Polarisierung hilft nicht: Die Welt ist bunt

Die Menschen neigen schon als Kind dazu, die Welt in „Gut & Böse“ einzuteilen (eine Frage, die meine drei Söhne mit fünf bis elf Jahren immer wieder stellen). In der Schule geht es auch bei jeder Benotung um „richtig oder falsch“, um Punkte oder keine Punkte bei jeder Antwort. Wenn man viel Glück hat, dann trifft man auf Verwandte, Lehrer oder Mentoren, die einem Differenzierung in facettenreichen Worten und Bilder lehren. Und wenn man noch mehr Glück hat, dann hat oder nimmt man sich auch als Erwachsener die Zeit, die Dinge differenziert und relativiert zu betrachten (anstatt sich mit den Ablenkungen der modernen Welt die Zeit zu stehlen durch TV, Smartphone, soziale Medien und niemals endende Spielchen).

Aktuell zeigt sich so etwas z. B. bei dem Thema Flüchtlinge (Grenzen auf oder zu?) oder beim „Brexit“ (Für Europa oder dagegen?). Im alltäglichen Leben bekomme ich das aber auch an allen Ecken und Kanten mit: Da wird von „guten oder schlechten Lebensmitteln“ gesprochen oder von „richtigen oder falschen Verschwörungstheorien“. Dabei ist es eher eine Frage der Menge, Dosierung und/oder Präzision: Wie viele Flüchtlinge können aufgenommen werden, wo liegt der Unterschied zwischen Europa und der EU, welche Mengen Salz, Fett oder Genussmittel sollte ich zu mir nehmen und welcher Teil einer Theorie ist glaubwürdig oder denkbar?

Welche Indikatoren hat die Polarisierung?

Eigentlich ist es sehr einfach: Wenn man eine Situation so weit herunterbricht, dass man nur zwei Möglichkeiten hat, sich zu entscheiden, dann haben wir den Salat. Allerdings tritt dieser Zustand meistens unbemerkt auf, da man nur eine Seite der Polarisierung wahrnimmt, die eigene Meinung also „alternativlos“ zu sein scheint. Besonders einfach erkennt man dies (auch im eigenen Sprachgebrauch oder auch hier wieder oft bei Kindern zu beobachten), wenn radikale Worte oder Superlative benutzt werden: „Ich hasse …“, „immer“, „nie“. Oder wenn es heißt: „für oder gegen uns“ oder „dabei oder draußen“.

Warum polarisieren wir?

Auch da ist die Lösung eigentlich einfach: Wir wollen es uns einfach machen (wie z. B. in den letzten Wochenhinweisen der Beitrag in der woz). Der Beitrag schließt auch passend mit einem Ausspruch ab, der die Vereinfachung auf den Punkt bringt: „Zweifel ist anstrengender als Gewissheit.“ Ganz besonders trifft dies bei der Suche nach Zugehörigkeit zu einer Gruppierung zu, die EIN gemeinsamer Nenner vereint („Alle Ausländer raus!“ oder „Tod allen Christen!“). Die Auslöser für diese Vereinfachung sind anscheinend häufig Gefühle wie Überforderung, Gruppenzugehörigkeit und Ängste (nicht dazuzugehören, zu kurz zu kommen oder einfach Furcht vor dem sozialen Abstieg).

Aber was nutzt es, die Welt so differenziert zu betrachten?

In erster Linie ermöglicht es uns, eine Entscheidung zu treffen, ohne diese als endgültige und einzige Lösung anzusehen, wir bleiben also flexibel. Darüber fand sich hier auch auf unterströmt schon einmal ein Beitrag über politische Polarisierung. Ein für mich sehr wichtiger Punkt ist, dass sich Menschen nicht in die komplette Defensive zurückziehen und mit einer „Nutzt doch eh nichts“-Haltung jeden Ansatz im Keim ersticken. Jeder Ansatz hilft, und man kann eine Haltung oder eine Tätigkeit auch schrittweise ausbauen:

  • Sich um seine Daten Gedanken machen, anstatt den Internetanschluss zu kündigen
  • Weniger Fleisch essen, anstatt gleich radikaler Veganer zu werden
  • Mal den Wahl-O-Mat machen und wählen gegen, anstatt AfD-Protestwähler zu sein
  • Dem Fremden erst einmal mit einem Lächeln begegnen anstatt mit blankem Hass
  • Einfach mal spazieren zu gehen, anstatt gleich Leistungssportler werden zu wollen

Was kann ich für mich oder mit anderen tun, um das zu vermeiden?

Wie oben beschrieben kann man beim eigenen Sprachgebrauch mit etwas Aufmerksamkeit die sprachliche Vereinfachung („immer“ und „nie“) oder Vermeidung („Ich hasse …“) entlarven. Wenn solche Indikatoren aus meinem Mund kommen, dann springen gleich die Alarmglocken an, und ich halte inne und überlege noch einmal. Außerdem kann man seinen persönlichen (selbst produzierten) Stress reduzieren, indem man nicht auf jede Nachricht antwortet (Anrufe, SMS, WhatsUp, Social Media wie Facebook & Co …), seine Zeit nicht mit endlos laufenden Spielen „verdaddelt“ und so mehr Zeit für ausgereifte Gedanken hat. Denn: Der beste Ansatzpunkt, um die Welt um uns herum zu ändern, sind wir immer selbst!

Bei anderen ist in den meisten Fällen Hopfen und Malz verloren, denn Gegenargumente werden einfach abgeschmettert (ohne inhaltliche Auseinandersetzung). Am erfolgversprechendsten scheint es mir, mit einfachen/naiven Fragen die Argumente zu hinterfragen, und dazu muss man vor allem ernsthaft und konzentriert zuhören! Auch hier möchte ich exemplarisch noch einmal auf den oben verlinkten Beitrag in der woz hinweisen.

 

 

Print Friendly, PDF & Email

Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

Schreibe einen Kommentar