Die Anschläge von Paris

Am Freitag, den 13. 11. 2015, haben eine Reihe von Attentätern in Paris mehr als 130 Menschen getötet – in Cafés, bei einem Rockkonzert, auf offener Straße, also anscheinend sehr willkürlich in der Auswahl der Opfer. Es wird von einem radikal-islamistischen Hintergrund der Täter ausgegangen, sie werden im Umfeld des Islamischen Staates (IS) verortet. Die Reaktionen auf diese grauenvollen Geschehnisse offenbaren, wie sehr die konfrontative Politik „des Westens“ gescheitert ist und wie sehr aber dennoch daran festgehalten wird. Was muss also noch geschehen, damit es endlich zu einem Umdenken kommt?

Bei der medialen Resonanz und bei den Solidaritäts- und Beileidsbekundungen in der Öffentlichkeit und in sozialen Medien merkten einige Stimmen schon recht schnell an, dass einen Tag vor dem mörderischen Wüten in Paris in Beirut 40 Menschen ermordet wurden bei einem ebenfalls von radikalen Islamisten verübten Anschlag. Wie war die Reaktion darauf? Kaum wahrnehmbar, denn aus dem Nahen Osten ist man so was ja auch schon irgendwie gewöhnt, da sprengen sich ja dauernd irgendwelche Fanatiker in die Luft. Business as usual, sozusagen.

In Paris sieht das nun ganz anders aus. Natürlich sind durch die geografische Nähe viele Menschen in unserem Land dadurch persönlich mehr betroffen, da sie jemanden persönlich kennen, der in Paris lebt oder gerade dort ist, und diese stärkere Form der individuellen Betroffenheit finde ich auch sehr nachvollziehbar. Alles was darüber hinausgeht, verweist jedoch auf die Wurzeln dessen, was nun zu den Pariser Anschlägen geführt hat: Wir Europäer und Nordamerikaner nehmen die Menschen im Nahen Osten nicht wirklich für voll (s. dazu auch Bernd Ulrichs Kommentar in der Zeit). Klar, die haben dort Öl, und das sollen sie uns gefälligst auch möglichst günstig überlassen, aber was sonst dort los ist, ist uns dabei dann relativ egal. Afghanistan, Irak, Libyen – da werden mal eben staatliche Strukturen komplett zerstört durch militärische Aktionen, ohne das ein Konzept dafür besteht, wie es denn danach dort überhaupt weitergehen soll. Die Folge: Das, was uns nun in Paris in Schrecken versetzt, ist für viele Menschen in den Ländern, in denen unsere Verbündeten und wir aus recht egoistischen Gründen Krieg gespielt haben und immer noch spielen, Alltag. Da werden ständig irgendwelche Zivilisten entweder von skrupellosen Islamisten oder aber von Bomben oder Drohnen (über die Auswirkungen der Drohnenangriffe wissen wir ja spätestens seit den Aussagen von Brandon Bryant recht genau Bescheid, von der Bombardierung des Krankenhauses von Ärzte ohne Grenzen durch US-Streitkräfte mal ganz abgesehen) der NATO-Staaten oder Russlands getötet, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren – eine Aussage, die man nun bei den Opfern von Paris auch häufig gehört hat.

Wer Krieg führt, der muss auch damit rechnen, dass der Gegner zurückschießt. Genau das hat der IS nun in Paris gemacht, und zwar auf eine Art und Weise, die es ihm nicht nur ermöglicht, seinen Kriegsgegner zu treffen, sondern eben auch nachhaltig sinnvoll aus seiner Sicht ist: Wenn nun die Folge dieser Attentate ein steigendes Misstrauen und eine zunehmende Ablehnung von Moslems generell ist, dann ergeben sich in den Reihen der dadurch Ausgegrenzten und Frustrierten neue Rekrutierungspotenziale für den IS. Dass dieser Angriff auf rein zivile Ziele nun heimtückisch, verachtenswert und feige ist, steht außer Frage, aber Krieg ist nun mal eine schmutzige Sache, bei der jeder zu den Waffen und Methoden greift, die ihm zur Verfügung stehen und die den größtmöglichen Erfolg (aus eigener Sicht) versprechen. Die US-Marines waren schließlich von der Taktik des Vietcong auch alles andere als begeistert …

