Schluss mit der Böller-Idiotie

Zugegeben, die Überschrift klingt erst mal ein bisschen martialisch, aber anders fällt es mir mittlerweile echt schwer, bei diesem Thema zu formulieren. Vor zwei Jahren sprach ich ja schon mal in einem Artikel zu den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht an, dass auch die Knallerei einen erheblichen Anteil an der Eskalation der Situation dort gehabt haben dürfte, und das Ganze ist in der Zwischenzeit leider nicht besser geworden.

Ein Artikel im Stern fasst mal so ein bisschen zusammen, was nur in Berlin alles losgewesen ist in diesem Jahr zu Silvester: 1600 Rettungseinsätze, fünf schwere Amputationen von Händen, Handchirurgen im Dauereinsatz, 7000 Polizeieinsätze, Wohnungs- und Geschäftsbrände, Übergriffe auf Rettungskräfte … Und in Brandenburg haben sich sogar zwei Männer mit Knallkörpern zu Tode gebracht.

Und das alles nur, weil (zum Teil schwer) betrunkene Menschen mit explosiven Sachen rumhantieren, da dies eben eine Tradition ist.

Was noch hinzukommt, ist die erhebliche Umweltbelastung durch die Knallerei. Im letzten Jahr berichtete ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, wie stark die zusätzliche Feinstaubbelastung durch das Silvesterfeuerwerk ist. In diesem Jahr war die Wetterlage diesbezüglich günstiger, sodass hier nicht so extreme Werte erreicht wurden, aber das kann in jedem kommenden Jahr schon wieder anders aussehen – das Wetter ist schließlich eine Zufallssache, an der sich nicht orientiert, ob zu Silvester nun geknallt wird oder nicht. Und selbst wenn wie in einem Artikel auf Spiegel Online krampfhaft versucht wird, die zusätzliche Feinstaubbelastung durch Silvesterböllerei kleinzureden, so kommt man doch zum Ende nicht drum herum, den Hinweis auszusprechen, dass Asthmatiker doch bester in der Silvesternacht die Fenster geschlossen halten sollten.

Und die Zahlen aus Berlin sind nun auch kein derber Ausreißer. Ich meine, dass es vor zwei Jahren allein in Hamburg die Feuerwehr in der Silvesternacht über 1200 Einsätze hatte. Das finde ich schon reichlich viel. Dass da mit den Horden von Besoffenen, die mit explodierenden Sachen schmeißen, noch nicht mehr passiert ist, ist nichts weiter als Glück. Genauso wie solche irrwitzigen Veranstaltungen wie die Loveparade eben jahrelang gutgingen – bis irgendwann dann was Ernsthaftes passiert ist, was sich so im Grunde aber auch schon angekündigt hat. Und dann wird das Geschrei groß sein.

Auch die Tierwelt leider massiv an Silvester: Wer Haustiere hat, kann das oft selbst erleben, wie die pelzigen und gefiederten Freunde in Dauerpanik sind, und auch sterben immer reichlich zu Silvester, weil sie aufgeschreckt werden durch das Geknalle und dann beispielsweise vor Autos laufen.

Was noch hinzukommt: Die ganzen Raketen und Böller werden in der Regel in Plastik verpackt, also entstehen da auch Berge von Plastikmüll (und diese Verpackungen mussten zuvor ja auch noch energie- und ressourcenintensiv hergestellt werden). Und diese liegen dann meistens nach dem Abfackeln der Knallkörper und Raketen auch noch schön überall rum, weil kaum jemand auf die Idee kommt, diese wieder einzupacken und sachgemäß zu entsorgen. Das macht dann ja die Stadtreinigung – und zahlt somit schön die Allgemeinheit.

Was bei mir in Hamburg-St. Pauli noch hinzukommt: Seit Ende November wird fast jede Nacht geböllert. Das ist nicht so witzig, wenn man dann regelmäßig mitten in der Nacht (und mitten in der Woche) aus dem Schlaf gerissen und wach gehalten wird. Und das ist dann eben auch nicht am Neujahrstag vorbei, sondern setzt sich eben auch noch weiter fort in den nächsten Tagen.

Wie man also sieht, hat die Silvesterknallerei erhebliche negative Auswirkungen auf Mensch, Tier und Natur. Wäre es da nicht vielleicht mal zeitgemäß, dass nicht jedes Jahr weiter ausufern zu lassen (die Feuerwerksindustrie erfreut sich Jahr für Jahr steigender Umsätze), sondern einfach mal einen Schlussstrich zu ziehen? Immerhin ist ja ein Silvestergeknalle nichts Lebensnotwendiges, sondern einfach nur Spaß – den Leute auf Kosten von anderen haben.

Ich habe in den letzten Tagen einige Male zu dem Thema diskutiert, und von den Feuerwerksbefürwortern kamen eigentlich nur zwei Argumente: Ein Verbot von privater Knallerei sei eine Einschränkung der Freiheit und Silvesterfeuerwerk sei eben Tradition.

Dazu nur so viel: Ich finde, dass individuelle Freiheit da eingeschränkt werden sollte, wenn sie die Freiheit von anderen Menschen massiv beeinträchtigt. Und das ist beim Silvesterböllern eben massiv der Fall.

Und Traditionen sind oft ein reichlich eklige Sache, wenn sie sich als nicht mehr zeitgemäß herausstellen und zudem nicht beständig überdacht werden. Was hatten wir hier bei uns in Deutschland nicht alles für tolle Traditionen, die heute keiner mehr vermisst: Prügel für Kinder, um da nur mal ein Beispiel zu nennen – wie gut, dass diese Tradition mittlerweile weitgehend abgeschafft wurde!

Ansonsten sagt eigentlich ein Meme von der Zeit schon so ziemlich alles aus zu dieser tollen Tradition:

Wenn man sich nun mal fragt, woher denn dieser Brauch des Knallens zum Jahresausklang überhaupt kommt, dann landet man beim Vertreiben der bösen Geister des alten Jahres, und dies wurde ursprünglich dann weniger mit Knallkörpern und Raketen, sondern mit Rasseln und Trommeln vollzogen, und das auch nicht tagelang, sondern eben zeitlich sehr zentriert. Das ist schon mal weniger belastend für Mensch und Umwelt, oder?

Was spräche also dagegen, den Verkauf von Feuerwerk an Privatpersonen komplett einzustellen und zu untersagen und stattdessen in jedem Ort ein zentrales, von Profi-Pyrotechnikern ausgeführtes Feuerwerk (in größeren Städten gern auch ein paar mehr) zum Jahreswechsel zu veranstalten? Das wäre nicht nur schöner anzusehen als die Massen von dösigen Discounter-Raketen, sondern würde auch aufgrund der räumlichen und zeitlichen Konzentration weniger Müll und Umweltbelastung mit sich bringen.

Und immerhin gibt es auch schon einen Ort, der freiwillig auf diese Idiotie verzichtet: Ramsau in Bayern.

Insofern spricht m. E. wirklich nichts dagegen, endlich auch in Deutschland im 21. Jahrhundert anzukommen und zeitgemäß Silvester so zu feiern, wie es auch in vielen andern Ländern schon üblich ist: stressfrei und ohne Geböller.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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