Steinmeier

Gestern wurde der neuen Bundespräsident gewählt, und nicht überraschend wurde dies der Kandidat, dem CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne ihre Unterstützung zugesichert haben: Frank-Walter Steinmeier, ehemaliger SPD-Kanzlerkandidat und zuletzt Außenminister der großen Koalition im Bund. Nun kann man auf der einen Seite natürlich froh sein, sich nicht mehr das salbungsvolle neoliberale Zeug von Amtsvorgänger Gauck anhören zu müssen, andererseits kann Steinmeiers Wahl schon als symptomatisch für den derzeitigen Politikbetrieb gesehen werden: immer nur weiter so und bloß nichts ändern – und (fast) alle machen mit.

Steinmeier ist der Kandidat der sogenannten Eliten, was man ja auch daran sieht, dass sich deren parlamentarische Vertretungen auch konsequent (bis auf die AfD, die auch einen eigenen Kandidaten aufstellte, aber mit denen mag ja noch keiner so richtig spielen) hinter ihm versammelt haben. Steinmeier ist ein bestens vernetzter Politiker, einer der Schmiede der Agenda 2010, die ja nun erheblich zur Ungleichverteilung im Land beigetragen hat, und hat zudem noch den schwarzen Fleck von Murat Kurnaz auf seiner Weste, genauso geht auch die Zusammenarbeit von Bundesnachrichtendienst (BND) und dem US-amerikanischen Geheimdienst NSA ein gutes Stück weit auf seine Kappe.

Das Amt des Bundespräsidenten soll ja eigentlich eine integrative Funktion haben, er soll die Menschen in Deutschland ansprechen und ein wenig als ihr Vertreter im tagespolitischen Geschehen auftreten. Präsidenten wie Richard von Weizsäcker (CDU) haben dies beispielsweise über Parteigrenzen hinweg geschafft. Ist nun von Frank-Walter Steinmeier Ähnliches zu erwarten, da er ja immerhin einen Großteil der Parteien hinter sich versammeln konnte?

Ich fürchte eher, dass dies nicht der Fall sein wird. Zum einen kann schon die Wahl von Steinmeier als Exempel dafür gesehen werden, was viele Menschen in Deutschland zurzeit gewaltig stört: Die sogenannten Parteien der Mitte sind kaum noch voneinander unterscheidbar, und die Politik unter rot-grünen, schwarz-gelben oder großkoalitionären Bundesregierungen war in den letzten bald 20 Jahren auch ziemlich die gleiche: als alternativlos betitelter Neoliberalismus, der einige wenige immer reicher und viele immer ärmer macht. Es dürfte kaum jemanden geben, der hierfür, zumal nach einer derartigen Wahl, deren Ausgang schon von vornherein feststand, mehr steht als der neue Bundespräsident. Und der damit die Entfremdung von breiten Teilen der Bevölkerung mit „den Politikern“ und „denen da oben“ weiter manifestieren dürfte.

Dabei hätte es eine Alternative gegeben: Die Linke hatte den Armutsforscher Christoph Butterwegge, von dem wir hier auf unterströmt auch schon öfter Texte empfohlen haben, nominiert, einen renommierten Wissenschaftler, der das Thema soziale Gerechtigkeit als sein Hauptanliegen bezeichnet. Da dieses Thema immer mehr Menschen in Deutschland umtreibt, und zwar nicht nur die, die schon vom neoliberal radikalisierten Kapitalismus abgehängt wurden, sondern auch die, die durchaus berechtigte Abstiegsängste haben, hätte Butterwegge in der Tat ein integrativer Bundespräsident sein können. Immerhin konnte er mit 10,2 % der Stimmen einen Achtungserfolg erzielen.

Und nun haben wir stattdessen einen altgedienten Parteisoldaten auf dem formal gesehen höchsten Amt der Bundesrepublik sitzen, von dem ich eher vermute, dass er als freundlicher Grüßaugust agieren, als dass er wie eine Art „soziales Gewissen“ gegenüber der Regierungspolitik auftreten wird. Doch genau Letzteres wäre dringend notwendig geworden, um die zunehmende Spaltung im Land bzw. zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen ein wenig einzudämmen. Die AfD dürfte sich zumindest über Steinmeier als Bundespräsidenten freuen, denn so kann sie ihre Erzählung des korrupten und am Wohl der Menschen uninteressierten Politestablishments weiterhin erzählen – bei Donald Trump in den USA hat ja genau dies auch ausgesprochen gut geklappt.

Es wurde hier eine m. E. große Chance vertan, die vom Politikbetrieb frustrierten Bürger wieder ein Stück weit mit der Politik zu versöhnen, indem man einen parteilosen Fachmann für soziale Probleme mit guter Reputation in das Amt des Bundespräsidenten gewählt hätte. Aber vielleicht ist das ja gar nicht so gewünscht, denn das Teile-und-herrsche-Prinzip lässt sich ja doch wesentlich besser anwenden, wenn man eine eh schon aufgewiegelte und zerstrittene Bevölkerung zu regieren hat.

Steinmeiers Wahl kann, wenn man diesem Gedanken folgt, durchaus als Belege dafür gesehen werden, dass unsere sogenannten Eliten sich immer mehr an ein nicht mehr funktionierendes System klammern, das ihnen allerdings noch immer genug Privilegien ermöglicht. Der Interessen der übrigens Bevölkerung werden dabei nur als störend empfunden, sodass mit immer kruderen Methoden versucht wird, einfach „den Deckel draufzuhalten“. Steinmeier kann also als symptomatisch angesehen werden für eine sich zunehmend radikalisierende Politik gegen die eigene Bevölkerung. Das mag nun etwas drastisch klingen, gerade auch weil der neue Bundespräsident nun vermutlich von den meisten Medien mit viel Wohlwollen bedacht werden dürfte, aber in angespannten und krisenhaften Zeiten ist einfach ein derart offensichtliches „Weiter so!“ einer der fatalsten Wege, die beschritten werden können.

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Schreibe einen Kommentar