Es ist mal wieder Fußball-EM – und das Land versinkt wieder mal im schwarz-rot-goldenen Taumel. Die gleichen Leute, die gestern noch entsetzt über den Rechtsrutsch bei der Europawahl waren, schreien heute „Deutschland“ und wedeln mit der Fahne rum. Kognitive Dissonanz mal wieder, und zwar par excellence.
Anlässlich dieses Sport-Events habe ich mal in ein paar ältere Artikel reingeschaut, die ich zur Fußball-WM 2014 (s. hier und hier) und danach 2016 zum nicht mehr zu übersehenden Rechtsruck (s. hier) geschrieben habe, und das darin Prognostizierte hat sich leider ziemlich so bewahrheitet. Doch stört das überhaupt jemanden? So gut wie gar nicht, hab ich zumindest den Eindruck, und wenn beispielsweise Sarah Bosetti in einer Folge von Bosetti will reden diesen ihr nicht gerade angenehmen Patriotismus thematisiert, dann hagelt es in der Kommentarspalte darunter auch gleich haufenweise wütende Statements, die letztlich genau das bestätigen, was Bosetti gesagt hat.
Dass Partypatriotismus zu nationalistischen Denkweisen führt, hab ich ja in den oben verlinkten Artikeln bereits thematisiert und dort auch auf eine Studie verwiesen, die genau das herausgefunden hat. Das bedeutet nun nicht, dass jeder, der Deutschlandfahne schwingend Fußballspiele schaut, danach automatisch rechtsextrem wird, sondern zeigt vielmehr auf, dass ebenjener Patriotismus bzw. dessen Normalisierung dazu beiträgt, den gesellschaftlichen Mainstream und Diskurs stetig weiter nach rechts zu verschieben.
Das belegt aktuell auch gerade Thorsten Mense in einem Kommentar in jungle.world, indem er aufzeigt, dass genau dies die Strategie von Rechtsextremen ist. Dazu hat er direkt einmal geschaut, was denn Protagonisten der neuen Rechten zu diesem Thema zu sagen haben:
Dass es einen Zusammenhang zwischen dem »Partypatriotismus« und dem Aufstieg der AfD gibt, kann man übrigens bei den extrem Rechten selbst nachlesen. Dieter Stein, Chefredakteur der Jungen Freiheit, schrieb 2006: »Folgenlos wird diese einmal ausgelebte und von der überwältigenden Mehrheit des Volkes getragene nationale Begeisterung aber nicht bleiben.« Dem »patriotischen Gefühl« werde »die nationale Erkenntnis folgen müssen«.
Götz Kubitschek, der Ideologe des völkischen AfD-Flügels, hat dafür 2019 sogar einen Begriff geprägt: »Nichts dürfte das AfD-Projekt und sein ›politisches Minimum‹ so genau treffen wie der Begriff ›Normalisierungspatriotismus‹. Darin stecken Minimalziel, Anknüpfungsfähigkeit, Ungefährlichkeit, Bezugspunkt, kurz: der kleinste gemeinsame Nenner in einem Wort.«
Kubitscheks Idee hinter dem »Normalisierungspatriotismus« ist, dass der Patriotismus als Türöffner funktioniert, um breite Teile der Bevölkerung anzusprechen und darauf aufbauend rechtsextreme Positionen in die politische Mitte einzuführen. Ganz bewusst bezieht er sich hier auf den gesellschaftlich akzeptierten Patriotismus und nicht auf den in Verruf geratenen Nationalismus, wohlwissend, dass es am Ende dasselbe ist.
Auch wenn man Leuten wie Kubitschek eine ziemliche Grunddummheit attestieren muss, da sie meinen, das, was gestern schon nicht funktioniert hat, könnte tatsächlich die Welt von morgen konstruktiv gestalten, und ihre soziale sowie emotionale Intelligenz reichlich verkrüppelt sind, so haben sie doch – im Gegensatz zu ihrem stupiden Anhang – ein gewisses Maß an intellektuellen Fähigkeiten. Und diese bringen sie halt dazu, nicht nur solche Entwicklungen richtig zu erkennen, sondern auch hemmungslos auszunutzen.
