Wem nützt der Krieg?

Cui bono? Die Frage, wem etwas nützt, hilft oft dabei, Sachverhalte besser zu verstehen oder gar erst zu durchschauen. Natürlich ist es nicht so, dass immer automatisch ein Zusammenhang zwischen einem Ereignis und jemandem, der daraus seinen Nutzen zieht, besteht, da kann ja durchaus auch einfach mal der Zufall mit im Spiel sein. Wenn allerdings der Nutznießer zugleich auch als Strippenzieher agiert, dann ist es nicht nur recht und billig, da mal ein bisschen genauer hinzuschauen, sondern es wäre auch grob fahrlässig, dies nicht zu machen.

Die Ukraine befindet sich seit fast eineinhalb Jahren im Kriegszustand, der darüber hinaus auch eine geopolitische Dimension hat, da nämlich die alten Feindbilder des Kalten Krieges reaktiviert wurden: Russland gegen die NATO. Nun sollte man sich fragen, wem dieser Konflikt, der immerhin die Gefahr eines dritten Weltkrieges birgt, nutzen könnte. Den Menschen in der Ukraine in jedem Fall schon mal nicht, denn das ohnehin schon nicht gerade auf Rosen gebettete Land ruiniert sich durch den Krieg immer weiter. Russland hat natürlich Interesse an seinem Schwarzmeerhafen Sevastopol auf der Krim, aber dass dieser Konflikt nun derart eskaliert ist und zurzeit auch kein Ende in Sicht ist, liegt bestimmt nicht im Interesse der russischen Regierung. Die Sanktionen, die deswegen ausgesprochen und nach wie vor aufrechterhalten werden, sind schließlich nicht gerade förderlich für die russische Wirtschaft und die zahlreichen Handelsbeziehungen zu den EU-Ländern. Auch diese leiden unter den Sanktionen, wie Berechnungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WiFo) ergeben, über die auf der Webseite von N24 berichtet wird: Zwei Millionen Arbeitsplätze und 100 Milliarden Euro an Wertschöpfung könnten die europaweiten Folgen der Sanktionen sein.

Mal von den wirtschaftlichen Auswirkungen abgesehen, so wäre ein großer Krieg gegen Russland auch für die EU-Staaten nicht besonders erstrebenswert: Im besten Fall wird dieser konventionell geführt, dann dürfte es aber trotzdem massive Zerstörungen geben, und sollte es zu einem Atomkrieg kommen, dann wäre eh zappenduster. Auch Russland hätte an so einem Konflikt kein Interesse, da klar ist, dass ein Krieg gegen die NATO nicht gewonnen werden kann – die militärische Unterlegenheit ist doch deutlich zu groß.

Da Dinge selten passieren, wenn nicht irgendeiner davon profitiert, sondern alle nur geschädigt werden, sollte man sich hier nun die Frage stellen, wem diese Konfrontation nützt. Und da kommt man dann recht schnell auf die USA. Und die sind ja nun alles andere als nur Zuschauer, sondern ausgesprochen handfest dabei, sodass auch die Vermutung des unbeteiligten zufälligen Nutznießers nicht zutrifft. Zumindest hat Barrack Obama ja 1. Februar dieses Jahres selbst zugegeben bei einem Gespräch mit Fareed Zakaria vom Fernsehsender CNN, dass der Umsturz in der Ukraine, der ja letztlich als Auslöser der ganzen Krise gesehen werden muss, ein US-Deal war. Dies und viele weitere Belege, die auf eine aktive Rolle der USA schließen lassen, können einem Artikel von Hans Springstein auf der Freitag entnommen werden. Auch die hier bei uns schon mal verlinkten Aussagen von George Friedman, Gründer und Vorsitzender des einflussreichen US-Think-Tanks STRATFOR, oder der hochinteressante Artikel (leider nur gegen Bezahlung zu lesen, lohnt sich aber sehr) von Andrew Cockburn in den Blättern für deutsche und internationale Politik, in dem der Autor die US-Diplomatie als Handlanger der Rüstungsindustrie (die über exzellente Verbindungen in die US-Politik verfügt) entlarvt, die seit Ende des Kalten Krieges und Auflösung des Warschauer Paktes gewaltige Umsatzeinbußen befürchtete und somit neue „Geschäftsfelder“ erschließen musste, zeigen, dass es ein großes finanzielles und geopolitisches Interesse der USA gibt, eine Feindschaft zwischen Russland und der EU zu provozieren. Und zurzeit tut die US-Regierung ja auch einiges dafür, dass der Konflikt weiter eskaliert, indem beispielsweise gerade in diesen Tagen Außenminister Ashton Carter die Verlegung von schwerem Militärgerät nach Osteuropa und die Unterstützung einer schnellen NATO-Eingreiftruppe in Europa durch Lufttransporter ankündigt und sogar von neuen US-Atomwaffen in Europa die Rede ist (s. dazu hier und hier).

