Den Mund füttern, der Dich beißt

Frei in Umkehr zum Zitat: „Die Hand beißen, die Dich füttert“. Es ist ein Phänomen, das mich immer wieder verwundert: Wie bekommt man einen solchen Gedankensprung hin, dass man die Probleme unserer Gesellschaft einfach den schwächsten Mitgliedern zuschreibt anstatt den Verursachern? Damit ist gemeint, dass es entweder immer die Hartz-IV-Empfänger oder die Ausländer sind, die in Deutschland für Armut und soziale Ungerechtigkeit hinhalten müssen (schön hier in „Mann, Sieber!“ in einem fünfminütigen Playmobil-Schauspiel dargestellt).

Es ist längst bekannt, dass die großen Konzerne weltweit kaum Steuern bezahlen und so den Staat Milliarden kosten. Und es geht nun nicht um die kleinen und mittelständischen Betriebe, sondern um Unternehmen wie Apple und Starbucks oder ganze Wirtschaftszweige wie die Autoindustrie oder die Energieerzeuger. Seit Langem sind es nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen aus dem neoliberalen und konservativen Lager  (FDP und CDU/CSU), sondern auch die „Sozialdemokraten“ (z. B. Herr Gabriel) oder die „FDP mit Dosenpfand“ (Die Grünen, z. B. Herr Kretschmann), die freudig Sozialleistungen kürzen und den sogenannten „Superreichen“ Geschenke machen. Neben Steuergeschenken und fragwürdiger Subventionierung bei ertragsstarken Industrien (Autoindustrie und Pharmaindustrie) gibt es dann auch noch das Phänomen der PPP (Public Private Partnership), oder es wird gleich ein staatlicher geführter Betrieb an die Privatwirtschaft verscherbelt (gerade bei der Gesundheitsversorgung oder Trinkwasser sehr heikel, bei der teilprivatisierten Bahn und der Post nervig), wobei fast immer die Qualität nachlässt und alles für den Konsumenten teurer wird (denn im Gegensatz zum Staat arbeiten Unternehmen nicht für den Bürger, sondern für die Gewinne/Renditen der Investoren und Vorstände).

Ich tue mir als Leidtragender einer solchen Politik also keinen Gefallen, wenn ich ein solches System unterstütze, in welcher Weise auch immer (dieser „Protest“ findet seinen Ausdruck in sinkenden Wahlbeteiligungen und den Protestwahlen mit Stimmen für Piraten oder AfD … oder wie in den USA mit Trump). Dabei verstehe ich die Protestwähler noch am ehesten, auch wenn ich nicht auf die Idee kommen würde, aus Protest neoliberale Volksverhetzer zu wählen! Aber gerade in Sachen „Konsum“ scheinen viele Menschen mit geringem finanziellem Spielraum den Anschluss an die „wohlhabenderen“ Klassen zu suchen: Fastfood und überteuerte Energy-Drinks, Mobiltelefone für Hunderte von Euros (oder mit horrenden monatlichen Grundpreisen), Tablets für die dreijährigen Kinder und Smartphones ab sechs Jahren, Pay-TV und Drei-Meter-Plasmafernseher.

Na klar, das sind teilweise Klischees, und es gibt eine breite Schicht, die sich das nicht erlauben kann, selbst wenn sie es wollte. Aber ich komme aus und lebe in dieser unteren Schicht, ich verkehre täglich mit Menschen, die von Hartz IV leben oder betteln, sich nur durch unversteuerte Nebenjobs über Wasser halten können. Und trotzdem sehe ich, wofür das bisschen Geld dann „verpulvert“ wird: Es wird diesen ausbeuterischen Konzernen in den nimmersatten Hals geworfen, und die bezahlen ihre Lobbyisten dann von genau diesem Geld, um noch mehr zu raffen.

Natürlich möchte ich Wohlstand für alle! Aber das erhalte ich doch nicht, indem ich nicht wähle (und damit den großen Parteien helfe) und den Großkonzernen mein Geld in den Rachen werfe (McDonalds und Burger King, RedBull und Coca-Cola, Samsung und Apple, Starbucks und Balzac, Armani und Gucci, Philip Morris und British American Tobacco …)?! Und komplett falsch läuft es, wenn das Geld, was ich da den Verursachern in den Hals werfe, von der Bank geliehen ist! Dann bezahle ich gleich dreimal für meinen Konsum und habe noch immer nicht das Gefühl, dass mein Hunger nach Anerkennung und Gerechtigkeit gestillt ist. Denn „mehr“ (als genug) kann niemals die richtige Antwort sein, wenn es um das individuelle Glück geht (siehe dazu diesen 22-minütigen Videobeitrag mit Gerald Hüther).

Und genauso weiß ich eben, dass nicht jeder alles haben kann in einer Welt mit begrenzten Ressourcen. Aber jeder könnte genug haben, um ein erfülltes und glückliches Leben zu führen! Oder um es mit den Worten Mahatma Gandhis zu sagen: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ Nun stellt sich natürlich auch die Frage: Was können wir machen, um das zu erreichen? Es wäre ja schön, wenn es auf diese Frage eine einfache Lösung gebe, denn einfache Lösungen sind uns ja leider stets am willkommensten. Bisher scheint die naheliegendste Lösung, einfach den vermeintlich Schwächeren für alles die Schuld zu geben.  Ich kenne keine einfache Lösung! Ich weiß aber, was zumindest in Teilen hilft und was jeder von uns tun und beitragen kann: nicht unnötig konsumieren, um den Konzernen nicht weiter in die Hand zu spielen, und sich politisch beteiligen, um den eigenen Interessen Gehör zu verschaffen.

Oder mit den Worten von Lao-Tse: „Reich ist, wer weiß, dass er genug hat.

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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