Tja, aber wenn man solche Gedanken zurzeit gerade mal EM-Guckern unterbreitet, dann erntet man leider wenig Verständnis – selbst wenn die Realität ja mittlerweile mehr als deutlich gezeigt hat, dass diese rechtsextreme Strategie sehr gut aufgegangen ist.
Das gilt auch selbst dann, wenn AfD-Politiker und rechte Hetzportale sich negativ über die deutsche Mannschaft äußern, da diese ihnen nicht mehr arisch genug ist (und gut 20 % der Deutschen dieser Aussagen laut einer Umfrage zustimmen). Doch viele der AfD-Wähler sehen das etwas anders: Hauptsache schwarz-rot-gold, wie dieses Beispiel aus den sozialen Medien zeigt – womit der Typ kein Einzelfall ist.
Aber da ist es bei denen wie bei ansonsten eigentlich intelligenten Fußballfans auch, nur eben mit anderen Vorzeichen: Sobald der Ball rollt, wird alles andere ausgeblendet. Und genau das ist es eben, was Kubitschek mit dem „Normalisierungspatriotismus“ meint. Die Resultate können wir mit dem immer offensichtlicheren Rechtsrutsch tagtäglich begutachten,
Aber immerhin hat dieses AfD-Gelaber von der nicht hinreichend weißen Nationalmannschaft aufgezeigt, warum deutscher Patriotismus niemals harmlos ist und sich eben von dem anderer Länder unterscheidet: So ätzend Kolonialismus auch gewesen ist, so hat er doch dazu beigetragen, dass schon lange in Fußballnationalmannschaften von beispielsweise Frankreich, England oder den Niederlanden dunkelhäutige Spieler dabei waren und sogar zu den Stars der Teams gehörten und nach wie vor gehören. Dass die Hautfarbe von Nationalspielern in Deutschland immer noch thematisiert wird, zeigt, dass dem hiesigen Patriotismus ein Blut-und-Boden-Verständnis zugrunde liegt – und dass es deswegen unpassend ist zu sagen, dass man ja nur genauso seinen Nationalstolz zelebrieren möchte wie andere Länder. Dieses biestige Verständnis von Patriotismus in Deutschland basiert nämlich auch auf der Tatsache, dass man nicht automatisch Deutscher ist, wenn man hierzulande geboren wird (was in vielen anderen Ländern der Fall ist), sondern dass es auf die deutschen Vorfahren ankommt (selbst wenn diese vor 100 Jahren nach Kasachstan ausgewandert sind) – und das ist halt die Grundlage völkischen Denkens.
Nun kommen dann ja immer wieder Leute mit dem Argument, dass Fußball doch eigentlich unpolitisch sei. Nicht nur, dass das Unfug ist, weil ein Event dieser Größe, bei dem sich Menschen ausdrücklich zu ihrer Nationalität bekennen, immer eine politische Komponente hat, so wird das Ganze doch auch mit schöner Regelmäßigkeit für politische PR genutzt, weswegen sich bekannte Politiker stets gern im Stadion zeigen. Zudem nutzen ja auch politische Organisationen, vor allem aus dem rechten und konservativen Spektrum, dieses Ereignis zum Stimmungmachen und für politische Aussagen, so wie zum Beispiel das Bündnis Deutschland mit einem Posting auf deren Facebook-Wall:
O. k., das ist nun schon so plump-dämlich, dass es wehtut, aber eben auch genau das, was Patridioten gern sehen.
Tja, und dann gibt es ja auch immer mal wieder Spieler, welche während des Events ihre (teils unappetitliche) politische Ansicht zur Schau zu stellen, so wie beispielsweise gerade der türkische Spieler Merih Demiral.
