Ein Rückblick aufs Jahr 2017

Zwischen den Feiertagen zum Jahresende ist es immer an der Zeit, einen Blick zurück auf das vergangene Jahr zu werfen. Und ich wäre froh, wenn dieser mal positiv und optimistisch ausfallen könnte, aber leider setzt sich die Tendenz der letzten Jahre unverändert fort: Es geht weiter bergab, und das in nahezu allen Lebensbereichen. Und: Die menschenfeindlichen Entwicklungen werden auch immer offensichtlicher – was allerdings nur die wenigsten überhaupt auch nur zu interessieren scheint.

Wir erleben zurzeit, wie ein abgewirtschaftetes Wirtschaftssystem mit aller Macht und Gewalt versucht, sich selbst am Leben zu erhalten, sodass sich eine zunehmende Ideologisierung der Politik wahrnehmen lässt. Immer öfter geht es nicht um unterschiedliche Positionen, sondern um Gegner oder gar Feinde, die bekämpft werden müssen. Dies wurde allzu deutlich beim G20-Gipfel in Hamburg Anfang Juli, einem der meistdiskutierten innenpolitischen Ereignisse in Deutschland.

Die Instrumentalisierung dieses Anlasses und der dort stattfindenden Ausschreitungen ist dabei bezeichnend für die aktuelle politische Kultur: Es wird sehenden Auges und mit voller Absicht ein Szenario herbeigeführt, das zu Gewalt und Eskalation führt, die sich diejenigen, die dieses Event geplant haben, augenblicklich zunutze machen – und insofern wohl auch genau so beabsichtigt hatten. Das Linken-Bashing, was nach den Bildern der Krawalle weitgehend sowohl in der Politik als auch in den meisten Medien (und daraufhin in der so aufgewiegelten Öffentlichkeit) einsetzte, war so ekelhaft und undifferenziert wie vorhersehbar.

Wenn man, so wie der neoliberal radikalisierte Kapitalismus, keine positiven Realitäten und Visionen mehr zu vermitteln hat, dann gilt es eben, sich als alternativlos darzustellen und alle möglichen Alternativen deswegen zu diskreditieren.

Und wenn man sich dann das Ergebnis der Bundestagswahl im September anschaut, dann sieht man auch, wie dieses Konzept aufgegangen ist, denn etwa 90 Prozent der Wählerstimmen gingen ja an neoliberale Parteien, die sich zwar in Nuancen unterscheiden (und dies auch in peinlichen, von Politegomanen dominierten Sondierungsgesprächen herauszustellen versuchten), aber letztendlich nichts Grundlegendes an unserem ruinösen Wirtschaftssystem ändern wollen. Weiter so in den Abgrund – das ist das Motto, was die überwiegende Mehrheit der Deutschen (wobei das natürlich schon auch ein internationales Phänomen ist) gewählt hat.

Dass so ein Verhalten, was zum eigenen Schaden ist, ja sogar mit großer Wahrscheinlichkeit zur Zerstörung der eigenen Existenzgrundlage führen wird, als komplett irrational zu bewerten ist, versteht sich da eigentlich von selbst – und ist vor allem durch eine immer offensichtlichere Indoktrinierung durch den überwiegenden Teil der Medienlandschaft (damit diese auch weiterhin ihre Deutungshoheit behält, gibt es ja zunehmende Angriffe auf das Prinzip der Netzneutralität) zu erklären. Das betrifft nun nicht nur Hetzblätter wie BILD, WELT oder Focus mit ihrem Gossenjournalismus, sondern zunehmend auch öffentlich-rechtliche Sender, die zwar mit als Einzige noch ab und zu journalistische Qualität anzubieten haben, in ihren Hauptprogrammen allerdings immer öfter tendenziöse und unsachliche Berichterstattung und Meinungsmache präsentieren.

Und als wenn das alles noch nicht deprimierend genug wäre, so wird auch die Tendenz der Neoliberalen immer offensichtlicher, sich des Rechtsextremismus zu bedienen, um letztlich totalitäre Strukturen implementieren zu können, die zukünftig benötigt werden, um das kollabierende Wirtschaftssystem gegen die immer größere Anzahl Systemverlierer verteidigen zu können. In einigen Stadt- und Landesparlamenten haben CDU und AfD bereits gemeinsam gestimmt, und CSU und FDP sind mittlerweile ja auch inhaltlich kaum noch von den AfD-Rechtsaußen zu unterscheiden. Wenn man diese drei Parteien zusammennimmt, dann haben bei der Bundestagswahl fast 30 Prozent der Wähler für rechte bis rechtsextreme Parteien gestimmt – ich finde, das ist ein ziemliches Alarmsignal.

