist nun allerdings nicht mehr im Amt und geflohen, und es gibt eine neue Übergangsregierung in der Ukraine. In dieser finden sich nun allerdings auch eindeutig faschistische Elemente, wie u. a. aus diesem Junge-Welt-Artikel hervorgeht, und auch ein solches Foto spricht da Bände , das den neuen Regierungschef der Ukraine Arsenij Jazenjuk zeigt, wie er gerade mit hochgerecktem rechten Arm im Beisein von Klitschko fröhlich in die Menge grüßt. Zu diesen rechtsradikalen Elemente kommen dann noch Angehörige der alten ukrainischen Oligarchen-Cliquen. Was von dieser neuen Regierung zu erwarten ist, wird schnell deutlich: Es wurde beispielsweise ein Gesetzesentwurf eingebracht (der zunächst allerdings nicht verabschiedet wurde), die russische Sprache in der Ukraine zu verbieten, was gerade in den östlichen Gebieten mit einer russischsprachigen Bevölkerungsmehrheit bestimmt nicht unbedingt auf Zustimmung stoßen dürfte und nicht geeignet schein, die Probleme des Mehrvölkerstaates Ukraine in konstruktiver Form anzugehen. Und auch der Umgang mit den politischen Gegnern (wie beispielsweise hier nachzulesen) spricht nicht dafür, dass es dieser demokratisch nicht legitimierten Übergangsregierung um einen demokratischen Diskurs geht, denn zu diesem gehören, wohl nicht nur meiner Meinung nach, Gewalt, Einschüchterung und Repressalien nicht dazu.

Warum eine derartige Regierung nun allerdings nahezu bedingungslosen Rückhalt der westlichen Regierungen erfährt, wird deutlich, wenn man sich die geopolitischen Dimensionen verdeutlicht, denn hierbei geht es zum einen um die Erweiterung des Einflussbereichs der NATO und zum anderen darum, die schon in der EU gescheiterten Austeritätspolitik auf weitere Länder auszudehnen. Letzteres bezieht sich nicht nur auf das schon erwähnte EU-Assoziierungsabkommen, dem die Übergangsregierung – oh Wunder – nun recht aufgeschlossen gegenübersteht, sondern auch darauf, dass der Ukraine unter Einbeziehung des IWF eine Politik aufoktroyiert  werden soll, die schon in Griechenland verheerende Folgen für den Großteil der Bevölkerung hatte, wie in diesem Blogbeitrag von Hintergrund dargestellt wird und wie es auch Sahra Wagenknecht auf ihrer Webseite kritisiert. Hierbei geht es nicht im Geringsten um die Menschen in der Ukraine oder etwa gar um demokratische Grundprinzipien, sondern schlicht und einfach um sehr viel Geld und Macht – und dazu wird dann, wie Jens Berger von den Nachdenkseiten im Fall von US-Außenminister John Kerry eindrücklich nachweist, auch munter in der Öffentlichkeit drauflosgelogen, dass sich die Balken biegen.

