Futter für die „Alles nicht so schlimm“-Fraktion

Dank des in vielen Teilen Deutschlands eher nasskalten Juli haben ja die Relativierer der Klimakrise gerade Hochkonjunktur: Dann kann es ja alles nicht so schlimm damit sein, und wir können ruhig so weitermachen wie bisher. Umso unschöner, wenn diese Realitätsverweigerer dann noch Bestätigung für ihre Denkweise ausgerechnet vom ZDF bekommen.

Dort findet sich nämlich ein Artikel auf der Sender-Website, in dem es unter dem Titel „Welche Rolle hat der Klimawandel wirklich?“ Kritik an einer Studie präsentiert wird, in der ein Wissenschafter meinte, dass der Klimawandel bei den derzeitigen Hitze- und Dürreperioden in Nordamerika, China und Europas eine „überwältigende Rolle“ spielen würde.

Als Laie, der sich allerdings schon öfter mal mit dem Thema Klimawandel beschäftigt (und beispielsweise hier in diesem Blog ja auch schon darüber geschrieben) hat, finde ich die Aussage der Studie nun nicht weiter verwunderlich. Schließlich ist ja schon seit Längerem bekannt, dass durch die Erwärmung der Arktis der Jetstream schwächer ausfällt, was dazu führt, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete nicht so schnell weitertransportiert werden (s. dazu hier). Mit der Folge, dass deswegen sehr lang anhaltende Regenfälle genauso zunehmen wie Trockenperioden.

Nun hat das ZDF allerdings einen respektablen Experten aufgefahren, der das offenbar anders sieht: Douglas Maraun, Klimawissenschaftler an der Universität Graz und einer der Autoren des sechsten Sachstandsberichtes des Weltklimarates IPCC. Also alles andere als irgendein von der Ölindustrie bezahlter Schwurbelkopp von EIKE oder so was Ähnliches.

Und er meint nun laut ZDF, dass die derzeitigen Hitzewellen auch ohne den Klimawandel so möglich wären:

Laut Studie wäre die Hitzewelle in den USA und Mexiko ohne den Klimawandel praktisch unmöglich gewesen. Diese Aussage würde jedoch nicht bedeuten, dass es ohne Klimawandel keine Hitzewelle gegeben hätte. Diese wäre, so der Wissenschaftler, einfach zwei Grad kälter gewesen.

Das ist ja ein sehr beliebtes Narrativ von denjenigen, die meinen, der Klimawandel wäre ja gar nicht so schlimm, weil es dann eben einfach nur zwei Grad wärmer sein würde. Und das ist ja nun wahrlich nicht so wild, oder? Dass sich die mit dem Thema befassende Wissenschaft eigentlich schon seit Jahren darüber einig ist, dass es bei der Klimakrise vor allem darauf hinausläuft, dass Extremwetterereignisse häufiger auftreten und stärker ausfallen (was wir ja auch gerade sehen können und die kritisierte Studie ebenfalls festgestellt hat), wird da einfach ausgeblendet. Und als Krönung kommt dann noch obendrauf, dass es den Autoren der jüngsten Studie wohl nur um mediale Aufmerksamkeit ginge, gipfelnd in dem Fazit:

Aus Sicht des Wissenschaftlers wäre es transparenter gewesen, die Studienmacher hätten einfach kommuniziert: „Ohne den Klimawandel wären die Hitzewellen zwei Grad kälter gewesen.“

Spätestens jetzt kam mir das Ganze dann schon ein bisschen suspekt vor – der Klimawandel, der also nicht viel mehr ist als eine Art großer globaler Thermostat. Hmm …

Also hab ich mal ein bisschen die Suchmaschine meines Vertrauens angeschmissen und bin dabei auf einige ganz interessante Sachen gestoßen, die diesen Artikel des ZDF dann in etwas anderem Licht dastehen lassen.

So fand ich beispielsweise einen Artikel von science.ORF.at, in dem auch Douglas Maraun zu Wort kommt. Im August 2021 waren nämlich gerade Teile des sechsten IPCC-Berichts bekannt geworden, und das kommentiert Maraun dann folgendermaßen:

Dass das „Schlimmste noch kommt“, hält er freilich nicht für übertrieben, sondern für „trivial“, wie er gegenüber science.ORF.at betont. Denn: „Auch wenn wir sofort alle Treibhausgasemissionen stoppen könnten, würde sich die Erde noch einige Jahrzehnte weiter erwärmen. Und mit jedem Grad Erwärmung wird auch die Gefahr von Hitzewellen, Dürren oder Starkniederschlägen größer.

Ja, hoppla, das liest sich dann ja schon reichlich anders als das, was da beim ZDF stand, oder?Also, nichts von wegen das Gleiche wie bisher, nur zwei Grad wärmer, sondern ganz klar, was sich auch mit meinem Kenntnisstand der Materie deckt: Die Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen wird umso größer, je wärmer die globale Temperatur ist.