Zumal ja auch in den staatlichen Institutionen eine immer größere Rechtslastigkeit zutage tritt. Auch hier war G20 ein Beispiel, um dies aufzuzeigen: Dass Demonstranten monatelang in Untersuchungshaft festgehalten wurden, ohne dass ihnen Gewalt- oder Straftaten nachgewiesen werden konnten, von den über 100 Anzeigen gegen Polizisten hingegen noch kein einziges Verfahren eingeleitet wurde, spricht Bände. Auch das immer offensichtlichere rassistische und tendenziöse Verhalten von Polizisten, die nur zu gern mit massiver Gewalt gegen linke Demonstranten vorgehen, rechte Straftäter allerdings lieber ungeschoren davonkommen lassen, tritt immer regelmäßiger auf. Kein Wunder, wenn man dann einen thüringischen Polizisten mit Führungsaufgaben im Thor-Steinar-T-Shirt auf dem AfD-Parteitag in Hannover rumsitzen sieht und zudem berücksichtigt, dass reichlich viele Polizisten in der Reichsbürger-Szene aktiv sind, dann kann man sich vorstellen, welcher Geist dort vorherrscht …

Insofern ist auch die zunehmenden Militarisierung der Polizei mit Besorgnis zu sehen: Panzerfahrzeuge und Sturmgewehre erfreuen sich dort immer größerer Beliebtheit – klar, die Bundeswehr darf ja nach wie vor (zum Glück) nicht im Inland eingesetzt werden, also schafft man dann eben bei der Polizei paramilitärische Strukturen.

Apropos Bundeswehr: Hier hat (nicht nur) der Fall von Franco A. gezeigt, wie tief verwurzelt rechtsextreme Strukturen in der Armee sind. Gut, letztlich auch kein Wunder, da eben strenge Hierarchien, Uniformen und Führungspersönlichkeiten, denen man bedingungslos zu gehorchen hat, tendenziell eher bei Rechten als bei Linken beliebt sind …

Und auch die Geheimdienste sind nach wie vor komplett in rechter Hand, wie man nicht nur am NSU-Komplex allzu deutlich sehen konnte. Dass sich hier mittlerweile Strukturen von einem Staat im Staat entwickelt haben, wird am Anschlag von Anis Amri auf dem Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 deutlich: Auch hier deutet alles darauf hin, dass der Verfassungsschutz dieses Blutbad nicht nur wissentlich geschehen lassen, sondern eben auch ermöglicht hat. Klar, das sind dann ja auch diejenigen, die einen derartigen Anschlag sofort populistisch ausschlachten und für ihre eigenen Interessen (mehr Geld für die Sicherheit, mehr Überwachung usw.) instrumentalisieren.

Da die Ungleichheit nach wie vor stetig zunimmt (global haben mittlerweile nur noch die acht reichsten Menschen so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – immerhin gut 3,5 Milliarden Menschen, aber auch in Deutschland steigt die Armutsquote Jahr für Jahr) und den Neoliberalen schon klar ist, dass dies einen ziemlich starken sozialen Sprengstoff birgt, muss ja schließlich dafür gesorgt werden, dass die mittelfristig zu befürchtenden Unruhen dann auch unterdrückt werden können. Klingt totalitär? Ist es auch, denn wenn man sich anschaut, welche rechtlichen und überwachungstechnischen Maßnahmen die Sicherheitsinstitutionen in immer größerem Maße erhalten, dann stellt man fest, dass totalitäre und repressive Strukturen nicht nur in der Erdogan-Türkei implementiert werden.

Dies ist natürlich kein rein deutsches Phänomen. Gerade bei der Wahl von Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten hat sich ja in der Stichwahl gegen die rechtsextreme Front-National-Kandidatin Marine Le Pen gezeigt, wie sehr dann der Neoliberalismus als alternativlos präsentiert wird, um die (nützlichen Diener der) Rechtsextremen zu verhindern: Entweder man war für Macron oder man war eben ein rechter Le-Pen-Fan – so undifferenziert wurde in den meisten Medien und auch in der Öffentlichkeit argumentiert.