Dass Russland nun auf diese Bedrängung seiner Einflusssphäre (wenn nicht gar seines Territoriums, da die Ukraine ja ein unmittelbarer Nachbarstaat Russlands ist) so reagiert, wie dies nun der Fall ist, ist nicht weiter verwunderlich und m. E. auch genau so kalkuliert worden. Schließlich war ja schon im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi eine massive Anti-Russland-Berichterstattung in den Medien zu beobachten (ein besonders dreistes Beispiel für Falschberichterstattung wurde hier auf den Nachdenkseiten dokumentiert), die nun einen Sinn ergibt: Die Öffentlichkeit sollte schon mal gegen Russland eingestimmt werden. Natürlich kann ich das Vorgehen Putins auch nicht billigen, denn militärische Interventionen sind für mich nie ein Mittel zur Lösung eines Konfliktes, nur werden bei der Beurteilung der Situation in den hiesigen Mainstream-Medien ein paar Punkte immer gern außen vor gelassen: Zum einen hat Russland den Schwarzmeerhafen Sewastopol bis 2047 gepachtet, sodass es internationalem Vertragsrecht entspricht, dass dort russische Militäreinheiten stationiert sind, zudem ist dieser Hafen für Russland aus strategischer Sicht extrem wichtig für den Zugang zum Mittelmeer. Zum anderen ist diese Vorgehen zum angeblichen Schutz der russischen Bevölkerung auf der Krim keine außenpolitische Erfindung von Russland, sondern wurde vor nicht allzu langer Zeit auch immer wieder mal gern von den USA praktiziert, beispielsweise in Panama und Grenada. Das macht das Vorgehen Putins natürlich nicht besser, zeigt aber die Verlogenheit derjenigen, die ihn nun massiv dafür angreifen, das Vorgehen der USA aber billigten oder zumindest stillschweigend hinnahmen (Konstantin Wecker hat hierfür treffende Worte gefunden). Zudem wird daran deutlich, dass es nicht um die Ablehnung der militärischen Intervention als politische Mittel an sich geht, sondern dass es eben genau darauf ankommt, wer denn da nun militärisch interveniert. Und wenn dies, wie in diesem Fall, der Böse ist, dann ist das natürlich was ganz anderes, als wenn die Guten genau das Gleiche machen. Zudem ist es auch interessant, sich ein wenig über die historischen Hintergründe der Krim zu informieren, um die Situation differenziert betrachten zu können, aber auch dies wird in diesen Tagen in unseren Medien so gut wie nicht gemacht.

Und damit sind wir dann auch schon bei der mal wieder beschämenden Rolle unserer sogenannten Qualitätsmedien. Auch wenn es vereinzelte Stimmen gibt, wie zum Beispiel von Albrecht Müller oder Eugen Ruge, die die Schuld für die Eskalation der Krise nicht allein bei Putin sehen, sondern um eine etwas differenziertere Betrachtung bemüht sind, so wird doch allenthalben ansonsten eher massiv ins Kriegshorn getutet. So tut sich mal wieder der Spiegel damit hervor, her besonders plump vorzugehen, indem auf dem aktuellen Titelbild (11/2014) ein großer Putin abgebildet ist mit dem Schriftzug: Der Brandstifter. Wer stoppt Putin? Man fragt sich wirklich, was solche Journalisten reitet, hier so offensichtlich Öl ins Feuer zu gießen, denn schließlich ist Russland eine atomare Großmacht, die immer noch das militärische Potenzial hat, die gesamt Weltbevölkerung auszulöschen. Die einzige Erklärung ist, dass der Ideologie derart blind gefolgt wird, dass alle mögliche Konsequenzen ausgeblendet werden – bis in den Untergang. Das erinnert mich schon fatal an die Geschehnisse vor dem Ersten Weltkrieg …

Auch der als Umweltminister geschasste und nun zum Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags mutierte Norbert Röttgen fordert in im Zeit-Interview Sanktionen gegen Russland – wie auch immer die aussehen mögen. Ein treffende Replik auf diese Äußerungen gab es von JK auf den Nachdenkseiten (leider nicht als Artikel, sondern nur hier als Kommentar zu dem verlinkten Röttgen-Interview, daher nun als Zitat eingefügt):

“Röttgen zufolge ist nun das wichtigste Ziel, sicherzustellen, dass die Ukraine allein über ihre Zukunft entscheidet.” Die Ukraine hatte bereits alleine über ihre Zukunft entschieden und zwar das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Man kann von Junokowitsch halten was man will, aber diese Entscheidung wurde von einer gewählten Regierung getroffen. Die Folgen sind bekannt, Janukowitsch wurde durch einen Staatsstreich unter wesentlicher Beteiligung der EU und Deutschlands aus dem Amt gejagt. Die Unzufriedenheit vieler Ukrainer mit dessen korrupter Amtsführung dürfte dabei für Steinmeier & Co wenig relevant gewesen sein, sondern war bestenfalls ein willkommenes Vehikel. Man darf wohl behaupten, dass Janukowitsch noch im Amt wäre hätte er das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet.

