Sorgen und Lösungsansätze – eine wichtige Unterscheidung

Immer wieder hört man vonseiten der Politik und auch in den Medien, dass es wichtig wäre, die Sorgen der sogenannten besorgten Bürger, die sich immer weiter nach rechts orientieren, mit Pegida und Co. sympathisieren und die AfD wählen, ernst zu nehmen. Das ist eine recht perfide Strategie, denn im Grunde genommen werden gar nicht die wirklichen Sorgen dieser Menschen ernst genommen, sondern nur Symptome, die sich aufgrund von offerierten Lösungsansätzen zeigen. Da Letztere in der Regel von Rechtsparteien und -populisten stammen, bestärkt man so genau die, deren Einfluss man eigentlich eindämmen möchte.

Dazu möchte ich zunächst mal auf die Sorgen derjenigen zu sprechen kommen, die sich nun vermehrt rechten Parteien zuwenden. Diese sind nämlich durchaus berechtigt und können auch konkret benannt werden: Da wären die Angst vor Arbeitslosigkeit und Altersarmut, das Gefühl, abgehängt zu werden und keine Perspektive mehr zu haben, wenn man denn schon arbeitslos ist, die Beklemmung, die von einer empfundenen Stagnation des eigenen Lebens ausgeht (nichts wird besser), sowie politische Resignation, da irgendwie alle Regierungsparteien der letzten Jahrzehnte (CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP) eine Politik verfolgt haben, welche die Lebensumstände vieler prekarisiert und die Armut wachsen lassen hat.

Dies sind in der Tat sehr ernst zu nehmende Sorgen, die ja mittlerweile auch empirisch und statistisch hinreichend gut belegt sind (zum Beispiel im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes). Doch komischerweise ist von diesen Umständen nur sehr selten die Rede, wenn es um die Sorgen der Bürger mit Rechtsdrall geht.

Unter deren Sorgen werden dann meistens nur die Angst vor Überfremdung, vor fremden Religionen, vor steigender Ausländerkriminalität usw. verstanden. Dass dies keine empirische belegbaren, gerechtfertigten Befürchtungen sind, sieht man ja schon daran, dass sie gerade in Gegenden, in denen es nur seht wenige Ausländer gibt, am eindrücklichsten formuliert und auf die Straße getragen werden. Vielmehr sind diese sogenannten Sorgen bereits ein Teil dessen, was den besorgten Bürgern als Lösung angetragen wurde, und zwar in erster Linie von Rechtsparteien und ihren Organen: „Dir geht es schlecht und du hast Angst vor der Zukunft? Daran sind die ganzen Ausländer schuld! Also sieh zu, dass nicht noch mehr von denen hierherkommen, die wollen dir dein bisschen, was du noch hast, wegnehmen!“

Das Resultat davon ist eine zunehmende Abkehr von logischen Argumenten oder nachvollziehbarem Diskussionsverhalten. Altersarmut droht? Die Flüchtlinge sind schuld! Das ist eine Schlussfolgerung, die mir schon durchaus öfter begegnet ist, obwohl sie natürlich komplett absurd ist: Schließlich hat die damalige rot-grüne Schröder-Regierung im Zuge der Agenda 2010 die gesetzliche Rente demontiert und (sehr zur Freude der Finanzindustrie und des Versicherungswesens) auf die private Rente (Stichwort: Riester) gesetzt, die nun genau das nicht leisten kann, was Kritiker schon von Anfang an anmerkten. Was haben nun bitte die Flüchtlinge damit zu tun? Eben – gar nichts.

Wenn man nun also die vermeintlichen Sorgen der Rechtsbürger ernst nimmt, begibt man sich in den Strudel von deren Irrationalität – und wundert sich dann, dass man argumentativ da nicht weiterkommt. Die Befürchtungen, die sich nun in rassistischen, ausländerfeindlichen und antiislamistischen Äußerungen Bahn brechen, sind eben nicht die Wurzel der Unzufriedenheit und der Ängste dieser Menschen. Und genau dort müsste man sie ernst nehmen, auf diese berechtigten und rational nachvollziehbaren Sorgen eingehen – doch das geschieht so gut wie nicht.

Warum? Meines Erachtens deswegen, weil man damit an den Grundpfeilern der neoliberalen Ideologie rühren würde, und das ist sowohl von CDU/CSU-, SPD-, Grünen- und FDP-Politikern als auch von den meisten Mainstream-Medien nicht zu erwarten. Jahrelang trichtert man den Menschen ein, dass jeder selbst die Verantwortung für sein Leben hat, und dann sollte man auf einmal Systemkritik zulassen oder sogar selbst äußern, die damit einräumen würde, dass der Neoliberalismus eben zunehmend mehr Verlierer produziert?

Also kapriziert man sich auf das, was eben nicht auf systemimmanentes Versagen zurückzuführen ist, sondern was den Besorgten schon als Teil des (natürlich vollkommen falschen und wenig zielführenden) Lösungsansatzes präsentiert wurde. Blöderweise werden diese irrationalen Befürchtungen auf diese Weise rationalisiert, sodass man den Rechtsaußen noch mehr Futter gibt, was zu ihrem weiteren Erstarken führt.

Da ich nicht glaube, dass unsere Politiker dermaßen kurzsichtig sind, um solche Zusammenhänge nicht zu erkennen, bleibt wohl nur die Schlussfolgerung übrig, dass der viel beklagte Rechtsruck als direkte Folge der neoliberalen Ideologie bewusst in Kauf genommen wird – so zu beobachten in gerade vielen westlichen Industrieländern. Wenn sich also demnächst mal wieder Politiker der oben genannten Parteien mit ernster Mine besorgt darüber äußern, dass man dem Abdriften immer größerer Teile der Bevölkerung ins rechte Spektrum entgegenwirken müsse, dann könnt Ihr Euch ziemlich sicher sein, dass Ihr gerade auf recht heuchlerische Art belogen werdet.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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