In Österreich ist man da schon einen Schritt weiter, denn dort ist nun nach der Wahl im Oktober zu beobachten, wie gut Marktradikale und Rechtsextremisten Hand in Hand gehen können und nicht nur keine Berührungsängste, sondern auch viele thematische Überschneidungen haben: Politik gegen den Großteil der Bevölkerung und für eine kleine reichte „Elite“. Die meisten FPÖ-Wähler weigern sich allerdings immer noch, das zu kapieren, obwohl die ersten Eindrücke des Regierungsprogramms der ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz genau das offenbaren.

So rückt die EU insgesamt gesehen nicht nur in den osteuropäischen Mitgliedern weiter nach rechts, sondern mittlerweile auch schon in ihrem Zentrum. Aber das passt ja auch gut, um die Abschottungspolitik vor allem gegenüber Afrika weiter voranzutreiben. Auch wenn einem die Bilder der KZ-ähnlichen Lager in Libyen, die dortigen Sklavenmärkte oder die mehr als 3000 im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge eigentlich deutlich zeigen sollten, dass die EU ihre viel beschworenen Werte spätestens bei der Flüchtlingspolitik selbst mit Füßen tritt – die omnipräsenten Rechtsextremen mit ihrem populistischen Gekeife tragen dazu bei, dass immer mehr EU-Bürger ihre Augen vor derartigen Realitäten verschießen und diese eben als gegeben akzeptieren, da man ja den eigenen (noch vorhandenen) Wohlstand bewahren möchte.

Insofern wundert es einen nicht, dass nach den Panama Papers nun auch die vor einigen Monaten veröffentlichten Paradise Papers keine nennenswerten Konsequenzen haben werden. Und dann wird sich vielleicht mal kurz darüber echauffiert, dass der industriehörige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der bis ins Mark korrupten CSU im Alleingang für eine neue 5-Jahres-Zulassung des Totalherbizids Glyphosat auf EU-Ebene durchgedrückt hat, genauso wie sich über seinen Parteikollegen Alexander Dobrindt aufgeregt wurde, der als Bundesverkehrsminister einen Bock nach dem anderen geschossen hat (Dieselskandal, Autobahnprivatisierung, Maut …), aber Konsequenzen an den Wahlurnen gibt es kaum – außer vielleicht, dass noch marktradikalere und noch mehr mit gewissenlosen Karrieristen besetzte Parteien wie die AfD oder die FDP gewählt werden.

Dass dieser Kurs auch außerhalb der EU immer stärker dominiert, wird nicht nur in den USA sichtbar, wo Präsident Donald Trump genau die Klientelpolitik für Reiche und Konzerne betreibt, die von ihm zu erwarten war (außer von seinen realitätsverweigernden bis grenzdebilen Fans), sondern auch in Südamerika, wo nun nach Argentinien und Brasilien auch Chile eine Schwenk hin zum radikalen Neoliberalismus erlebt.

Da wirkt dann die nach wie vor positive Entwicklung in Portugal, nachdem die dortige Linksregierung die von der EU (unter deutscher Vorherrschaft) verordnete Austerität beendet hat, eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein …

Es ist also zu befürchten, dass es auch im kommenden Jahr genauso weitergehen wird, zumal das (immer offensichtlicher bis zur Vollverblödung indoktrinierte) Wahlvolk ja auch nahezu überall mit großer Mehrheit für eine „Weiter so!“ stimmt. Ab und zu werden dann mal ein paar technologische Scheinlösungen (E-Mobilität und autonom fahrende Autos sind hier sehr treffende Beispiele) als Nebelkerzen präsentiert, die dann den Menschen das beruhigende Gefühl geben, dass sie einfach so weitermachen können wie bisher und schon irgendjemand etwas erfinden wird, um den totalen Kollaps des Planten irgendwie noch abzuwenden.

So stellt sich vor allem die Frage: Was rafft uns in den nächsten Jahren zuerst dahin – der Klimawandel oder der überbordende Totalitarismus?

Denn dass die Menschheit sich zu einer progressiven Sichtweise und Politik aufraffen könnte, um diesen beiden Entwicklungen energisch entgegentreten zu können, wird leider von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher …

 

 

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Schreibe einen Kommentar