Querfront

Der Begriff der sogenannten Querfront erfreut sich zurzeit zunehmender Beliebtheit in der deutschen Öffentlichkeit. Damit ist gemeint, dass sich Linke und Rechte zu einer Art demokratiefeindlichem Bündnis zusammenschließen. Dabei offenbart die Konstruktion dieser angeblichen Querfront mehr über diejenigen, die dies mittlerweile als Kampfbegriff benutzen, als über einen tatsächlichen Schulterschluss komplett entgegengesetzter Pole des politischen Spektrums.

Schon vor einigen Wochen habe ich in zwei Artikeln (hier und hier) beschrieben, wie sehr sich das deutsche Establishment den aufkommenden Rechtsruck und auch den damit einhergehenden rechten Terrorismus zunutze machen. Nun offenbart sich eine weitere Facette dieses Vorgehens gerade aktuell an einem Artikel der NachDenkSeiten, in dem beschrieben wird, wie dieses kritische und nun wahrlich deutlich links angesiedelte Portal mittlerweile als rechts denunziert wird, und das von eigentlich als eher linksliberal geltenden Medien. So wird versucht, kritische Stimmen zu diskreditieren und somit letztlich zum Schweigen zu bringen. Man braucht dafür nur irgendeinen Berührungspunkt mit jemandem, der auch schon mal mit eher rechten Kreisen zu tun hatte, und schon wird die Querfront herbeifabuliert. Dass viele Medien dabei mitmachen, da sie so gegenüber medienkritischen Publikationen ihre durch immer schlechtere journalistische Qualität im Schwinden begriffene Deutungshoheit zu bewahren versuchen, ist nachvollziehbar. Der in der rechten Szene etablierte Kampfbegriff „Lügenpresse“ wird dabei dann als Verbalkeule gegen jede Form der Medienkritik geschwungen.

Auch die große TTIP-Demonstration in Berlin am 10. 10. mit 200.000 bis 250.000 Teilnehmern wurde recht schnell als Querfront-Event bezeichnet, da sich dort beispielsweise wohl auch einige AfDler befanden (so beispielsweise in diesem Artikel auf Spiegel online). Nun, bei einer Demonstration mit einer sechststelligen Teilnehmerzahl ist es reichlich schwierig, jeden Einzelnen, der dort mitläuft, zu überprüfen. Entscheidend ist doch, dass solchen Leuten dort dann kein Forum geboten wurde, und so weit ich das mitbekommen habe, wurde auch in den Redebeiträgen stets auf eine deutliche Abgrenzung zu rechtem Gedankengut hingewiesen. Ausführlich wird das in einem Blogartikel von LobbyControl, die den Protest gegen TTIP mitorganisieren, geschildert, und aus einem Blogartikel von Campact, der sich mit der Demo beschäftigt (auch diese NGO ist Teil der Anti-TTIP-Bewegung) geht deutlich hervor, welche PR-Maßnahmen von den TTIP-Befürwortern gegen die Großdemonstration gestartet wurden. Genau diese Stimmungsmache wird nun natürlich noch von den Querfront-Anschuldigungen befördert. Zwei weitere Artikel zu diesem Thema (hier von den NachDenkSeiten und hier von der spiegelfechter; Letzterer leider nicht mehr aufrufbar) haben wir ja schon mal in unseren Wochenhinweise von KW 42 verlinkt.

