Das organische Dilemma

Der Mensch, das einzige Lebewesen der Erde, das rationale Entscheidungen trifft und dessen Intelligenz die aller anderer Lebewesen auf diesem Planeten hinter sich lässt. So nehmen die meisten Menschen sich und ihre Umwelt wahr, wobei alle politischen oder kulturellen Gegner natürlich mit ihrer Rationalität „falsch“ liegen. Wie rational kann man sein, wenn andere die genaue Gegenposition für rational halten? Und wie kommen wir darauf, dass Wildtiere ihre Entscheidungen nicht auf der gleichen Grundlage treffen wie wir?

Ich behaupte, dass nahezu alle Säugetiere und wahrscheinlich auch Vögel und Cephalopoden den Großteil ihrer Entscheidungen auf die gleiche Weise treffen: nach ihrem Gefühl. Nennen wir es „Instinkte“ oder „Bauchgefühl“, aber die wenigsten Entscheidungen werden rational getroffen, nur unsere Rechtfertigung uns und anderen gegenüber, die basteln wir uns dann aus vermeintlich logischen Argumenten zusammen. Und worauf beruhen unsere Gefühle? Auf dem biologischen Aufbau unseres Gehirns und bereits gemachten oder eingebildeten Erfahrungen. Letztere sind ein Paradebeispiel, denn wir haben Angst, mit dem Flugzeug zu verunglücken (wohl auch, weil wir darauf wenig Einfluss nehmen können), aber es sterben tausendfach so viele Menschen an den Folgen von Übergewicht, Alkohol oder im Straßenverkehr.

Entsprechend ist Angst vor dem Fremden (Xenophobie) ebenfalls rational und erklärbar: Angst vor dem Unbekannten (ob Menschen, Orte oder sonstige Erfahrungen). Ich gehe sogar so weit zu schreiben: Sie ist zu erwarten und ein unabdingbarer Teil unserer Wahrnehmung und damit auch unserer Gesellschaft. Bis auf wenige Ausnahmen, die das Abenteuer suchen und das Fremde und Unbekannte als Wissenslücke oder Chance begreifen, sind wir Säugetiere ängstlich gegenüber dem, was wir nicht einschätzen können. Entsprechend gibt es auch nur eine einzige Lösung für dieses Dilemma: Wir müssen kennenlernen, was wir nicht kennen, wenn, ich betone „wenn“, wir diese Ängste überwinden wollen.

Das fällt uns leichter, wenn es um eine neue Geschmacksrichtung eines Cocktails geht, der aus uns bereits bekannten und ungiftigen Inhaltsstoffen besteht. Es fällt uns schwerer, wenn wir keinerlei Vorerfahrung haben oder wir auf die Erfahrungen anderer zurückgreifen. Um uns die eigenen Gefühle zu erklären, ist dann „Hörensagen“ genauso herbeizuziehen wie irgendwelche Forenbeiträge, Social-Media-Posts oder die Meldungen aus mehr oder weniger seriösen Printmedien. Hauptsache, wir ziehen uns eine Erklärung an den Haaren herbei.

Im Prinzip habe ich diesen Beitrag in der Hoffnung geschrieben, dass einige Leute (und das schließt mich ein) darüber reflektieren, dass ihre Entscheidungen auf Gefühlen basieren, die nicht rational sind. Dabei habe ich meine moralischen Vorstellungen zugrunde gelegt und die vage Hoffnung, dass ich damit ein wenig zu einer rationaleren Sichtweise anderer beitrage. Das ist nicht mein erster Versuch (siehe hier, hier, hier oder hier) und es wird nicht mein letzter sein. Die Welt ist ein Spiegelbild unserer inneren Haltung, in der Hass und Ablehnung nichts weiter sind als Ausdruck unserer eigenen Unfähigkeit, die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind (und aus diesem Verständnis heraus konstruktiv zu handeln!). Denn wie sangen schon Crowded House: „Everywhere you go, always take the weather with you.“

Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

Ein Gedanke zu „Das organische Dilemma“

  1. Ich möchte noch einen positiven Aspekt dieses Dilemmas los werden: Natürlich entspringen dem Gefühl ja auch positive Handlungsimpulse, die man auf rationaler Basis anders getroffen hätte. Wenn Neid und Missgunst negative Enden des Spektrums sind, dann sind Hilfsbereitschaft und Gerechtigkeitssinn positive Enden der gleichen Emotions-Medaille. Auch ein Mensch mit rassistischer Einstellung springt wahrscheinlich einem ertrinkenden Kind hinterher, auch wenn er in anderer Situation über das eindeutig ausländisch aussehende Kind herziehen würde.
    Neid und Hilfsbereitschaft entspringen dem Gefühl und wenn jemand meint, das diese Gefühle stets dem rationalen Denken hinten angestellt werden sollte, dann sehe ich eine Welt die von Robotern und KI gesteuert wird und in der kein Platz für das biologische Leben ist. Akzeptieren was ist bringt uns erst in die Position zu ändern was wir nicht sein wollen.

Schreibe einen Kommentar