Man sollte sich nun aber hüten zu behaupten, die Ablehnung des Abkommens sei allein auf Druck Russlands zustande gekommen. Sicher war Janukowitsch ein Mann des von Bergbau und Schwerindustrie geprägten Ostens der Ukraine. Gerade diese Industrie hätte aber wesentliche Nachteile aus dem Assoziierungsabkommen erfahren, dessen wesentliche Bestandteile eine umfassende Freihandelszone und die Forderung nach umfassenden wirtschaftlichen und sozialpolitischen “Reformen” waren. Da diese Unternehmen den in der EU beheimateten, explizit den deutschen Konzernen, bei der Beseitigung aller Handelsschranken und dem Abbau der Staatshilfen wenig hätten entgegensetzen können. So empfiehlt etwa eine, im Auftrag der EU verfassten und im Juni 2011 veröffentlichte Studie, bis zum Jahr 2016 insgesamt 29 Kohlegruben zu schließen. Ein weiteres Beispiel ist die ukrainische Landwirtschaft. Die EU wollte der Landwirtschaft der Ukraine im Rahmen des Freihandelsabkommens nur in sehr beschränktem Umfang Zugang zum europäischen Binnenmarkt gewähren, erwartet aber gleichzeitig die Öffnung des ukrainischen Marktes für die hochsubventionierten Agrarprodukte aus der EU. Die möglichen Folgen kann man sich leicht ausmalen.

Natürlich bestand Janukowitschs Wählerpotential weitestgehend aus den Arbeitnehmern im produzierenden Gewerbe eben dieser russisch geprägten Gebiete im Osten der Ukraine. Und diese wären wohl am meisten von den, mit den von der EU geforderten “Reformen” verbundenen sozialen Einschnitten betroffen gewesen. Janukowitsch hat also durchaus im Interesse eine beachtlichen Teils der ukrainischen Bevölkerung gehandelt als er das Assoziierungsabkommen ablehnte.Abschließend würde man dann von Herren Röttgen und den Schreibtischstrategen in den Redaktionen der Mainstreampresse gerne erfahren wie es denn um das Selbstbestimmungsrecht Griechenlands bestellt ist? Dort wird den Bürgern von der Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB, die nicht einmal ansatzweise eine demokratische Legitimation besitzt, seit mehr als drei Jahren eine Verelendungspolitik oktroyiert, ohne dass hier auch nur ein Hahn danach kräht. Sollte die Ukraine die Hilfsgelder von EU und IWF annehmen, dann ist es mit dem Selbstbestimmungsrecht dieses Landes sowieso vorbei. Aber das ist natürlich etwas ganz anderes.

Es kann einem wirklich angst und bange werden. Nicht nur aufgrund der möglichen Eskalation des Konfliktes, sondern auch, da zwei Dinge anhand der Geschehnisse in der Ukraine mehr als deutlich werden: Um die neoliberale Ideologie durchzusetzen, werden alle ethischen Grundsätze fallen gelassen, es wird sogar mit Faschisten paktiert, wenn diese im eigenen Sinne handeln. Und: Die mediale Manipulation hat in Deutschland mittlerweile erschreckende und umfassende Ausmaße angenommen, sodass von einer vierten Macht im Staat (im Sinne der Gewaltenteilung) über weite Strecken bei der hiesigen Journaille nicht mehr die Rede sein kann. Als Verfechter demokratischer Ideen und Werte kann es einen da nur grausen …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

8 Gedanken zu „Ukraine – der Tanz auf dem Vulkan“

  1. Jens Berger von den Nachdenkseiten stellt die Frage, wer eigentlich von der Ukraine-Krise profitiert (Teil 1 und Teil 2 sowie eine Ergänzung). Es wird deutlich, das handfeste wirtschaftliche Interesse hinter der Eskalation der Krise stecken, und den Protagonisten sind anscheinend auch zahlreiche Todesopfer egal, wenn es gilt, die eigenen finanziellen Vorteile durchzusetzen. Berger fast dies treffend zusammen:

    Während im Osten und Süden des Landes Menschen sterben, sind pro-westliche ukrainische Oligarchen zusammen mit engen Familienangehörigen des Weißen Hauses und europäischen Scharfmachern dabei, das Land auszuplündern.

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