Pulse of Europe

Von reichlich medialer Aufmerksamkeit wird seit einigen Wochen die Bewegung Pulse of Europe begleitet, die in verschiedenen Städten immer sonntags Menschen zusammenbringt, um sich pro Europa zu äußern. Klingt erst mal nach einer guten Sache, gerade in Zeiten von immer lauteren rechten Nationalisten, die immer mehr Menschen mit ihrem rückwärtsgerichteten Denken ansprechen, und generell ist der Gedanke eines kooperierenden oder sogar vereinten Europas ja auch etwas positives. Allerdings gibt es auch ein paar kritische Stimmen zu Pulse of Europe, die nicht aus dem rechten Lager kommen und denen man auch Beachtung schenken sollte.

Doch zunächst mal: Worum geht es bei Pulse of Europe? Die Webseite des mittlerweile seit dem 7. April 2017 eingetragenen Vereins ist zurzeit leider nicht zu erreichen, aber immerhin gibt es schon einen recht umfangreichen Wikipedia-Eintrag dazu – erstaunlich für eine Bewegung, die noch nicht mal ein Jahr alt ist. Aber die Tastatur der medialen PR spielen die Initiatoren durchaus recht geschickt, und dazu gehört ja mittlerweile auch ein Artikel im größten Onlinelexikon.

Dort finden sich dann auch alle möglichen recht allgemein gehaltenen Angaben zur Intention von Pulse of Europe: Man wolle die Menschen motivieren, sich zur europäischen Idee zu bekennen, Pressefreiheit findet man auch super, rechten Nationalismus eher weniger, und die EU soll erhalten werden. Alles irgendwie geeignet, um einen großen Konsens zu erzielen, aber eben auch reichlich wischiwaschi, wie ich finde.

Und das ist auch ein Punkt, der sich bei den Kritikern wiederfindet, so zum Beispiel bei Ulrike Guérot (wie ein Spiegel-Artikel berichtet), den NachDenkSeiten, Fabio De Masi (EU-Abgeordneter von Die Linke), Andrej Hunko (Die Linke) oder Sozialwissenschaftler Steffen Lehndorff und Gewerkschafter Klaus Pickshaus in einem Kommentar in der Frankfurter Rundschau: Der Status quo der EU wird als Zustand so hingenommen, man möchte sich gegen die überall in Europa aufkommenden Rechtsparteien wenden, aber lässt die Analyse außen vor, inwiefern gerade die neoliberale Gestaltung der EU dieses rechte Erstarken befördert hat.

Paul Schreyer schildert in einer Anmerkung auf den NachDenkSeiten seinen Eindruck von der Pulse of Europe-Veranstaltung in Hannover:

Die Bewegung „Pulse of Europe“, von der im Artikel die Rede ist, und die seit kurzem jeden Sonntag in vielen Städten Demonstrationen veranstaltet, erscheint als ein weiteres Symptom für die Sprachlosigkeit zwischen den Lagern. Ich war am vergangenen Sonntag auf der Durchreise zufällig selbst Zeuge einer dieser Demonstrationen am Bahnhof von Hannover. Einige hundert freundliche und sympathisch wirkende Menschen schwenkten EU-Fahnen und wollten offenkundig „Gutes tun“ angesichts von Trump, Brexit etc. Nur – welcher AfD-Wähler wird sich durch das freundliche Schwenken von Fahnen und pauschale Absichtserklärungen argumentativ überzeugen lassen? Wo ist der ernsthafte Dialog mit der Gegenseite, wo das Bewusstsein für diejenigen gesellschaftlichen Probleme, welche Trump oder der AfD die Wähler zutreiben? Es scheint – leider – alles sehr oberflächlich und naiv.

