Denk ich an Deutschland in der Nacht …

Gestern war ich bei einem interessanten Vortrag der Soziologin Lena Nehlsen im Rahmen des Zeckensalons in den Fanräumen des Millerntorstadions vom FC St. Pauli. Dabei ging es um die Normalisierung von Nationalismus im Zuge des seit 2006 initiierten Partypatriotismus (über dieses Phänomen schrieb ich ja auch schon einen Artikel hier auf unterströmt). Der Vortrag und die sich daran anschließende Diskussion blieben dann ziemlich beim Thema Fußball (was auch o. k. ist im Rahmen so einer Veranstaltung), nur finde ich die darüber hinausgehenden Schlussfolgerungen mit Bezug auf das momentane politische Geschehen ausgesprochen beängstigend.

Dass dieser seit 2006 (genauer: seit 2005 im Rahmen der Kampagne Du bist Deutschland) wiedererstarkte Patriotismus in Deutschland ausgesprochen hilfreich war, um die von den diversen Regierungen unter Angela Merkel forcierte Politik nach der Finanzkrise 2008 und deren Folgen, habe ich ja schon in dem oben verlinkten Artikel erwähnt. Auch Cerstin Gammelin und Raimund Löw beschreiben in ihrem lesenswerten Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik, wie sehr die deutsche Politik zur Krisenbewältigung von ausschließlich nationalen Interessen geprägt war. Und um eine solche Politik dem eigenen Volk vermitteln und positiv darstellen zu können, ist eine gehörige Portion Nationalismus und Patriotismus in der Bevölkerung eben sehr, sehr hilfreich. Das Resultat davon liegt auch auf der Hand: In Südeuropa wird der Deutsche wieder gehasst, da ihm (zu Recht) ein gehöriger Anteil an den dortigen katastrophalen Bedingungen, die die verheerende Austeritätspolitik der Troika (unter deutscher Ägide) verursacht hat, zugeschrieben wird. Das mag in nationalchauvinistischen Kreisen vielleicht sogar positiv aufgenommen werden, ich finde es allerdings reichlich unangenehm, mich Menschen anderer Nationalität gegenüber für mein Heimatland schämen zu müssen. Die Linie Du bist Deutschland 2005 -> Partypatriotismus 2006 -> Finanzkrise 2008 (die ja auch nicht, auch wenn uns das immer wieder gesagt wird, plötzlich vom Himmel gefallen ist, sondern genau in dieser Form schon in den 90er-Jahren, u. a. von Horst Köhler, prognostiziert wurde) -> deutsche Vormachtstellung in Europa ab 2009 erscheint mir insofern schon mal recht schlüssig zu sein.

Doch nicht nur für die Wirtschaftspolitik wird der vor allem über das Vehikel Fußball (aber auch über Events wie Eurovision Song Contest) transportierte Patriotismus genutzt. Wie ich ja schon vor Kurzem hier auf unterströmt beschrieb, bläst der deutsche Bundespräsident Gauck ja auch zunehmend in direkter die Kriegstrompete und fordert mehr deutsche Militäreinsätze und -präsenz im Ausland. Dabei bekommt er Unterstützung von zahlreichen Medien, aber auch von Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen, die ja nun mit Rückendeckung von Merkel Kampfdrohnen für die Bundeswehr anschaffen will (s. dazu exemplarisch diesen Artikel in der Süddeutschen). Ein klares Zeichen für die zukünftige Ausrichtung der Bundeswehr, denn der bisherige Einsatz von Kampfdrohnen erfolgte ja in erster Linie zur Durchführung von offensiven Kriegsaktionen (s. dazu diesen Artikel in den Blättern für deutsch und internationale Politik). Sträuben sich die Grünen (noch) beim Thema Kampfdrohnen, so signalisiert die Partei auf anderer Ebene allerdings schon deutlich, dass auch mit ihnen Kriegseinsätze auch außerhalb völkerrechtlicher Mandate durchaus zu machen seien (s. dazu hier, hier und hier). Es bildet sich also mittlerweile eine breite Allianz in der deutschen Politik, die offensiv deutsche Kriegseinsätze zur Verteidigung eigener Interessen im Ausland (was für ein himmelweiter Unterschied zur Verteidigung des eigenen Territoriums, was ja ursprünglich der Gedanke bei der Gründung der Bundeswehr war) zu legitimieren versucht.

Da der Großteil der deutschen Bevölkerung nach wie keine Lust auf Bundeswehreinsätze im Ausland hat, muss nun natürlich nicht nur vonseiten der Politiker die Werbetrommel gerührt werden, sondern auch vonseiten der Medien. In ganz besonders zynischer und unappetitlicher Art tat dies neulich Robert Leicht in einem Kommentar in der Zeit, in dem er mehr Respekt für Gauck einforderte:

Nur in einem Punkt würde ich Joachim Gauck widersprechen: „Was wir heute erleben, ist ein altes Denken in Macht- und Einflusssphären …“ Mit Verlaub: Dieses Denken hat zwar tiefe geschichtliche Wurzeln, es war aber nie veraltet, sondern wird auch die Zukunft weiterhin prägen: die USA im Irak, im Pazifik, in Lateinamerika, Frankreich im westlichen Afrika, China im chinesischen Meer – um nur einige Beispiele zu nennen. Nur weil Deutschland das Ungeschick besaß, sich in der Weltpolitik dumm anzustellen und sich durch zwei Kriege und ein Nazi-Regime lange ins Abseits zu bringen, ist die Welt nicht von den hergebrachten Konfliktmustern befreit worden. Sonst hätte ja auch die gewagte Forderung des Bundespräsidenten, Deutschland müsse sich künftig schneller und entschiedener in die Außenpolitik einbringen, gleich gar keinen Sinn.

Da werden dann mal eben die Schuld an zwei Weltkriegen (beim Ersten zumindest eine deutliche Mitschuld, s. dazu diesen interessanten Artikel von Wolfram Wette in den Blättern für deutsche und internationale Politik; beim Zweiten liegt das ja nun auf der Hand) sowie ein menschenverachtendes System, dass Millionen Menschen nicht nur in anderen Ländern, sondern auch im eigenen Land auf bestialische Weise umgebracht hat, als „Ungeschick“ bezeichnet. Das ist in der Tat eine reichlich zynische Verklärung der eigenen Vergangenheit – aber unter diese muss ja auch mal ein Schlussstrich gezogen werden, um den eigenen Nationalismus und Patriotismus noch ein Stück weit salonfähiger zu machen und von dem Mistgeruch der deutschen Geschichte des Kaiserreichs und der Nazizeit zu befreien.

Und was braucht man dann also, wenn man Kriege führen möchte? Zum einen am besten eine Armee, die nicht mehr zu einem großen Teil aus gelangweilten Wehrpflichtigen, sondern aus Profis, die freiwillig dort sind, besteht. Das wurde ja nun durch die Bundeswehrreform mit der Abschaffung der Wehrpflicht im Juli 2011 umgesetzt. Und zum anderen braucht man natürlich eine Menge Patrioten, die derartige Kriegseinsätze dann auch mittragen und keine Opposition dazu im eigenen Land bilden, und hieran wird seit 2005 ja auch massiv gearbeitet.

Um das Heine-Zitat der Überschrift dieses Artikels also zu Ende zu führen: … dann bin ich um den Schlaf gebracht. Was aber vielleicht auch wieder nicht so schlecht ist, denn zurzeit scheint es sehr wichtig zu sein, wach zu bleiben!

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Denk ich an Deutschland in der Nacht …“

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