Auch wer nichts tut, bewirkt etwas – aber was? Über Demokratie und Verantwortung

Aus meinen täglichen Netzausflügen ziehe ich ein einfaches Resümee: Viele Menschen sind unzufrieden mit Regierung und Politik. Das ist aus meiner Sicht mehr als verständlich. Und immer wieder kommt auch bei mir die Frage auf: Was kann ich selbst eigentlich bewirken, um etwas zum Positiven zu verändern? 2016 stehen mehrere Landtagswahlen an, 2017 Bundestagswahlen. Zeit also, sich zu informieren, zu vergleichen, zu entscheiden. Was man aber nicht tun kann, ist Nichtstun.

Gestern stolperte ich in eine Diskussion auf Facebook, die mich mal wieder überrascht hat. Die Person, die dort postete, sprach sich gegen TTIP aus und hatte dazu auch gleich den passenden Vorschlag, wie man dies verhindern könne: durch Nichtwählen.

Um ehrlich zu sein, habe ich selten Dümmeres gelesen.

Nun bin ich auch ziemlich kritisch, was Arbeit und Wirken von Regierung und Opposition angeht. Über vieles bin ich verärgert und enttäuscht. Und auch bei mir hat sich eine Politikverdrossenheit eingestellt. Ich habe zwar schon im Hinterkopf, welche Stimme ich wann wem gebe, aber ich werde mir meine Optionen bis zuletzt offenhalten. Zu vieles passiert in letzter Zeit Schlag auf Schlag, Richtungen und Programme verändern sich entsprechend ständig.

Gehe ich aus tiefster Überzeugung für eine Partei wählen? Nein. Ich mache das, was ich schon immer mache: Ich wähle das für mich geringere Übel. Anders – also mit etwas mehr Begeisterung – wäre es mir freilich lieber, aber ich habe auch im Laufe meines Lebens eingesehen, dass „die Regierung“, „die Partei“ etc. letztlich nur aus Menschen bestehen. Und diese sind auch nicht anders oder besser als andere Menschen. Also versuche ich, auf dem Teppich zu bleiben, was Erwartungen angeht.

Wahlverweigerung ist gefährlich

Man sollte glauben, dass jedes Kind es weiß, aber dem scheint ja nicht so zu sein: Auch wer nicht wählen geht, entscheidet mit!

Nehmen wir also Partei A (demokratisch orientiert) und Partei B (mit antidemokratischen Tendenzen). Partei A ist „etabliert“, hat aber im Laufe der Zeit enttäuscht. Die Stammwähler sind sauer. Nun wollen sie „denen da oben“ mal einen Denkzettel verpassen und gehen nicht mehr wählen. Partei B hingegen schafft es, ihre Wähler zu mobilisieren. Vorher hatten Partei A und Partei B je 50 % der Stimmen. Jetzt wählen davon nur noch die Hälfte der Leute, diese aber alle Partei B. Wie viel Prozent bekommt nun Partei B? 100 %? Huch?! Noch Fragen?

Das moralische „Muss“ in einer Demokratie

Sicher, formal heißt es „Wahlrecht“ und nicht „Wahlpflicht“. Wenn ich aber solche Kommentare lese, werde ich direkt sauer:

„Wer wählen will, kann das gerne tun. Den erhofften Unterschied wird es wohl nicht machen. Bin weder dafür, noch dagegen. Ist wie Joggen – wem es gefällt, kann es gerne machen. Es ist weder obligatorisch, noch verheerend.“

(Entnommen aus o. g. Facebook-Diskussion.)

Nein, Wählen ist nicht wie Joggen. Es ist auch nicht vergleichbar mit der Frage: „Schaue ich heute Tatort oder Topmodel?“ Wählen ist ein wesentliches Merkmal einer Demokratie und kein Freizeitsport. Es ist ein Vorrecht, ein Privileg und Teil der Verantwortung, die man übernimmt, wenn man in solch einer Staatsform lebt.

Es ist doch schon traurig genug, dass sich viele Menschen überhaupt nicht mal im Ansatz für Politik und Wahlen interessieren, generell geringe Wahlbeteiligungen legen das zumindest nahe. Aber von Menschen, die immerhin halbwegs nachdenken (und das kann man hier implizieren, auch wenn das o. g. Diskussionsthema auf Facebook für mich fragwürdig ist, aber immerhin wird diskutiert), erwarte ich doch etwas mehr Grips und Verantwortungsgefühl.

Wir sind vielleicht auch zu bequem geworden, und Kritik zu üben ist einfach und in gewisser Weise auch eine Art Freizeitsport geworden, aber: Freiheit – und das verbinden wir doch mit einer Demokratie – wächst nicht auf Bäumen und sollte nicht als selbstverständlich betrachtet werden. Sie mag mit vielen Mängeln behaftet sein, aber dennoch gibt es für unsere jetztige Form des demokratischen Zusammenlebens aktuell keine bessere Alternative.

Auch ist es anscheinend einfacher, „Bedrohungen“ der Demokratie von außen zu sehen (Kriege, Flüchlingsströme …), doch vergessen wir doch dabei nicht, dass wir selbst auch die moralische Verpflichtung haben, ein Mindestmaß an Mitgestaltung zu leisten, darin besteht die Verantwortung jedes Einzelnen.

Also, Leute, informiert Euch, seid aktiv und macht Euer Kreuzchen. Nur macht eins nicht: nichts.

PS: Wahltermine gibt es hier zu sehen: https://www.bundestag.de/wahltermine.

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Tina

Jahrgang 1972, Linkshänderin, mal nett, mal launisch, mag Nudeln, Vodka und Hunde. Meine Texte sind abhängig von Tagesform (siehe Stichwort "launisch") und Tagesaktualität. Grundsätzlich treiben mich Themen wie "Gerechtigkeit" und "Gemeinschaft" um bzw. wie wir als Gesellschaft gut miteinander leben können, ohne Hackordnung, ohne Menschen zurückzulassen.

2 Gedanken zu „Auch wer nichts tut, bewirkt etwas – aber was? Über Demokratie und Verantwortung“

  1. Danke für diesen beherzten Beitrag! Immer wieder erstaunlich, wie unbedacht bei Wahlen das „Standardkreuzchen“ gemacht wird.
    An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf den beliebten Wahl-O-Mat hinweisen. Hier kann sich jeder schnell und unkompliziert einen Eindruck verschaffen, mit welchem Wahlprogramm man die meisten Übereinstimmungen hat. Geniales Werkzeug!

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