Welcome to hell (eine Zusammenfassung von vor Ort)

Seit Tagen Hubschrauber im Minutentakt, auch  die ganze Nacht durch. Massive Probleme, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, und Teile der Stadt sind kaum noch erreichbar. Normalerweise gehen meine Frau, meine drei Söhne und ich gemeinsam auf Demonstrationen gegen TTIP, die Olympiabewerbung oder andere Schweinereien in Hamburg. Aber dieses Mal waren die Ankündigungen von drohender Gewalt so überspitzt, dass wir die Kinder da nicht vor Ort haben wollte. Ein hier nicht namentlich genannter Gastautor war vor Ort, und hier folgen seine Eindrücke.

Ein Gastartikel von anonym. (Der Autor ist ein persönlicher Bekannter und bat darum, nicht namentlich genannt zu werden. Seine Schilderungen fand ich jedoch in Verbindung mit den Fotos sehr interessant.)

Die Straße zwischen Fischmarkt und Landungsbrücken, der Sankt Pauli Fischmarkt, ist ein Tal zwischen einer Flutmauerpromenade und dem Hang hoch zur Hafenstraße.

In diesem Tal nur wenige hundert Meter nach dem Start am Versammlungs- und Kundgebungsort Fischmarkt stoppt die Polizei die Demonstration „Welcome to hell“, weil der sogenannte schwarze Block sich an die Zugspitze gesetzt hat und nicht alle die „Vermummung“ ablegen wollen. Ein großes Polizeiaufgebot versucht die Schwarzen aus dem Zug zu greifen. Seltsamerweise hat das riesengroße Polizeiaufgebot versäumt, die Flutmauerpromenade abzuriegeln. Weshalb die Schwarzen ruckzuck dort hochturnen und im Gewimmel untertauchen. Vielleicht haben der oberste Polizist,  der harte Herr Dudde, und seine Innenminister Grothe genau das gewollt: Wäre ja auch peinlich, wenn die immer wieder vorab verkündete Randale nicht wahr würde.

Die Neugierigen oder etwas Ängstlicheren und das Partyvolk auf den „Bergen“ über dem Tal, wütend auf die Polizei, beginnen, Flaschen zu werfen. Und so hatte die Polizei ihre Meldung: „Als es zu Flaschenwürfen kam, musste die Polizei die Versammlung auflösen.“ Wie oft habe ich diese causale Verdrehung schon erlebt. Inzwischen allerdings schon länger nicht mehr, weil ich länger nicht mehr an Demonstrationen teilgenommen habe. Aber weil auf die gestrige Demo vorab medial so heftig eingeprügelt worden ist, wie ich es noch nie erlebt habe, bin ich hin.

Einiges ist anders: Presseleute tragen zum Beispiel inzwischen Helm wie in Kriegsgebieten, die Demonstranten keine mehr („Passivbewaffnung“, schönes Wort). fliegende Verkäufer bieten kistenweise Bier an wie beim Schlagermove, die Taschen und Polster der schwarzen Kampfmonturen der Sicherheitskräfte und ihre Gimmicks haben sich rasant vermehrt. Und alle knipsen und filmen, ohne dass Demonstranten sie dran zu hindern versuchen. Früher brauchte man eine Fotografiererlaubnis  der Demoleitung, damit keine Polizisten in Zivil die Teilnehmer fotografieren. Das hat sich aber auch wirklich erledigt. Durch Smartphones und vor allem durch die permanente Filmerei der Polizei mit dem neuesten Equipment aus fahrenden Kamerawagen und von Hand, in jedem Trupp eine Art Selfie Stick hoch über den Köpfen.

Aber das Grundmuster ist geblieben: Man sieht schon an den Manövern der Polizei, ob sie vorhaben, den Zug zu sprengen. Und man weiß, sie werden einen Grund finden. Und wenn es die „Vermummung“ ist, die heute selbstverständlich nichts mehr mit Datenschutz zu tun haben darf, sondern die beabsichtigte Begehung von Straftaten belegen soll.

