Demut statt Patriotismus

In den letzten Wochen habe ich mit unterschiedlichen Menschen über das Thema Patriotismus diskutiert, und auch im politischen und medialen Diskurs taucht das ja immer wieder auf. Ich selbst halte ja nicht allzu viel von dem Konzept, in irgendeiner Form stolz auf sein Land zu sein, da ich Nationalstaaten als recht willkürliche Verwaltungsgebilde ansehe, die sich zudem mittlerweile als immer untauglicher erweisen, um globale Probleme wie die Verwerfungen durch den Welthandel, die Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden, den Klimawandel, die globale Umweltzerstörung, den weltweiten Hunger usw. auch nur ansatzweise lösen zu können.

Das heißt nun allerdings nicht, dass ich nicht froh bin, hier in Deutschland geboren zu sein, denn das bedeutet letztendlich nichts anderes, als einen der Hauptgewinne gezogen zu haben in der Geburtslotterie. Es ist eine feine Sache, wie selbstverständlich (zumindest gilt das noch für den Großteil der hier lebenden Menschen) ein Dach über dem Kopf zu haben, auf sauberes Wasser und medizinische Versorgung zurückgreifen zu können und keinen Hunger leiden zu müssen. Für viel zu viele Menschen auf unserem Planeten sind diese Selbstverständlichkeiten nämlich alles andere als selbstverständlich, sondern eher etwas, was deren Vorstellung vom Paradies nahekommt. Das bedeutet nun natürlich nicht, dass ich hier in das „Deutschland geht es gut“-Gerede einstimmen möchte oder abstreite, dass es auch hierzulande erhebliche Armut gibt, aber generell kann man wohl sagen, dass es armen Menschen in Deutschland immer noch besser geht als beispielsweise armen Menschen im globalen Süden.

Und das ist für mich auch schon ein Aspekt, den ich bei Patrioten nicht nachvollziehen kann und der mich von diesen unterscheidet: Der Patriot ist stolz darauf, dass es „sein“ Land zu Wohlstand gebracht hat, ich allerdings sehe es eher so, dass wir den Wohlstand in Deutschland (und auch in anderen industrialisierten Ländern des globalen Nordens) weniger unseren Tugenden zu verdanken haben, sondern eben vor allem der hemmungslosen Ausbeutung der Länder vor allem Afrikas, aber auch Asiens und Südamerikas. Und genau diesen Aspekt brachte gerade Hagen Rether bei Mitternachtsspitzen sehr treffend auf den Punkt – fünf Minuten, die Ihr Euch unbedingt anschauen solltet!

Wäre somit nicht eher Demut angebracht als Stolz oder gar die gerade dem deutschen Patriotismus gern innewohnende Großmäuligkeit?

Woran liegt es denn, dass gerade die europäischen Länder quasi den Rest der Welt vor einigen Hundert Jahren zu kolonialisieren und damit zu unterjochen begannen, was letztlich dazu führte, dass in Europa der Wohlstand wuchs? Das hat zum Beispiel klimatische Ursachen, denn im gemäßigten europäischen Klima muss man sich nicht so sehr um Dinge wie Bewässerung kümmern, was enorme Ressourcen verschlingt, sondern konnte einfach so Ackerbau betreiben. Dadurch wuchs die Bevölkerungsdichte, sodass eben auch Konflikte aufkamen, die dann mithilfe von Militär ausgetragen wurden – und dieses Militär diente dann später dazu, nicht europäische Länder zu annektieren, die eben nicht über derartigen Armeen, Bewaffnungen und Festungen verfügten. Die so nach Europa gebrachten Rohstoffe machten dann die Industrialisierung überhaupt erst möglich, und da eben die Länder, die die Rohstoffe lieferten, ihren Status auch beibehalten sollten, wurde eben dort eine industrielle Entwicklung unterbunden – notfalls mit Gewalt.

Das ist jetzt nur mal ein Beispiel, warum es irgendwie nicht so richtig angebracht ist, stolz auf die „Leistungen“ des eigenen Landes zu sein, da diese oft genug durch Blut, Schweiß und Elend in anderen Ländern überhaupt erst ermöglicht wurden – und die Grundlagen dafür eher zufällig waren.

Wäre es da nicht viel sympathischer, sich seines Glücks des Geburtsortes bewusst zu sein und dann nicht daraus eine Überheblichkeit gegenüber anderen abzuleiten, die eben nicht dieses Glück hatten? Da mag man nun einwenden, dass das ja Nationalismus sei, aber gerade in Deutschland liegen Patriotismus und Nationalismus ja sehr eng beieinander, wie schon vor Jahren eine Studie ergeben hat, über die beispielsweise ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2012 berichtete.

Das heißt ja vor allem nicht, dass man nun nicht die Gegend mögen kann, in der man aufgewachsen ist oder lebt (das muss ja nicht immer das Gleiche sein). Regionale Verbundenheit ist m. E. auch etwas anderes als nationalstaatlicher Patriotismus und hat vielmehr etwas mit positiv besetzten Gewohnheiten, Erfahrungen und Erlebnissen zu tun. Und letztlich basieren aber auch solche Herkunftsgefühle auf reinem Zufall: Niemand sucht sich aus, wo er geboren wird.

Und niemand sucht sich zudem aus, dass er überhaupt geboren wird, was ja letztendlich die Grundlage des patriotischen Selbstbewusstseins bildet. Stolz zu sein auf etwas, zu dem man selbst überhaupt nichts beigetragen hat, das finde ich schon reichlich schräg. Ich bin zumindest lieber stolz auf Dinge, die ich selbst geschafft oder geleistet habe.

Doch dieser überhebliche Patriotismus wird gebraucht, um unsere derzeitige Weltwirtschaft aufrechterhalten zu können: Nur weil wir (zumindest unbewusst) die Menschen in den Ländern des globalen Südens überwiegend für weniger wertvoll als uns selbst erachten, können wir überhaupt ausblenden, dass wir so massiv auf deren Kosten und über deren Verhältnisse leben, dass unser Lebensstil nur deswegen möglich ist, weil wir diesen Menschen genau das vorenthalten, was wir uns selbst mit großer Selbstverständlichkeit nehmen (s. dazu auch hier).

Mich stört das zumindest. Und natürlich kann ich zwar versuchen, so zu leben, dass ich nicht ganz so viel Schaden anderswo anrichte, aber das geht eben auch nur im beschränkten Maße. Und insofern finde ich, dass Demut (als genaues Gegenteil von Patriotismus) und auch Dankbarkeit eben die passenden Haltungen sind, wenn ich berücksichtige, warum es mir so gut geht, wie das nun mal aufgrund meiner Geburt der Fall ist.

Wie anders wäre die Welt, wenn sich diese Sichtweise ein bisschen weiter verbreiten würde?

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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