Berlin

Nun ist also das eingetreten, was ich (und natürlich auch einige andere Kommentatoren des Zeitgeschehens) schon vor gut einem Jahr nach den Anschlägen von Paris prognostiziert habe (s. dazu diesen Artikel hier auf unterströmt): Auch in Deutschland hat es, so zumindest die derzeitigen Aussagen der Polizei, einen Anschlag auf Zivilisten gegeben, die einfach nur das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Ein Lkw fuhr in den Weihnachtsmarkt in Berlin bei der Gedächtniskirche und tötete zwölf Menschen, viele weitere wurden verletzt. Das ist fürchterlich, vor allem für die Angehörigen der Getöteten und Schwerverletzten. Dennoch muss man natürlich auch auf die Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit schauen – und diese sind auch durchaus als fürchterlich zu bezeichnen.

Das Gepolter von rechtsaußen

Da gibt es zum einen die Politiker von der AfD, aber auch von der CSU (s. dazu diesen Kommentar in der taz), die sofort anfangen, den Vorfall propagandistisch auszuschlachten: Das käme halt davon, wenn man lauter Flüchtlinge ins Land ließe! Dass sich nun gerade herausgestellt hat, dass der zunächst Verhaftete dann doch nicht der Täter sein kann, spielt dabei keine Rolle – auch wenn natürlich auch gleich schon wieder Stimmen von rechtsaußen laut werden, dass es dabei nur darum ginge, das „besorgte Volk“ ruhigzustellen. Klar, unsere deutsche Polizei ist ja auch für ihre ausgeprägt linksliberale Einstellung bekannt …

Wir wissen also noch nicht, wer diesen Anschlag (denn das scheint ja nun recht sicher der Fall zu sein, wenn man den erschossenen polnischen Lkw-Fahrer auf dem Beifahrersitz berücksichtigt) ausgeübt hat. Klar, der IS bekennt sich dazu, aber eben auch erst gut einen Tag danach, was jetzt nicht unbedingt für eine geplante Aktion spricht. Und dass der IS sich gern als Trittbrettfahrer betätigt, ist nun auch keine ganz neue Erkenntnis (s. dazu diesen Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik). Aber dennoch sind irgendwie, wenn es nach den Rechtsextremen im Land geht, die Flüchtlinge daran schuld. Aha …

Die Satireseite Der Postillon hat das auf die ihr eigene Art wieder mal gut auf den Punkt gebracht, wenn dort eine erfundene Nachricht von Ruhestörungsmeldungen von Anwohnern der AfD-Parteizentrale berichtet wird, die in der Nacht von Montag auf Dienstag von lautem Feierlärm gestört worden seien. Genau den Eindruck konnte man in sozialen Medien auch bekommen: Genau auf so ein Ereignis haben die Rechten in unserem Land gewartet.

Befeuert wird so eine Stimmung auch dadurch, dass vonseiten etlicher Medien sofort berichtet wurde, dass es sich um einen Anschlag handele (s. dazu auch diesen Artikel von Roberto J. De Lapuente auf neulandrebellen). Theoretisch hätte es ja auch sein können, dass ein Brummifahrer am Steuer eingepennt sei und dann eben in den Weihnachtsmarkt gekachelt wäre – aber in Deutschland ist die Stimmung eben mittlerweile derart aufgeheizt und von Angst dominiert, dass man sofort von einem Terroranschlag ausging, auch wenn erst mal noch nichts darauf hindeutete. Die ARD war sich sogar nicht zu blöd, gleich mal eine Auflistung der Terroranschläge (auch der verhinderten) der letzten Jahre zu präsentieren – der durch einen Reichsbürger-Terroristen getötete Polizist wurde dabei bestimmt nur aus Versehen „vergessen“ …

Die Betroffenheit der Kriegstreiber

Gehen wir also mal davon aus, dass es sich um einen Terroranschlag gehandelt hat (meines Wissens sind die Ermittlungen zurzeit ja noch nicht abgeschlossen), dann sollten wir uns die Frage stellen: Warum kommt irgendjemand auf die Idee, hier so etwas zu machen? Das Ganze kann man m. E. unter den Begriff der asymmetrischen Kriegsführung fassen (so auch Jens Berger in einem Artikel auf den NachDenkSeiten): Menschen werden in ihrem Land von Krieg heimgesucht, können sich gegen die militärische Übermacht der Gegner nicht wehren und greifen daher zu derartigen Maßnahmen. Natürlich ist das verabscheuungswürdig, so direkt auf zufällig irgendwo anwesenden Zivilisten loszugehen, aber so ist Krieg nun einmal: in erster Linie verabscheuenswürdig.