Dieser Eindruck verstärkt sich bei mir auch, wenn ich mir die positiven Stimmen zu Pulse of Europe anschaue, so wie zum Beispiel ein Artikel von Peter Ruhenstroth-Bauer auf dem Blog der Republik. Der Berater und ehemalige Staatssekretär mit SPD-Parteibuch stellt vor allem auf die emotionalen Aspekte der Bewegung ab und bleibt ebenfalls recht vage mit Forderungen oder Kritik an der EU. Na ja, irgendwie hätte man das von jemandem mit seinem Background vielleicht auch nicht gerade erwartet …

Aber auch andere Stimmen aus dem Establishment klingen so, als seien sie direkt aus Pulse of Europe entsprungen, so zum Beispiel der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) im gemeinsamen Interview in den Blättern für deutsche und internationale Politik. Und wenn ich dann von Macron auch noch solche Aussagen dort lese:

Aber darüber hinaus ist diese Europäische Union ein Europa, das schützt – bei Sicherheit und Immigration – und das zu diesem Zweck eine gemeinsame Asylpolitik entwickeln und die europäischen Grenzen wirklich schützen muss. Es ist ein Europa, das den Handel schützt. Als wir Wirtschafts- und Industrieminister waren, haben wir dafür gekämpft, dass Europa seine Stahlindustrie gegen das chinesische Dumping schützt. Nur Europa kann das leisten. Weder Frankreich noch Deutschland können China widerstehen, Europa aber vermag das.

Dann frage ich mich schon, ob das wirklich meiner Vorstellung von der EU entspricht, die da in Abgrenzung von Rechtsparteien und unter Berufung auf den europäischen Gedanken formuliert wird. Meiner Ansicht nach sollte Nationalchauvinismus nicht durch Kontinental- oder Unionschauvinismus ersetzt werden: Dinge wie die Festung Europa oder ruinöser Freihandel mit afrikanischen Staaten sollten vielmehr kritische thematisiert und problematisiert, denn als gegeben angenommen und sogar noch positiv dargestellt werden.

Schließlich muss man auch berücksichtigen, wer die Bewegung Pulse of Europe ins Leben gerufen hat, nämlich ein Anwalt, der aus einem beruflichen Umfeld stammt, dass sich viel mit Privatisierungen von Staatseigentum und ähnlichen neoliberalen Schweinereien beschäftigt hat. In einem Leserbrief an die NachDenkSeiten wird das wie folgt beschrieben:

Hinter diesem PR-Gag in eigener Sache > Brand-Vermarktung, Kundenakquise usw steht die Frankfurter Nobel-Wirtschaftskanzlei Greenfort – ein Spin-Off von Freshfields Bruckhaus Deringer. Einer der beiden „Kämpfer für Europa“ – Dr. Daniel Röder – rekrutiert sich ebenfalls aus dem Kader von Freshfields Bruckhaus. […]

Röder und seine Nobel-Bude haben unter anderem die Privatisierung des Flughafens Frankfurt-Hahn abgewickelt. […]

Das Buch: „Der deutsche Wirtschaftsanwalt 2009: Handbuch für Unternehmen“ – eine Art Lexikon für Unternehmen mit in D. tätigen Wirtschaftskanzleien – schreibt in dem Eintrag zu Greenfort:

Kanzlei-Philosophie:

Greenfort Rechtsanwälte versteht sich als moderne und reaktionsschnelle Einheit. Man löse nicht nur juristische Probleme, sondern verwirkliche mit dem Mandanten konkrete wirtschaftliche Ziele.

Schwerpunkte:

Private Equity/Venture Capital, Mergers & Acquisitions, Joint Ventures, Konzernrecht, Kapitalmarktrecht, Verhandlungsführung.

Daniel Röder treibt aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit auch noch andere um, so zum Beispiel Martin Betzwieser, der als Mitglied der Community von der Freitag dort in Form eines offenen Briefs zehn Fragen an Daniel Röder gestellt hat – eine Beantwortung scheint noch auszustehen …

Es drängt sich also schon so ein bisschen der Verdacht auf, dass Pulse of Europe ein neoliberales Projekt ist, das vor allem die Bessergestellten in Deutschland und Europa ansprechen soll, um sich zur EU zu bekennen. Ist das Ganze also möglicherweise eine Art „Placebo“ der sogenannten Eliten für die Bevölkerung? Die Rechten drohen ja immer mehr aus dem Ruder zu laufen (Brexit, Trump, Le Pen …), sodass nun eventuell ein Gegenpol initiiert werden soll, ohne jedoch wirkliche Veränderungen herbeizuführen. Eine Art Graswurzelbewegung, die „von oben“ initiiert wird, sozusagen. Zumindest finde ich diesen Verdacht nicht ganz von der Hand zu weisen, und man sollte genau im Auge behalten, ob und wann politische Konkretisierungen stattfinden bei Pulse of Europe und wie diese dann aussehen.