Wie beim Datenschutz hat man auch hier der inzwischen der verrückten Logik zur Herrschaft verholfen, dass, wer nichts zu verbergen hat, auch keinen Datenschutz mehr braucht. Und natürlich keine „Vermummung“. Bisschen zugespitzt: Aus Datenschutz ist Straftat geworden, zumindest Anfangsverdacht. Während umgekehrt proportional die Erfassungsmöglichkeiten steigen. Keine Ahnung, von wem außer der offiziellen Polizei ich abgelichtet worden bin. Eine Gesichtserkennungssoftware („Software“ passt mir da irgendwie nicht:) und ein unangenehmes Wahlergebnis à la USA, Erdogan oder Orban, schon hast Du wunderbare Listen Andersdenkender.

Nach der Auflösung dann, wie vorherzusehen, überall Demo. Ich war lange unterwegs , Reeperbahn rauf und runter. Überall Polizei, wenigstens ein Dutzend Wasserwerfer, am Steuer gerne Frauen, Räumpanzer, Hunderte von Mannschaftswagen, alle großen und kleinen Plätze voll davon, gelangweilte Polizisten aus aller Herren Bundesländer in schwarzer Rüstung, Blaulichtgeflacker und Lärm, dass man die Hubschrauber kaum hört.

Der Heimweg per U-Bahn: Station Sankt Pauli – nur ein geöffneter Eingang. Durchsage: „Auf Anordnung der Polizei hält die U3 nicht am Schlump.“ Also aussteigen „Sternschanze“ am Rande des Sperrgebiets, zu Fuß weiter, quer durch Dutzende Mannschaftswagen, Polizeikette, die nächste Demo, dann wieder zwei Stationen U-Bahn, und als ich an der Osterstraße aus der Erde komme: Viel Feuerwehr und Polizei: Müll hat gebrannt, viele Scheiben sind eingeworfen. Unter anderem: Sparkasse, Douglas, ein kleiner Optiker, O2, Butler, Mon Bijoux, ein Reisebüro, ein Buchladen… Schon die Aufzählung macht deutlich, welcher Schwachsinn diese Art von Sachbeschädigung ist. Die Glaser sind begeistert, die Menschen erschrocken und bestimmt nicht solidarisch, sollte sich hinter den Steinen irgendein inhaltliches Ziel verbergen.

Dazu noch ein paar brennende Autos jeder Sorte. Was lernen wir daraus: Fahr Rad? Mal ganz abgesehen vom Klimaschaden und Feinstaubelastung durch brennende Autos: Wenn man Menschen überzeugen will, wenn man Gerechtigkeit will, muss man sie bei ihren Wünschen abholen, ihnen Hoffnung machen: Erstens das eigene Leben zu verbessern. Und zweitens und im allerbesten Falle das Leben anderer.

Angst machen ist jedenfalls das genaue Gegenteil von Mobilisierung und Befreiung. Angst besorgt das Geschäft derjenigen, die wollen, dass sich niemand etwas traut und zutraut. Angst ist gut fürs Geschäft, gerade auch der Medien. Und wer den Menschen Angst bereitet,  sorgt für Ohnmacht.

Jedenfalls habe ich am Tag danach Muskelkater vom vielen Laufen und bin auch sonst ein bisschen mitgenommen: Die stundenlange Anspannung, verbunden mit der Hoffnung, etwas erreichen zu können, und die Konfrontation – ich erinnere mich: Währenddessen merkt man die Anstrengung nicht. Aber dann, im Bus auf der Rückfahrt, während im Radio die Hoffnung zerstört wird, indem das Statement eines Politikers das gleiche Gewicht bekommt wie das stundenlange Engagement der Vielen. Alles ganz ausgewogen.

Diesmal gibt es auch andere Reaktionen:
http://www.faz.net/aktuell/g-20-gipfel/die-polizei-als-feind-was-der-schwarze-block-will-15095947-p2.html

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