Und da Deutschland sich auch an derartigen Kriegen beteiligt, bekommen wir nun eben hier auch solche „Kampfhandlungen“ zu spüren. Wer hat denn noch mal beschlossen, dass „wir“ da mitmischen müssen? Genau die Politiker, die nun mit hohlen Phrasen das Geschehen kommentieren und sich mit Betroffenheitsmine auf der Trauerfeier für die Opfer präsentieren. Wenn ich einen Joachim Gauck dort sehe und mich an sein kriegslüsternes Geschwafel von der „glückssüchtigen Gesellschaft“ denke, für die deutsche Gefallene schwer zu ertragen sind, dann frage ich mich, ob man die Ermordeten auf ekelhaftere Weise verhöhnen kann, als dass man diesen Bundespräsidenten bei der Trauerfeier aufmarschieren lässt.

Wobei Gauck natürlich in einer Sache recht hat: Wer Kriege führen will, der wird auch Opfer bringen müssen. Und Kriege werden heute eben anders geführt als noch im letzten Jahrhundert, nämlich auf genau die Weise, die wir jetzt in Berlin und neulich noch in Brüssel oder Paris erleben mussten. Und nun sollen wir und vor allem die Angehörigen der Toten von denjenigen trösten und ermutigen lassen, die genau diesen Krieg bzw. die deutsche Teilnahme daran angezettelt haben? Das ist schon reichlich zynisch, wie ich finde …

Vielleicht sollten sich die Menschen, die nun die Toten beklagen, mal überlegen, ob es so schlau ist, eine Partei zu wählen, die Kriegseinsätze befürwortet. Zumindest muss man sich den Beigeschmack der Heuchelei gefallen lassen, wenn man nun die Opfer betrauert, die man selbst durch sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel mit zu verantworten hat. Wer Krieg wählt, wird Tote bekommen – so einfach ist es leider …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

5 Gedanken zu „Berlin“

  1. Ein recht gutes Statement zum Anschlag von Montagabend hat Jakob Augstein auf seinem Facebook-Profil verfasst:

    Wir wissen nicht, was in Berlin geschah. In einer Zeit, für die das Wort „postfaktisch“ erfunden wurde, ist diese Feststellung wichtig. Es gibt die Toten und die Verwundeten vom Breitscheidplatz, es gibt den toten Polen auf dem Beifahrersitz des dunkelblauen Lastwagens der Marke Scania. Es gibt die zertrümmerten Buden des Weihnachtsmarktes. Die Polizei fahndet nach einem Verdächtigen. Mehr nicht. Der kurzzeitig in Gewahrsam genommenen Pakistani wurde entlassen. Er war es nicht. Dennoch passt das Ereignis von Berlin so sehr zu unseren Erwartungen, dass wir längst zu wissen glauben, was geschehen ist: ein Muslim hat den Anschlag verübt, auf den Deutschland schon so lange wartet. Beinahe eine Erlösung: endlich ist das eingetreten, was die Sicherheitsexperten vorhersagen. Statt von Entsetzen ist das Land darum von grimmiger Entschlossenheit erfasst.

    Wir haben uns schon seit so langer Zeit auf diesen Tag vorbereitet, dass die Feststellung beinahe verwundert: der Angriff auf den Berliner Weihnachtsmarkt ist der erste schwerwiegende Anschlag in Deutschland. Es gab auch schon vorher verletzte Opfer und getötete Angreifer – aber keine Attacke mit so vielen Toten, solcher Verwüstung, solcher Brutalität wie jetzt in Berlin. Der Terror ist nun endgültig nach Deutschland gekommen.

    Es gehört zum Wesen des Terrors, dass nach einer Tat nicht die Opfer im Mittelpunkt stehen, sondern die Überlebenden. Wären die Toten von Berlin Opfer eines Unfalls geworden – ein Fahrer rast in eine Menschenmenge nachdem er die Kontrolle über seinen schweren Lastwagen verloren hat – unser Mitgefühl wäre ganz bei den Verwundeten und den Angehörigen. Und niemand würde fragen: droht uns das jetzt auch? Der Terror aber schiebt die Angst vor das Mitleid. Beides zusammen wird dann zur Wut. Darin liegt die eigentliche Gefahr des Terrorismus. Weit über seine tatsächliche Zerstörungskraft hinaus hat er die Macht, Gesellschaften zu verändern. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich bis heute nicht von den Angriffen des 11. Septembers 2001 erholt. Sie wurden zu einem anderen Land. Auch wenn die Amerikaner das nicht wahrhaben wollen: der Terrorismus hat sie besiegt.

    Die Attacke von Berlin wird diese Wucht nicht entfalten. So grauenhaft sie für die Opfer und ihre Familien ist, ihr Ausmaß war zu begrenzt. Sie genügte aber für eine Positionsbestimmung. Wo in Deutschland die Grenze zwischen Zivilität und Brutalität verläuft, wurde erneut sichtbar. Marcus Pretzell, Chef der AfD in Nordrhein Westfalen twitterte nach dem Anschlag: „Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Es sind Merkels Tote! #Nizza“ Das sorgte für Ekel und Empörung bei der liberalen Mehrheit Landes. Aber für die war die Äußerung auch nicht gedacht.

