Schon interessant, was Tom Wellbrock da in einem neulandrebellen-Artikel zum kommenden G20-Gipfel schreibt, der am 7. und 8. Juli im Hamburger Schanzenviertel stattfinden soll. Er stellt sich nämlich die Frage, warum ausgerechnet das als reichlich links geltende Quartier zum Austragungsort einer solchen Veranstaltung ausgewählt wurde, denn es ist ja durchaus davon auszugehen, dass die Bundesregierung weiß, was da dann los sein wird – ausgerechnet in der Schanze.
Man hätte das Ganze ja auch irgendwo auf die grüne Wiese legen können, dort wäre dann eine Eskalation, wie sie momentan für den Gipfel zu befürchten ist, wohl kaum zu erwarten gewesen. Insofern kann ich hier Wellbrocks Fazit folgen:
Und die Entscheidung, den G20-Gipfel ins Schanzenviertel zu legen, ist nicht naiv. Nicht unüberlegt. Es ist nicht einmal mehr fahrlässig oder grob fahrlässig. Es ist Vorsatz. Zu einem anderen Schluss kann ich beim besten Willen einfach nicht kommen.
Ahnungslosigkeit scheidet somit wohl als Begründung aus, sich für genau diesen Stadtteil für die Durchführung des Treffens der Staatsmänner der 20 wichtigsten Industrienationen entschieden zu haben. Also mal weiter überlegen: Könnte es dann nicht vielmehr sein, dass man sich auf diese Weise ein Szenario schaffen möchte, dass als Training von Polizei- und vielleicht sogar auch Militäreinheiten bei Unruhen in Städten angesehen wird?
Denn dafür eignet sich die Schanze dann ja auch wieder recht gut, schließlich kann man so gleich zu den Berichten von Straßenschlachten und (para-)militärischen Einätzen in einer deutschen Großstadt Bilder von ehemaligen Ausschreitungen in dem Quartier und rund um die Rote Flora einspielen: „Seht her, das sind linke Chaoten, die waren schon immer so, und die haben das auch gar nicht anders verdient!“ Dieses Narrativ wurde ja schon immer gern in Bezug auf die Schanze erzählt, was ich ja auch bereits schon einmal in einem Artikel hier auf unterströmt thematisiert habe.
Vielleicht erhofft man sich so, einen Konsens zu schaffen in der Öffentlichkeit, dass brutales Vorgehen gegen „Krawallmacher und Ruhestörer“ eine Legitimation bekommt. Denn wer weiß, gegen welche Teile der Bevölkerung man sich noch bald zur Wehr setzen muss, wenn es mit der zunehmenden Ungerechtigkeit und Verarmung immer breiterer Bevölkerungsschichten in Deutschland so weitergeht?
Für so einen „Testlauf“ wäre das Schanzenviertel dann in der Tat eine ideale Wahl – und das würde auch erklären, warum die von Wellbrock angesprochene Absurdität bei der Wahl des Austragungsorts dann doch gar nicht so absurd wäre …
Zumal ja auch gerade einiges getan wird, um den Boden für eine derartige Eskalation zu bereiten: So geht aus einem Bericht des ARD-Magazins Monitor hervor, dass eine Gesetzesänderung geplant ist, nach der schon das bloße Schubsen eines Polizisten, was im Gedränge einer eskalierenden Demonstration wohl mitunter schwer zu vermeiden sein dürfte, mit mindestens drei Monaten Haft bestraft wird. Der Nutzen eines solchen Gesetzes, um tatsächlich Gewalt gegen Polizisten vorzubeugen, wird in dem Bericht auch stark angezweifelt, allerdings könnte es den Effekt haben, dass sich viele Menschen verkneifen werden, unter solchen Umständen noch zu Demonstrationen zu gehen. Dies dürfte dann aber wohl vor allem für die eher Zurückhaltenden zutreffen, die in größeren Menschenmengen eine deeskalierende Wirkung haben können.
Darüber hinaus wird die Polizei mehr und mehr aufgerüstet und militarisiert, was in einem brand eins-Interview mit dem Polizeiwissenschaftler Rafael Behr thematisiert wird:
Nach den Terroranschlägen von Paris etwa hat das Bundesinnenministerium entschieden, Bundespolizisten im Einsatz auf Demonstrationen aufzurüsten. Das sind sogenannte Beweissicherungs- und Festnahme-Einheiten Plus (BFE+) – auch Robocops genannt, weil sie besonders martialisch auftreten. Die haben G36-Gewehre, neue Schutzausstattung und gepanzerte Fahrzeuge. Das Bild vom helfenden, bürgernahen Schutzmann wird derzeit von einer sich militarisierenden Polizei verdrängt. Dazu passt, dass gleichzeitig versucht wird, eine bessere Kontrolle der Polizei zu verhindern. Ein Motor dieser Entwicklung sind die Polizeigewerkschaften, die im Namen der Sicherheit größere Handlungsfreiräume und weniger zivilgesellschaftliche Kontrolle fordern: Wir sollen der Polizei vertrauen und sie nicht kritisieren. Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft denkt man wieder stärker in Freund-Feind-Kategorien. Das sind Vorbedingungen zur Militarisierung der Gesellschaft.
Und als wenn das noch nicht reicht, so werden auch noch zunehmend gemeinsame Übungen von Polizei und Militär durchgeführt, die einen Einsatz der Bundeswehr im Inland, der nicht Hilfsmaßnahmen nach einer Naturkatastrophe geschuldet ist, normalisieren, wie aus einem Interview mit Rolf Gössner, Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, in der jungen Welt hervorgeht.
Zusammengefasst kann man also folgendes Szenario für den G20-Gipfel festhalten: Eine zunehmend martialischer und militärischer auftretende Polizei mit gestärkten Rechten für eigene Übergriffe wird auf eine extrem widerständige Klientel treffen, und das auch noch mitten in einer Großstadt.
Ich fürchte, das wird alles kein Spaß – und dürfte letztendlich dann als Legitimation ausgeschlachtet werden, um unser Land noch weiter in Richtung eines Polizeistaates zu bewegen. Und das alles auch noch mit Ansage.
Von Mathias Schmidt erhielten wir hierzu einen Leserbrief:
Es war fast damit zu rechnen, dass nach diesem Artikel der Vorwurf „Verschwörungstheorie“ kommen würde, allerdings fällt mir gerade auch keine bessere Erklärung dafür ein, warum denn das G20-Treffen nun ausgerechnet in einem Brennpunkt wie dem Schanzenviertel stattfinden soll …
Auch in der jungen welt wundert Kristian Stemmler sich, warum seit 23 Jahren das erste Mal ein Gipfel in einer europäischen Großstadt abgehalten wird: https://www.jungewelt.de/artikel/310446.hamburgs-rollkommando.html