Frankreich bombardiert Stellungen des IS in Syrien und Irak, Frankreich mischt in Mali mit, wo es auch gegen den IS geht, insofern ist Frankreich dann auch aus Sicht der Islamisten ein legitimes Kriegsziel, zumal es auch eher zu erreichen ist als beispielsweise die USA. Was mich dabei vor allem verwundert, ist, dass es nun nach dem Charlie-Hebdo-Attentat Anfang des Jahres nun trotz aller deswegen verstärkter Sicherheitsmaßnahmen (die in Frankreich bestehende Vorratsdatenspeicherung hat hier ja nun anscheinend erneut nichts genutzt) wieder nicht möglich war, einen großen koordinierten Anschlag zu verhindern. Vor allem wenn man dann in der jüdischen Zeitung Haaretz einen Artikel (ist leider nur auf Englisch verfügbar) liest, dass vonseiten des irakischen Geheimdienstes am Tag zuvor wohl Warnungen an die französischen Sicherheitsorgane übermittelt wurden, dass es Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag gäbe. Wurden hier die irakischen Kollegen einfach nicht ernst genommen (was grob fahrlässig wäre) oder aber wurden die Anschläge bewusst in Kauf genommen, da man sich politisches Kapital daraus zu schlagen verspricht (Marine Le Pen und ihr Front National dürften zumindest Nutznießer eines durch die Anschläge gesteigerten Antiislamismus sein)?

Was wird sich nun ändern nach den Pariser Anschlägen? Vermutlich nichts, denn die „Weiter so“-Fraktion tönt schon wieder laut, dass nun mehr Sicherheitsmaßnahmen nötig wäre, die Angst gegen Flüchtlinge wird geschürt (die ja nun mal zu einem großen Teil vor genau denen fliehen, die in Paris gemordet haben), die Umfragewerte für die AfD klettern nach oben. Viele bekunden auf Facebook ihr Mitgefühl und ihre Solidarität, indem sie ihr Profilbild mit der Trikolore unterlegen (zwei kritische Kommentare dazu s. hier auf bento.de und hier in der taz), was im individuellen Fall auch durchaus legitim ist, in der Masse und als quasi von Facebook vorgeschlagene Möglichkeit jedoch schon zu hinterfragen ist: Ist nicht gerade das Bekenntnis zur Nationalität, zu den Nationalfarben eines Staates, der, wie schon geschildert, Krieg führt, ein falsches Zeichen, zumal ja nun auch nicht alle Opfer von Paris Franzosen waren? Sollte Solidarität mit Opfern von Terroranschlägen nicht generell international und losgelöst von staatlichen Grenzen sein? Könnte darin nicht vielleicht sogar eine der Ursachen für die Attentate liegen?

Denn ganz selbstverständlich sprechen wir hier nun von Terror (was solche Anschläge m. E. auch sind), allerdings wird diese Bezeichnung für das, was die Soldaten unserer „Wertegemeinschaft“ in anderen Ländern anrichten, tunlichst vermieden. Das ist dann Krieg, und die zivilen Opfer werden verharmlosend als Kolletaralschäden bezeichnet. Dem Teilnehmer an einer afghanischen Hochzeit, der durch einen Drohnenangriff ums Leben kam, und seinen Angehörigen dürfte es dabei recht ähnlich ergehen wie nun dem Besucher eines Rockkonzerts in Paris, der niedergemetzelt wurde, und dessen Angehörigen. Wer nun die Täter waren und aus welchen ideologisch/religiösen Gründen sie einfach so Menschenleben von Unbeteiligten vernichten, wird vermutlich für diese Menschen eine recht geringe Rolle spielen.

Die Unterscheidung von Krieg und Terror mag für die Opfer recht egal sein, für die öffentliche Rezeption ist sie elementar: Krieg ist irgendwie schon was Legitimes, Terror nicht. Krieg wird durch Soldaten ausgeübt, Terror durch Terroristen (die sich vermutlich genauso als Soldaten für ihre Sache sehen). Krieg suggeriert eine Kontrolle (die es faktisch nicht gibt), Terror ist Chaos (was auch nicht immer der Fall ist, wenn man sich die Logistik und Organisation hinter derartigen Anschlägen wie jetzt gerade in Paris anschaut). Dazu passt es dann auch, dass der IS immer noch als „Terrormiliz“ bezeichnet wird, dabei aber schon längst staatenähnliche Strukturen entwickelt hat. Aber Krieg ist ja auch etwas, das nur von Staaten geführt wird, alle anderen Krieger sind eben Terroristen …

Wenn man in diesem Denken verharrt, wird sich auch keine Lösung ergeben. Diese wäre nämlich darin zu suchen, nicht ständig Terror mit weiterem Terror (auch wenn dieser als Krieg bezeichnet wird) zu beantworten. In diesem verbal manifestierten Ungleichgewicht spiegelt sich nämlich auch das oben schon angesprochene Gefälle in der Wahrnehmung wider: auf der einen Seite wir zivilisierten Europäer und Nordamerikaner mit unseren christlichen Werten, auf der anderen Seite die irgendwie ein bisschen primitiven Araber, Perser und wie die alle heißen mit ihrem komischen Islam. Erst wenn wir aufhören, in diesem Schema zu denken, werden konstruktive Lösungen möglich sein. Diese bestünden zum Beispiel darin, statt Krieg zu führen den Ländern des Nahen Ostens beim Aufbau von Infrastruktur zu helfen, die tatsächlich den Menschen dort zunutze kommt. Denn vor allem derjenige radikalisiert sich und ist entsprechend offen für religiösen Fanatismus, dem es schlecht geht, der sich ungerecht behandelt und verstoßen fühlt und der keine Perspektive entwickeln kann.