    Berlin beweist auch, dass das rechte Ressentiment viel weiter reicht als der Wirkkreis der AfD misst. Es ist längst als Illusion entlarvt, dass Merkels Modernisierung CDU und CSU zu im Kern neuen Parteien gemacht habe. Auch CSU-Chef Horst Seehofer kochte auf den Trümmern von Berlin seine trübe Suppe. Seehofer forderte nicht weniger als eine Überprüfung und Neujustierung der deutschen Flüchtlingspolitik: „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren.“

    Dabei spielt es weder für Seehofer noch für Pretzell eine Rolle, dass gar nicht sicher ist, ob der Anschlag überhaupt von einem Flüchtling verübt wurde. Auch das gehört zu den Elementen des Terrors: Ressentiment wird zu Realität.

    Aber auch die Bestwollenden können sich nicht dagegen wehren, dass der Terror ihnen Eindruck macht. Die Worte „Islam“ oder „Muslim“ stehen längst in dichter assoziativer Nachbarschaft zum Begriff Schrecken. Von mal zu mal wird nun bei uns auch das Wort „Flüchtling“ tiefer in den Schmutz der Gewalt gezogen.

  2. Zum Attentat in Berlin am 19. Dezember findet sich ein interessanter Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik.

    Darin werden nicht nur die nun geplanten neuen Sicherheitsmaßnahmen beleuchtet und deren überwiegende Untauglichkeit festgestellt, sondern dort steht auch folgende Passage:

    Das GTAZ wurde 2004 mit eben dem Ziel gegründet, die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus zu koordinieren. Ihm gehören unter anderem das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt an. Beide Behörden unterstehen der Aufsicht de Maizières.

    Bei den Sitzungen des GTAZ stand der Fall Amri zwischen Februar und November 2016 siebenmal (!) auf der Agenda. Die Vertreter der Sicherheitsbehörden kamen überein, es sei „eher unwahrscheinlich“, dass Amri einen Anschlag begehen werde. Im vergangenen September stellten die Behörden die Überwachung daher ein. Allerdings erhielten sie im Anschluss vom marokkanischen Geheimdienst gleich zweimal konkrete Hinweise, dass Amri einen Anschlag plane. Dennoch ging man auch auf der letzten GTAZ-Sitzung am 2. November weiterhin davon aus, dass von dem Tunesier keine akute Terrorgefahr ausgehe.[9] Derzeit ist noch unklar, warum die Warnungen aus Marokko die Behörden nicht veranlassten, die Überwachung Amris wieder aufzunehmen.

    Daraus ergeben sich einige Fragen: Wieso wird nach mehr Sicherheitsarchitektur und umfassenden Überwachungsmaßnahmen, welche die Freiheit aller Bürger einschränken, geschrien, wenn die bereits vorhandenen Gesetze einfach nicht angewendet werden? Und ist es nicht merkwürdig, dass gerade diejenigen durch grob fahrlässige Passivität und Ignoranz auffallen, die nun letztlich aus dem Anschlag am meisten Profit in Form von mehr finanziellen Mitteln und umfassenderen Befugnissen für sich selbst schlagen wollen?

    Der Anschlag von Anis Amri hätte, so die Faktenlage in dem Artikel, ohne Zweifel verhindert werden können – wurde er es u. U. deswegen nicht, weil ein paar Tote Passanten auf einem Weihnachtsmarkt ein „akzeptables“ Opfer dafür sind, um Deutschland weiter in Richtung eines Polizeistaates zu bringen und die Bevölkerung durch zunehmende Angst gefügig dafür zu machen?

  3. Es wird immer offensichtlicher, dass der Anschlag von Berlin von staatlichen Stellen zumindest fahrlässig mitverantwortet, wenn nicht gar geduldet oder sogar gefördert wurde.

    Ein Artikel auf tagesschau.de berichtet, dass der Attentäter Anis Amri schon Anfang November wegen bandenmäßigen Drogenhandels hätte verhaftet werden können. Dies geschah jedoch nicht, und nun wurde auch noch ein diesbezüglicher Bericht vonseiten der Polizei dahin gehend manipuliert (und zudem zurückdatiert), dass der Fall bagatellisiert wird.

    Es wird nun wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt.

    Wir sollten uns also mittlerweile bei jeder Art des Terrors fragen, inwieweit unser eigener deutschet Sicherheitsapparat darin verstrickt ist.

  4. Deutliche Worte fand der Grünen-Politiker und Geheimdienstexperte Christian Ströbele vor Kurzem zum Anschlag von vor etwas einem Jahr laut einem ntv-Artikel: Er spricht davon, dass es einen „ordnende Hand“ gegeben haben muss vonseiten der deutschen Geheimdienste, die den Attentäter Anis Amri ganz bewusst haben gewähren lassen.

  5. Nun bestätigt sich also, was ja bereits seit Längerem vermutet wurde: Eine Mitarbeiterin der Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sagte aus, dass der Attentäter Anis Amri nachrichtendienstlich überwacht wurde, wie ein Artikel in der Berliner Morgenpost berichtet. Sowohl Verfassungsschutz als auch Bundesregierung haben diesbezüglich also die Öffentlichkeit angelogen – klar, mit Angst vor Terrorismus lässt sich auch nur allzu gut Politik machen.

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