Doch neben den Interessen der US-Rüstungskonzerne und geopolitischer Strategie kommt noch ein Aspekt hinzu: Die Eurozone ist, was die Größe und die Industrialisierung angeht, ein sich zunehmend (trotz Eurokrise) harmonisierender Wirtschaftsraum, der eine enorme Konkurrenz für die USA darstellt und diesen sogar den Rang als Wirtschaftsmacht Nummer eins ablaufen könnte. Sollte sogar das Worst-Case-Szenario eintreten, und der Euro würde irgendwann den Dollar als weltweite Leitwährung ablösen, hätten die USA ein riesiges Problem, da sie ihre eigen Verschuldung schon seit Längerem nur damit im Griff behalten, indem sie allein schon wegen des Ölhandels, der an den Dollar gebunden ist, immer wieder neue Dollar drucken und damit die große Nachfrage an den internationalen (Devisen-)Märkten danach decken können. Ein Ausbremsen dieses europäischen Konkurrenten, indem versucht wird, die Beziehungen zu dessen wichtigem Handelspartner und Rohstofflieferanten Russland zu kappen, ist also für die US-Wirtschaft durchaus erstrebenswert. Und sollte es tatsächlich zu einem militärischen Ernstfall kommen, so würde dieser eben genau auf dem Territorium dieses Konkurrenten stattfinden und die Eurozone erst mal wirtschaftlich um Jahrzehnte zurückwerfen, wenn nicht sogar komplett zerstören.

Ein weiterer positiver Aspekt eines Krieges in Europa gegen Russland wird deutlich, wenn man sich die von Thomas Piketty dargestellte Funktionsweise des Kapitalismus (hier in einer guten Zusammenfassung von Rainer Rilling für die Blätter für deutsche und internationale Politik zu lesen) vor Augen hält: Da die Rendite auf Kapital in der Regel höher ist als die tatsächliche Wirtschaftsleistung (r > g), droht das System immer wieder zu kollabieren. Zweimal gab es bisher eine Art Reset, nach dem Wirtschaftswachstumsraten erreicht werden könnten, welche die Höhe der Rendite überstiegen, und zwar nach den beiden Weltkriegen im letzten Jahrhundert. Für die sogenannten Eliten (nicht nur) der USA, die ein enormes Interesse daran haben, ein System, was ihre Machtposition ermöglicht hat und festigt, am Leben zu erhalten, würde ein solcher Krieg mit der danach folgenden Aufbauphase einen ordentlichen zeitlichen Aufschub bis zum Kollabieren des Systems bedeuten.

Nun kann man sich die Frage stellen, ob denn die US-Regierung überhaupt moralisch dazu in der Lage wäre, einen solchen Krieg mit seinen katastrophalen Interessen bewusst zu provozieren, und da muss man leider feststellen: Natürlich wäre sie das. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass mit Lügen Kriege angezettelt werden (Vietnam, zweimal Irak), in deren Verlauf Millionen Menschen sterben und ganze Länder verwüstet werden (neben Vietnam und dem Irak wäre hier beispielsweise auch noch Kambodscha, Libyen, Afghanistan zu nennen; s. zur Skrupellosigkeit der US-Politik auch diesen Artikel hier auf unterströmt).

Insofern ist abschließend von meiner Seite aus Oskar Lafontaine zuzustimmen, der auf seiner Facebook-Seite sehr drastische Worte zu dem Thema fand:

„Fuck the US-Imperialism“ – US-„Verteidigungs-“ also -Kriegsminister in Berlin
Der US-Kriegsminister ruft die Europäer dazu auf, sich der russischen „Aggression“ entgegenzustellen. Dabei hätten die Europäer allen Grund, sich der Aggression der USA entgegenzustellen. Der Großmeister der US-Diplomatie George Kennan bezeichnete die Osterweiterung der Nato als den größten Fehler der US-Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, weil sie einen neuen Kalten Krieg zur Folge habe. Die US-Diplomatin Victoria Nuland sagte, wir haben über fünf Milliarden Dollar aufgewandt, um die Ukraine zu destabilisieren. Sie zündeln immer weiter und Europa bezahlt mit Umsatzeinbrüchen im Handel mit Russland und dem Verlust von Arbeitsplätzen.“Fuck the EU“, sagte die US-Diplomatin Nuland. Wir brauchen eine europäische Außenpolitik, die den kriegstreibenden US-Imperialismus eindämmt! Fuck the US-Imperialism! 

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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