Natürlich kostet so was Geld, aber auch Krieg zu führen ist ja nun nicht ganz umsonst. Das Problem dabei: Am Krieg verdienen einige sehr, sehr viel Geld, und das sind genau diejenigen, die eben auch kein Interesse daran haben, dass im Nahen Osten Frieden einkehrt (s. dazu dieses neulich schon mal in unseren Wochenhinweisen verlinkte Interview der NachDenkSeiten mit Mohssen Massarrat). Diese Leute (genauso wie diejenigen, die den Nahen Osten vornehmlich als Öllieferant sehen) haben durch ihr Geld natürlich massive Einflussmöglichkeiten auf Politik und Medien, sodass sich die oben geschilderte Sichtweise immer weiter verfestigt in der Öffentlichkeit. Und dank dieser schnöden Profitgier steht zu befürchten, dass der Anschlag von Paris nicht der letzte seiner Art gewesen sein dürfte …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

6 Gedanken zu „Die Anschläge von Paris“

  1. Georg Restle von der ARD-Sendung Monitor postet auf Facebook treffend zu diesem Thema:

    Naive Träume
    Es ist ein verlockender Gedanke: Terrornester irgendwo da draußen auszuräuchern, dem islamistischen Spuk mit Militärschlägen ein Ende zu bereiten. Ein Endkampf, der die Brut ausrottet, die immer wieder morden lässt. Ein Gedanke, so verlockend, weil er Stärke für sich in Anspruch nimmt und Heldentum und internationale Waffenbrüderschaft im Kampf gegen den einen, den gemeinsamen Feind. So beruhigend, weil er unsere niedersten Bedürfnisse von Rache und Vergeltung befriedigt und so bequem, weil er jeden weiteren Gedanken überflüssig macht. Die alttestamentliche Sehnsucht nach Ausrottung aller Gottlosigkeit, sie lässt uns auch in diesen Tagen nicht los, sie kleidet sich nur neu in Worte von „gezielten Militärschlägen“ und „europäischer Solidarität“.
    Aber es ist und bleibt ein Wunschgedanke, ein naiver Traum vom Endsieg über den Terror. Ein gefährlicher Traum und ein Ausdruck von Schwäche sowieso. Nicht erst die Kriege im Irak und in Afghanistan sollten uns schlauer gemacht haben, mit denen wir den Terror gesät haben, den wir heute ernten. Sondern vor allem ein Gedanke: Es ist ein Krieg, den die Mordgesellen des „IS“ herbeisehnen, weil er ihren apokalyptischen Untergangsphantasien entspricht, ihrer Vorstellung eines Dschihad, der die Welt in Flammen setzt.
    Dabei ist ihr selbsternanntes Kalifat dem Untergang geweiht. Wenn es nicht weiter mit Waffen und Geld versorgt wird. Wenn es auf keine Alliierten mehr vertrauen darf, die vom Westen hofiert werden. Und wenn die Menschen im Irak und in Syrien, im Libanon und in Jordanien wieder eine Perspektive haben. Und ja, hier gibt es einen Zusammenhang zwischen Terror und Flucht: Indem wir den Opfern von Krieg, Armut und Verfolgung hier eine Zuflucht bieten, schaffen wir auch die Voraussetzung dafür, dass ein Wiederaufbau dort gelingen kann. Indem wir ihnen hier vermitteln, dass nur eine offene Gesellschaft eine wahre Perspektive bietet, schaffen wir Veränderung auch dort. Auch so entziehen wir den Ideologen einer mittelalterlichen Diktatur ihre irrwitzige Legitimationsbasis. Nicht heute, aber morgen.
    Es wäre es ein dauerhafter Sieg. Nicht nur über den Terror sondern auch über die Logik militärischer Lösungen, die nichts von dem einhalten können, was sie versprechen.

  2. Anscheinend gab es zumindest noch eine weitere Warnung vor den Anschlägen, und zwar von Tim Ramadan, einem jungen Aktivisten aus Syrien, der schon im Februar über soziale Medien von einem abgehörten Gespräch zweier IS-Kämpfer berichtete, in dem es um genau diese Attentate vom 13. November ging. Dies geht aus einem Artikel des Schweizer Portals Watson hervor. Wofür haben wir als Geheimdienste mit immer mehr Überwachung und Grundrechtseinschränkungen für unsere angebliche Sicherheit, wenn diese nicht mal in der Lage sind, offensichtlich auf Twitter verbreitete Nachrichten auszuwerten?

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