Bei dieser Konstruktion einer angeblichen Querfront wird allerdings ein entscheidender Unterschied linken und rechten Denkens einfach nicht beachtet: In einem rechten Weltbild sind Menschen grundsätzlich hierarchisiert, das heißt in Gruppen mit unterschiedlicher Wertigkeit eingeteilt (wobei die Gruppen, zu denen man sich selbst zugehörig fühlt, natürlich immer ganz oben im Ranking angesiedelt sind), als da beispielsweise wären. Nationalität, Hautfarbe, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung usw. Das sieht bei Linken nun schon mal grundsätzlich anders aus, denn hier findet eine derartige Einteilung aufgrund von (meistens) durch Geburt feststehenden Merkmalen nicht statt, Menschen werden vielmehr als grundsätzlich gleich angesehen und dann aufgrund ihres Handelns oder Denkens (manifestiert in ihren Aussagen) bewertet. Daraus resultieren dann auch komplett andere Problemanalysen: Wer rechts denkt, sucht sich einen Sündenbock, der vermeintlich unter ihm steht und der schwächer ist als er selbst, um diesen für die eigenen Probleme verantwortlich zu machen, oder versucht zumindest, den als verantwortlich ausgemachten Personen entsprechende aus seiner Sicht stigmatisierte Eigenschaften zuzuschreiben. Als Beispiel sei hier das gern in diesen Kreisen bemühte „jüdische Finanzkapital“ genannt. Dass mit der Finanzindustrie einiges schon mal im Argen ist, wird durchaus richtig erkannt, aber dann wird die Ursache dafür in einer nicht eben rationalen Erklärung gesucht, die auf religiös-ethnischen Gesichtspunkten basiert, welche als schlecht klassifiziert wurden. Diesem vollkommen irrationalen Vorgehen steht bei einer linken Sichtweise eine Analyse nach den Motiven der Handelnden entgegen. Um mal bei der Finanzindustrie zu bleiben: Hier wird nun Geldgier Einzelner aufgrund von eventuell sogar psychopathischen Veranlagungen als Hauptantrieb genommen, es wird versucht, Zusammenhänge zwischen Akteueren offenzulegen und somit die Komplexität von sich beeinflussenden Systemen (beispielsweise über Lobbyismus, den Drehtüreffekt, mit dem Wechsel von Politik in die Wirtschaft und umgekehrt stattfinden, Einflussnahme auf Gesetzgebungsprozesse usw.) darzustellen. Das ist deutlich mühsamer und ein komplett anderer Ansatz. Auch wenn dann von links und rechts eine zunächst mal ähnliche Aussage erfolgen mag, wie zum Beispiel „Die Finanzindustrie hat einen zu großen Einfluss auf unsere Politiker“, so ergeben sich dann jedoch  kaum noch Überschneidungen, wenn es um die nähere Beschäftigung mit dem Thema geht. Wie soll bei derart unvereinbaren Gegensätzen bitte eine einheitliche Front gebildet werden?

Entlarvend ist es jedoch, dass denjenigen, die dann aufgrund von auch nur im ersten Ansatz ähnlichen Äußerungen eine Querfront herbeireden, es überhaupt nicht beanstandenswert finden, wenn beispielsweise ein Henryk M. Broder regelmäßig in der Welt seine fremdenfeindlichen, sozialdarwinistischen oder auch mal homophoben Äußerungen ablassen darf oder wenn Ikonen der rechten Szene wie Akif Pirincci und Thilo Sarrazin ihre Hetze nicht nur in öffentlich-rechtlichen Medien unwidersprochen verbreiten dürfen (auch die Plattform, die Björn Höcke von der AfD bei Günther Jauch in der ARD vor Kurzem bekommen hat, wäre hier als aktuelles Ereignis noch erwähnenswert), sondern auch noch auf großen Verlagen veröffentlichen sowie Besprechungen und sogar auszugsweise Vorabdrucke in zahlreichen weit verbreiteten Medien bekommen. Aber wehe, ein linker medienkritischer Blogger gibt mal jemandem ein Interview, der auch schon mal irgendjemandem aus der rechte Szene interviewt hat – schon heißt es gleich: „Querfront!“

Die demokratische Kultur des Miteinanderredens gilt also nur für die Medien und Personen, die gern die Deutungshoheit über den öffentlichen Diskurs für sich beanspruchen möchten. Alle anderen, die sich system- oder medienkritisch äußern, werden nun in die rechte Ecke gestellt, wobei teilweise hanebüchene Parallelen hervorgekramt werden. Wie nützlich da doch mal wieder der Rechtsruck und Rechtsterror für unsere sogenannten „Eliten“ sind, die nun jede Form der kritischen Meinungsäußerung mit deren Abschiebung in der rechten Schmuddelecke besudeln können – und wie bequem für die denkfaule Mitte, die nun etwaige geäußerte Bedenken, die auch die eigene Komfortzone tangieren könnten, nun ganz einfach und ohne jede Reflexion abtun kann mit einem einzigen Wort: „Querfront!“

 

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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