Der hatte seine beiden Treffer gegen Österreich, die seiner Mannschaft den Weg ins Viertelfinale ebneten, mit dem doppelten „Wolfsgruß“ gefeiert – dem Erkennungszeichen der „Grauen Wölfe“, einer gewalttätigen rechtsextremen türkischen Organisation. Wow, echt super … Das wäre in etwa so, als würde ein deutscher Nationalspieler ein Tor mit dem Kühnen-Gruß feiern. Und bisher hab ich auch noch nicht gehört, dass Demiral (oder am besten gleich die ganze Mannschaft, damit die vielleicht mal kapieren, dass so was inakzeptabel ist) vom Turnier ausgeschlossen wird.
Und dann gibt’s noch eine kleine Anekdote am Rand, die mich in meiner Ansicht bestätigt, dass Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nicht nur nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte ist, sondern auch null politisches Fingerspitzengefühl hat. Da sie gern Fußball schaut, ist sie auch immer wieder bei Spielen der EM dabei (was mit ihrem Amt ja eigentlich nicht wirklich was zu tun hat) und nutzt dann auch gern mal entgegen dem Nachtflugverbot Kurzstreckenflüge – was für eine Vorlage für ihre Kritiker, die sich natürlich auch gleich zu Wort melden und Bearbock vorwerfen, Wasser zu predigen und selbst Wein zu saufen (s. hier). Dagegen kann man dann schlecht was sagen, auch wenn diese Kritik nun vor allem von CDUlern und FDPlern kommt, die sich zudem auch noch gern via BILD äußern.
Dass Baerbock das selbst nicht rafft, würde mich nicht verwundern bei ihren doch eher bescheidenen intellektuellen Fähigkeiten, dass aber auch keiner aus ihrem Beraterstab auf die Idee kommt, ihr von so einem Vorhaben abzuraten, zeigt, mit welcher Arroganz der Macht sich doch viele Politiker durchs Leben bewegen. Und da sowieso gerade alle nur aufs nächste Fußballspiel warten, ist darüber dann vermutlich auch schnell wieder Gras gewachsen …
Apropos Arroganz der Macht: Mit welcher Dreistigkeit die UEFA als ausrichtender und sich die Taschen vollstopfender Verband mittlerweile für einen lukrativen Ablauf des Turniers sorgt, konnte man ja beim Achtelfinale von Deutschland gegen Dänemark sehen. Wenn dann also der Gastgeber, der zugleich auch noch der größte Markt aller Turnierteilnehmer ist, in Rückstand zu geraten droht, dann wird eben der Videoschiedsrichter (VAR) bemüht, um mit zwei ausgesprochen zweifelhaften Entscheidungen innerhalb von zwei Minuten aus einem 0 : 1 ein 1 : 0 zu machen. Den deutschwurstigen Fußballdackel interessiert das freilich nicht, der fährt dann nach dem Spiel trotzdem im Hupkorso durch die Gegend, als gäbe es kein Morgen.
Apropos Hupkorso: Dieser vollkommen dümmliche und unzeitgemäße Brauch zeigt doch vor allem eins: Benzin kostet immer noch viel zu wenig, wenn schon nach jedem dösigen Vorrundenspiel die „Fans“ nichts anderes zu tun haben, als hupend im Kreis durch die Gegend zu fahren und dem zivilisierten Teil der Menschheit auf den Sack zu gehen.
So bleibt für mich nur das Fazit, dass diese Fußball-Großevents jedes Mal ein Stückchen ekliger und widerwärtiger werden – und immer weniger Leute interessiert das, da sie nur ihr eigenes Vergnügen des Fußballguckens im Sinn haben.
Was für kranke Zeiten, in denen wir leben …
So schnell kann’s gehen: Mittlerweile hat die UEFA wohl ein Untersuchungsverfahren gegen Demiral eingeleitet (s. hier). Immerhin etwas …