Da ich es selbst noch nicht geschafft habe, persönlich auf einer der Veranstaltungen aufzukreuzen, will ich nun aber auch noch auf Berichte von Menschen hinweisen, die dort waren und das Ganze eher positiv empfunden haben, so zum Beispiel Maja Wiens, die in einem Blog-Beitrag auf der Freitag schildert, was sie in Berlin erlebte. Und auch Hellmut Lotz ist in Saarbrücken aktiv bei Pulse of Europe-Veranstaltungen dabei und äußert sich entsprechend optimistisch in einem Beitrag für sein Facebook-Portal Gemeinsam Mensch Sein.

Auch Kabarettist Christoph Sieber war schon vor Ort und bringt durchaus positive Eindrücke mit, die er mit dem eher skeptischen Tom Wellbrock im Rahmen eines etwa halbstündigen sehr interessanten neulandrebellen-Podcast diskutiert. Dabei nähern sich die beiden zunächst sich widersprechenden Positionen nicht nur zunehmend an, sondern es wird auch ein wichtiger Aspekt thematisiert: Man sollte auf den Unterschied achten in der Außendarstellung von den Pulse of Europe-Organisatoren und dem, was auf den Veranstaltungen dann am offenen Mikro gesagt wird.

Und darauf ergibt sich dann auch eine sinnvolle Chance: Es steht ja auch EU-kritischen Menschen frei, auf die Veranstaltungen zu gehen und am offenen Mikrofon auf die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen, welche die oben genannten und verlinkten Kritiker bisher bei Pulse of Europe vermissen – wenn die Bewegung tatsächlich offen ist, dann sollte so was ja nicht so ohne Weiteres geblockt werden können. So besteht die Möglichkeit, die Politisierung und das Interesse an konkreten Inhalten in die Pulse of Europe-Treffen zu tragen. Und sollte dann solchen Stimmen tatsächlich „der Saft abgedreht“ werden, dann wäre zumindest klar, wo der Hase langläuft.

Also vielleicht einfach mal sonntags aufmachen und dort vorbeischauen … Da die Webseite von Pulse of Europe leider gerade nicht funktioniert, kann ich hier nur auf deren Facebook-Präsenz verweisen, wo man dann hoffentlich herausbekommen kann, wann und wo die Veranstatungen stattfinden.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Pulse of Europe“

  1. Auch Mathias Bröckers steht in einem Kommentar auf Rubikon der Bewegung Pulse of Europe eher skeptisch gegenüber, da er auch vor allem ein „Weiter so“ dort erkennt. Zudem sieht er die derzeitige Spaltung in „Europafreunde“ und „Europagegner“ auch recht kritisch.

    Wenn ich dann noch in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 24. April über Pulse of Europe folgendes Statement vom Bewegungsgründer Daniel Röder zu den Vorwahlen in Frankreich lese:

    Die letzten Umfragen hätten gezeigt, dass alles offen sei, sagt Daniel Röder von Pulse of Europe. Zwei der aussichtsreichsten Kandidaten, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon, seien „antieuropäisch und antideutsch“.

    Dann werde ich in meiner Skepsis ebenfalls weiter bestärkt und sehe in der derzeitigen Form vor allem ein neoliberales Spektakel für Fähnchen schwingende EU-Folkloristen, die vor allem die Alternativlosigkeit des Neoliberalismus untermauern wollen, indem sie dessen Existenzberechtigung als Gegengewicht zum Rechtsextremismus hervorheben.

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