Hamburg-Wahl 2015

Hamburg hat gewählt. Das m. E. Wichtigste vorweg: Die Wahlbeteiligung betrug lediglich 56,9 %, d. h., dass fast die Hälfte der Wahlbeteiligten so wenig Interesse an der Politik hat, dass sie gar nicht erst zu Wahl gehen. Ein Armutszeugnis – und ein Zeichen für die zunehmende Entpolitisierung der Bevölkerung oder auch die stetig wachsende Resignation: Warum soll ich wählen gehen, wenn sich doch eh nichts ändert?

Aber an diese niedrigen Wahlbeteiligungsquoten hat man sich aufseiten der Politik anscheinend schon hinlänglich gewöhnt, sodass einfach darüber hinweggegangen wird und man sich lieber selbst auf die Schulter klopft. Die Hälfte der Wahlberechtigten (und damit weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung) nicht zu erreichen und damit auch nicht zu repräsentieren ist für die meisten Politiker anscheinend nicht so wichtig – ich sehe darin bedrohliche Zerfallserscheinungen der Demokratie.

Doch nun zum Abschneiden der Parteien: Die SPD holt mit 45,7 % der abgegebenen Stimmen einen ordentlichen Vorsprung heraus. Die Wähler scheinen also zufrieden zu sein mit der Politik des Senats von Olaf Scholz, der die letzten fünf Jahre ohne Koalitionspartner reagieren durfte. Wenn man sich allerdings den Wahlkampf der SPD anschaut, dann scheint es hier weniger um eine Zufriedenheit mit der Politik zu gehen, sondern es wurde vielmehr die Olaf-Scholz-Persönlichkeitskarte gespielt (und damit hat man von Ole von Beust gelernt, der auf diese Weise auch schon die CDU zum Wahlsieg in Hamburg geführt hat): Es gab so gut wie keine Aussagen auf den Plakaten, sondern es wurde komplett auf die Person Scholz gesetzt. Gut, wenn man eine derart graue Maus wie Dietrich Wersich zum Gegner hat  (noch eine Parallele zum damaligen „Michel, Alster, Ole“-Plattitüdenzirkus von Beusts, der gegen den farblosen Thomas Mirow antreten musste), dann bietet sich das ja auch an. Und ein inhaltlicher Wahlkampf hätte auch sehr nach hinten losgehen können, da die SPD in den letzten Jahren etliche Male an den Interessen vieler Bürger vorbeiregiert hat (beispielsweise was die Lampedusa-Flüchtlinge angeht oder aber auch die Einrichtung der sogenannten Gefahrengebieten nach Lügengeschichten vonseiten der Polizei) und sich zudem dann Fragen zu Themen wie TTIP hätte stellen müssen. Was das Freihandelsabkommen anbelangt, befindet sich die SPD ja zurzeit auf ziemlichem Schlingerkurs, allerdings ist das Thema mittlerweile bei vielen Wählern auch recht negativ besetzt. Insofern muss man anhand des Ergebnisses der SPD attestieren, dass sie aus wahltaktischer Sicht alles richtig gemacht hat. Jeglicher inhaltliche politische Anspruch ist dabei jedoch auf der Strecke geblieben. Eventuell auch ein Grund für die niedrige Wahlbeteiligung, da viele Wähler so den Unterschied zwischen Scholz und von Beust gar nicht mehr ausmachen konnten und somit der Politik eine gewisse Beliebigkeit unterstellen?

Die CDU hat mit 15,9 % ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren, und dies sollte auch nicht verwundern: Der Spitzenkandidat Dietrich Wersich machte überhaupt nichts her, und da die Unterschiede in der Politik von CDU und SPD (gerade unter dem Agenda-2010-Fan Scholz) irgendwie auch kaum noch vorhanden sind, entscheiden sich dann viele Wähler halt für denjenigen, den sie zum einen kennen und der zum anderen auch noch charismatischer rüberkommt. Zudem dürfte die CDU einiges an Wählern an die AfD verloren haben, der Verlust der CDU beträgt zumindest mit 6 % ziemlich genau dem Stimmenanteil der AfD. Dass die Rechtspopulisten mit 6,1 % deutlich ins Rathaus einziehen, ist natürlich eine unschöne Sache, aber damit war leider zu rechnen, da der Stammtisch, der eben zuvor gern CDU gewählt hat, sich mittlerweile bei der AfD besser aufgehoben fühlt. Dass hier für die AfD nun teilweise die gleichen Pfeifen wieder in der Bürgerschaft sitzen werden, die schon als Mitglieder der Schill-Partei gezeigt haben, dass sie von Politik so richtig gar keine Ahnung haben, zeigt zudem, dass die Hamburger, die die blauen Rechten gewählt haben, nicht eben sehr lernfähig sind. Die AfD etabliert sich auf diese Weise weiter, und so steht zu befürchten, dass deren rechte Parolen immer mehr in die sogenannte „politische Mitte“ einsickern werden.

Die FDP gibt es tatsächlich noch, und sie konnte sogar ein bisschen zulegen, um nun bei 7,4 % der Stimmen zu landen. Es ist die Frage, ob das nun eine Umkehr des Trends ist, aus allen Parlamenten deutlich rauszufliegen, oder ob dies nun ein spezifischer Erfolg der Hamburger FDP ist. Die Partei, die durch ihre zunehmende politische Abwesenheit eigentlich vor allem gezeigt hat, dass man sie wirklich nicht braucht (und die, was den Marktradikalismus angeht, ja durchaus von der AfD beerbt wurde), hat in Hamburg voll auf die Spitzenkandidatin Katja Suding gesetzt. Mit schönen Allgemeinplätzen versehen, lächelte sie von nahezu allen Wahlplakaten. Wenn ich die Klientel der FDP so vor Augen habe, dann will ich nicht ausschließen, dass diese sich vielleicht vor allem deswegen aufgerafft haben, das sinkende Schiff noch mal zu unterstützen, weil da eben ein attraktives Gesicht vorgezeigt wird.

