Der arbeitende Eigentümer, das Zwitterwesen des Kapitalismus

Es gibt den klassischen Kapitalisten, wie zu marxschen Zeiten, nicht mehr, wenn es diesen überhaupt je gegeben hat in der von Marx behaupteten Menge außerhalb der industriellen Zentren seiner Zeit. Dieser Kapitalist ist längst durch ein Zwitterwesen, den arbeitenden Eigentümer, ersetzt worden, der vertreten wird von leitenden Angestellten, die in Vorständen das Wohl und Wehe des Unternehmens in ihren Händen halten. Den klassische Kapitalisten, der mit dicker Zigarre mit einem Fingerschnippen über Mensch und Maschine herrscht, den gibt es nicht in so bedeutendem Umfang, dass er einer Betrachtung noch wert wäre. Der neue Kapitalist ist der Finanzkapitalist, und das sind nicht nur die großen 80 der Welt, das eine Prozent, das sind sehr sehr viele Menschen, die über Kapitalanlagen verfügen und die gleichzeitig oft ihrem täglichen Tagewerk, auch in abhängiger Beschäftigung, nachgehen, nachgehen müssen, und die alle zusammengenommen für den Kapitalismus, vor allem politisch, viel wichtiger geworden sind, so meine These, als die, die ganz oben über die Milliarden verfügen können.

Ein Gastartikel von Heinz Peglau

Es gab diesen arbeitenden Eigentümer schon immer, der kleine Selbstständige beispielsweise, der Handwerker und Händler, der oft allein oder mit Familie mitten in seinem Umfeld wichtige Arbeit selbst geleistet hatte, nur ist er aus dem Fokus unseres Denken herausgerückt worden – ist sehr oft den Big Playern zum Opfer gefallen -, und dennoch hat er heute größere Bedeutung denn je in seiner neuen Form als Kapitaleigner, der für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss. Das zu erkennen scheint mir für viele das Problem zu sein, die links als reine Kapitalismuskritik begreifen und sich damit weit von großen Teilen der Bevölkerung entfernt haben.

Ich teile die Behauptung einer generellen Krise des Kapitalismus nicht, denn die ist mir zu einfach und in zu alten – und meiner Ansicht nach – oft überholten Kategorien gedacht. Ich behaupte eher eine Krise des Liberalismus ausmachen zu können, des Wohlstandversprechens, dass dieser eben nicht für alle eingelöst hat und wohl auch nicht mehr wird einlösen können und das noch dazu auf Kosten der Ressourcen und der Umwelt gegangen ist und immer weiter, immer schlimmer zu gehen scheint. Für mich ist das allerdings wenig verwunderlich, denn Übertreibungen haben immer diese Auswirkungen – wie auch der staatskapitalistische Sozialismus gezeigt hat -, und wenn dann solche Übertreibungen mit der Überschätzung des Individuums aufgrund normierter Menschenbilder einhergehen, werden die Folgen, diese Auswirkungen, diese Verwerfungen geradezu zwangsläufig.

Kapitalismus gründet – wie das Geld – auf dem Eigentum, und solange der Mensch Eigentum als für sich notwendig erachtet – und ich sehe nicht, dass sich das auf absehbare Zeit ändern wird, die Star-Trek-Ökonomie wirklich werden könnte -, wird es auch Menschen geben, die auf die Akkumulation von Eigentum – und auch die von Geld – setzen werden. Deshalb „werden dem Kapitalismus auch die Gläubigen erhalten bleiben“, wie eine geschätzte Gesprächspartnerin zutreffend bemerkte.