Und auch wenn man mal bei Wikipedia schaut, was dort zum sechsten IPCC-Bericht steht, an dem Maraun ja mitgearbeitet hat, dann finden sich dort sehr eindeutige Aussagen:

A.3 „Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Erde aus. Belege für beobachtete Veränderungen bei Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschlägen, Dürren und tropischen Wirbelstürmen und insbesondere deren seit dem Fünften Bewertungsbericht (AR5) haben sich die Hinweise auf den menschlichen Einfluss verstärkt.“

[…]

B.2 „Viele Veränderungen im Klimasystem werden in direktem Zusammenhang mit der zunehmenden globalen Erwärmung größer. Dazu gehören die Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen, marinen Hitzewellen und Starkniederschlägen, landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren in einigen Regionen, und der Anteil intensiver tropischer Wirbelstürme sowie der Rückgang des arktischen Meereises, der Schneedecke und Permafrost.“

B.3 „Die fortgesetzte globale Erwärmung wird voraussichtlich den globalen Wasserkreislauf weiter verstärken, einschließlich seiner Variabilität, der globalen Monsun-Niederschläge und der Schwere von Regen- und Trockenperioden.“

Das ist ja alles ziemlich eindeutig, finde ich. Und hat nichts mit den vom ZDF vorgebrachten Aussagen Marauns zu tun. Hat sich dessen Sichtweise also vielleicht in den letzten zwei Jahren auf wundersame Weise komplett gewandelt?

Was dann ebenfalls verwunderlich ist: Laut ZDF hat Maraun ja behauptet, dass es keine wirklich tauglichen Modelle und Tools gäbe, um solche klimatischen Zusammenhänge zu verifizieren:

Wie sich aber solche Wetterlagen im Klimawandel verändern, ist noch ausgesprochen unsicher, weil die Klimamodelle noch relativ schlecht darin sind, Häufigkeit und Dauer solcher Wetterlagen zu simulieren.

Wie passt das nun mit einer Aussage desselben Wissenschaftler von 2021 zusammen, als laut einem Artikel auf MDR Wissen Folgendes zum Besten gab:

Die Forschenden haben für den Bericht deutlich verbesserte Modelle nutzen können, die Daten seien valider als je zuvor. Und es gibt erstmals einen Fokus auf regionale Entwicklungen, erläutert der Grazer Klimaforscher Professor Douglas Maraun – Leitautor Kapitels über die Verknüpfung von regionalem und globalem Klimawandel. „Das ist für mich die Kernneuheit an dem Bericht“, sagt er.

Tja, was denn nun? Und vor allem frage ich mich: Wenn mir als Freizeit-Blogger solche Widersprüchlichkeiten mit einer kurzen Internetrecherche innerhalb von nicht mal einer halben Stunde auffallen, warum hat das dann beim ZDF offensichtlich niemand bemerkt? Denn sonst hätte man ja Maraun mal damit konfrontieren und ihn fragen können, was denn seinen Sinneswandel bewirkt hat in den letzten zwei Jahren.

Und dann hab ich die Kritik von Douglas Maraun noch einmal gefunden, und zwar mit ziemlich ähnlichem Wortlaut wie in dem ZDF-Beitrag. Allerdings in einem Artikel in der taz vom 1. März dieses Jahres – also einem Zeitpunkt, als die Studie, um die es bei ZDF geht, noch lange nicht veröffentlich wurde. Und die taz geht da auch ein bisschen differenzierter vor, denn es wird deutlich, dass es vor allem um eine Formulierung bei dem Zusammenhang von der Hitzewelle 2021 in Kanada mit dem Klimawandel ging: „nahezu unmöglich“. Das kritisieren Maraun und ein weiterer Wissenschaftler, während eine andere Wissenschaftlerin diese Formulierung verteidigt.

Kann natürlich Zufall sein, dass Douglas Maraun nun die gerade Ende Juli erschienene Studie auf genau die gleiche Weise kritisiert wie eine von vielen Medien verwendete ungenaue Formulierung in Bezug auf die Hitzekatastrophe in Kanada vor zwei Jahren. Ist aber schon irgendwie komisch, oder? Vor allem weil es im März um Wissenschaftskommunikation ging, jetzt aktuell aber um sehr greifbare, konkrete Extremwetterereignisse.

Ich kann jetzt nur spekulieren, was da beim ZDF vor sich gegangen ist, aber mir erscheint es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass man sich dort einfach irgendwelche Aussagen von Klimatologen aus dem Internet rausgesucht und diese dann in einen neuen Kontext gebracht hat, um so eben ein bisschen „Alles nicht so schlimm“-Stimmung zu verbreiten.

Doch warum sollte man das machen? Nun, viele Alphajournalisten und Chefredakteure stehen ja politisch der FPD nahe, und in der Partei gibt es nicht nur Politiker, die den menschgemachten Klimawandel leugnen, sondern eben auch starke Bestrebungen, bloß nicht zu viel Klimaschutz zu machen – wie man ja gerade an der Ampel sehr deutlich sehen kann. Wenn nun eine Studie aufzeigt, dass der Klimawandel jetzt schon zu immer größeren Katastrophen führt, dann ist das natürlich nicht gerade im Sinne von FDP und anderen Ewiggestrigen, die lieber mit Weiter-so-Politik die eigenen Privilegien verteidigen wollen.

Oder war da vielleicht ein etwas minderbegabter Praktikant am Werk, dem vor zwei Wochen die Freundin von einem Last-Generation-Aktivisten ausgespannt wurde und der jetzt diesen „Klimaspinnern“ mal so richtig schön einen reinwürgen will?

Wie gesagt: alles nur Spekulation. Für weitere Erklärungsversuche wäre ich durchaus dankbar.

In jedem Fall schon ziemlich armselig, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender hier auf dermaßen abstruse Weise Stimmung macht.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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