Der Einzug der AfD ins Parlament und das Nichtrausfliegen der FDP haben nun bewirkt, dass Olaf Scholz einen Juniorpartner zum Regieren braucht, da die SPD nicht mehr die absolute Mehrheit innehat. Hierfür bieten sich in Hamburg seit einigen Jahren grundsätzlich die Grünen an, die ja auch schon von Beust und Ahlhaus, ohne mit der Wimper zu zucken, zum Bürgermeister gewählt haben. Es bleibt insofern zu hoffen, dass die Grünen bei ihrem vor der Wahl geäußerten klaren Nein zu CETA und TTIP bleiben und die auch in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen. Wobei die Hoffnung da eher gering ist, denn die Grünen haben in der Hansestadt ja gern schon mal das eine oder andere Wahlversprechen und Prinzip über Bord gehen lassen, um an schöne Pöstchen zu kommen …

Bleibt noch die vermutlich einzige ernst zu nehmende Opposition, nämlich Die Linke. Die Partei hat mit 8,5 % ihr zweitbestes Ergebnis bei einer westdeutschen Landtagswahl erzielt. Da die Partei mittlerweile als Einzige einen klaren Kurs in Richtung Stärkung des Sozialstaats fährt und sich deutlich gegen die stetig fortschreitende Umverteilung von unten nach oben positioniert, aber auch die Rolle der konsequenten nicht militaristischen Politik ziemlich exklusiv für sich hat, scheint dies bei den Wählern (trotz aller immer noch vorhandenen Diffamierung in den gängigen Medien) langsam, aber sicher anzukommen.

Die weiteren Kleinparteien spielen keine Rolle, erfreulicherweise vegetiert die NPD bei kümmerlichen 0,3 %, aber die AfD hat denen ja nun auch einiges an Themen abspenstig gemacht, und das ohne das Schmuddelimage der NPD zu verkörpern. Auch das Phänomen der Piraten scheint sich nach einigen Erfolgen vor ein paar Jahren nun erledigt zu haben, denn 1,6 % sind nun doch schon sehr weit weg von der Fünfprozenthürde. Eigentlich ein bisschen schade, denn teilweise hatten die Piraten durchaus interessante Ansätze in ihrem Wahlprogramm, z. B., dass der ÖPNV in Hamburg gratis sein sollte. Aber die ständigen Querelen in der Partei, die zum einen keinen professionellen Eindruck erweckten, zum anderen auch für viele Wähler nicht klar werden ließ, wofür die Piraten denn nun eigentlich genau stehen (was beides m. E. vor allem dem Zustrom von Karrieristen aus anderen Parteien und deren Jugendorganisationen nach den ersten Erfolgen der Piraten zuzuschreiben ist), ließen auch schon keine nachhaltige Etablierung im Parteienspektrum erwarten.

Was ist nun für die Politik der nächsten Jahre zu erwarten nach diesem Wahlergebnis? Es wird wohl so weitergehen wie in den letzten Jahren: Die sogenannte Sparpolitik wird im Fokus stehen, die Mieten werden weiter steigen (für viele Hamburger ein existenziell wichtiges Thema, da sie mittlerweile mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Begleichung der Miete ausgeben), die Verdrängung von einkommensschwachen Gruppen aus begehrten Stadtvierteln wird weiter voranschreiten, mehr Büros und Luxuswohnungen sind zu erwarten (auch wenn eine diesbezüglich ausgesprochen zwielichtige Figur wie der CDUler Wankum zum Glück nicht mehr in der Bürgerschaft vertreten sein wird), und die restriktive Politik gegen Flüchtlinge dürfte fortgesetzt werden (ich kann mir nicht vorstellen, dass Innensenator Neumann seinen Posten räumen wird). Wichtig wäre es, dass sich Hamburg im Bundesrat gegen die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP positioniert, hier wäre es wohl am wichtigsten dass die Grünen als Koalitionspartner ihren Wahlversprechen treu blieben. Sollte die SPD stattdessen allerdings lieber auf die FDP als Juniorpartner zurückgreifen, dann wäre bei dieser wichtigen Frage wohl eher zu erwarten, dass Agenda-Scholz sich pro Konzerne und gegen Bürgerinteressen stellen würde.

Ein Sache noch zum Schluss, die mich persönlich auch betrifft, da ich in dem Stadtteil wohne: Das Ergebnis von St. Pauli ist schon bemerkenswert: Die Linke 27,9 %, SPD 27,0 %, Grüne 23,9 %, CDU 4,7 %, Piraten 4,5 %, Die Partei 4,1 %, AfD 3,4 %, FDP 3,2 %. St. Pauli ist einer der ärmsten Stadtteile Hamburgs mit einem hohen Ausländeranteil – aber das Zusammenleben der Menschen, was mittlerweile meistens abwertend als „Multikulti“ bezeichnet wird, klappt dort einfach. Und das spiegelt sich dann auch in einem Wahlergebnis wieder, bei dem rechte, konservative (wobei hier die Frage gestellt werden muss, wie wenig konservativ die SPD und die Grünen noch sind) und marktradikale Parteien keine wirkliche Rolle spielen. Vielleicht auch ein Grund, warum St. Pauli nicht als Beispiel für andere Stadtteile fungiert, wie tatsächlich ein integratives Zusammenleben von allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen funktionieren kann, sondern im Gegenteil die Spezifik des Stadtteils zunehmend aufgrund von Profitinteressen zu demontieren versucht wird …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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