Ich glaube, dass es die verkürzte Sicht der Marxisten ist, die nur auf das Produktivkapital abzielt – die von den Ökonomen weithin in allen Schulen akzeptiert ist, ja, sogar Teil der Allgemeinbildung geworden zu sein scheint – und zu marxschen Zeiten sicherlich auch bedeutsamer war als heute, die seitdem jedoch die Sicht auf den „wahren“ Kapitalismus, das Eigentümerdenken, verstellt und viele dadurch gezwungen bleiben, nur dessen Versprechungen und Entartungen zu betrachten. Anstatt die Gesellschaft in ihrer Vielfalt auch hier zu erkennen, wird Kapital weiterhin eindeutig vom Menschen abgetrennt – im makroökonomischen Betrachtungen meist sinnvoll, in gesellschaftlichen eher hinderlich – und damit der Mensch in Normen gepresst, die dann in Begriffen wie Homo oeconomicus oder Homo ludens oder Träumen nach einem von der Arbeit befreiten Menschen münden, in Modellen münden, die schnell von der Wirklichkeit falsifiziert werden und viele Visionen sogar zu Dystopien werden lassen könnten.

Für mich läuft der Spalt in der Gesellschaft – ja, unsere Gesellschaft ist längst gespalten, heterogenisiert quasi, weil individualisiert durch den Liberalismus, und schreitet sogar noch darin voran – deshalb entlang des Eigentums und innerhalb dieses Eigentums genauso wie zwischen dem Eigentum und denen, die kein Eigentum ihr Eigen nennen können und sehr wenig sich noch zu besitzen leisten können.

Die marxsche Trennung von Kapitalist und Arbeiter, die von fast allen adaptiert zu sein scheint im linken Spektrum, aber auch darüber hinaus, ist überholt, hat sich im Kapitalismus längst wieder verflüchtigt – wenn es sie denn je gab in dieser behaupteten Reinheit. Der Montagearbeiter bei VW, stellvertretend hier erwähnt, denkt nicht wie der klassische Arbeiter, wird auch nicht so behandelt von der Eigentümerseite, fühlt sich als Eigenheimbesitzer und Boni-Empfänger, als Belegschaftsaktionär dieser Seite sogar meist näher als seinem „Kumpel“ in Zeitarbeit, in prekärer Situation – und viel näher als denen, die draußen vor den Toren stehen müssen.

Das alles hat Folgen, nicht nur ökonomische, sondern auch für die Psychologie des Menschen – insbesondere die Gruppendynamik und die vom Menschen geschaffene Symbolik, die beides den Menschen in seinem Sein mindestens genauso bestimmen wie ökonomische Rahmenbedingungen -, gesellschaftliche und damit letztendlich auch politische.

Die Welt der Ökonomen – und auch die der Politologen, die der TV-Philosophen sowieso – ist nicht die Wirklichkeit; sie ist nur ein bedeutender Ausschnitt, und das gilt es zu bedenken, gerade in Zeiten, wo neue Formen des Miteinanders zu finden sein werden. Die Digitalisierung und die Klimaveränderungen werden uns gar keine andere Wahl lassen, als diese zu finden. Und natürlich wird dies auch den Kapitalismus betreffen müssen, ihn verändern müssen. Aber eines ist der Kapitalismus deshalb mit Sicherheit noch lange nicht: Er ist nicht tot, und er ist auch nicht totzukriegen, wird immer eine Rolle spielen, und auch politisch wird er sich weiter zu Wort melden. Das neue, alte Zwitterwesen des arbeitenden Eigentümers wird ihn nicht sterben lassen, wird ihn immer wieder neu erfinden.

Links sollte darauf endlich eine Antwort finden, sie nicht weiter nur den Konservativen und gar den Marktradikalen überlassen. Denn im Beharren auf Werten, im Nationalismus, im Patriotismus, im Protektionismus, werden sie ebenso wenig zu finden sein wie im Liberalismus. Dafür braucht es die links sich verortenden Menschen, die, die auf der Seite der Schwachen stehen, aller Schwachen weltweit und nicht allein auf der Seite der Macht und der Mächtigen. Links sollte endlich erkennen, dass im Gefüge der Macht auch Eigentümer zu den Schwachen gehören können, meist sogar gehören. Der Shareholder-Kapitalismus ist ein anderer als der, den Marx versucht hat zu beschreiben, was seine Leistungen jedoch nicht schmälern soll. Im Gegenteil, ohne ihn hätte es viele kluge Gedanken nicht gegeben. Nur eben die Zeit, in der er lebte, war eine andere als die, in der wir heute leben, und das gilt es zu erkennen und zu berücksichtigen.

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