Des Deutschen wohl gepflegte Doppelmoral

Doppelmoral ist etwas Widerwärtiges, was sich wohl keiner gern vorhalten lässt, aber zurzeit ist sie eine der am meisten präsenten Eigenschaften, die in Deutschland im breiten Massen vor sich hergetragen werden – und das nicht nur in sozialen Netzwerken, sondern auch in Politik und Medien. Wie ich darauf komme? Nun, es gab in den letzten Tagen zwei durchaus nicht ganz unähnliche Vorfälle, die zu komplett anderen Reaktionen in der Öffentlichkeit geführt haben.

Da wären zum einen die Vorfälle von der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof, die ja einen weiten Aufschrei, massive rassistische Hetze und sogar Aktionismus vonseiten der (Bundes-)Politik verursacht haben. Kaum jemand, der sich nicht dazu äußerte, die Taten (zu Recht!) anprangerte und Konsequenzen forderte. In den sozialen Netzwerken, vonseiten der Rechtsparteien CSU und AfD (allerdings auch teilweise aus der CDU und SPD) und in vielen Medien wurden rassistische Ressentiments verbreitet und befeuert, und es kam sogar schon zu tätlichen Übergriffen auf nicht deutsch aussehende Menschen – von zahlreichen Anfeindungen mal ganz abgesehen. Das Thema beherrscht den öffentlichen Diskurs seit Beginn des Jahres zu einem großen Teil.

Nun gab es vorgestern am späten Abend in Leipzig-Connewitz Vorfälle, die durchaus einiges an Parallelen zu denen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof aufweisen: Ein Mob von mehreren Hundert Personen begeht schwere Straftaten: Eine Geschäftsstraße wurde auf mehreren Hundert Meter Länge komplett verwüstet, dabei wurde die Fassade eines Gebäudes in Brand gesetzt, nebenbei wurde auch noch im Zuge des Marodierens Geld gestohlen. Auffällig ist jedoch, dass Berichte darüber weder besonders prominent in den meisten Medien auftauchen (einfach mal den „Leipzig Connewitz“ in die Suchmaschine des Vertrauens eingeben, da findet sich nicht allzu viel zu den aktuellen Geschehnissen) noch dass Politik oder Einzelpersonen in der Öffentlichkeit nun darauf ähnlich reagieren wie noch wenige Tage zuvor auf die Kölner Verbrechen.

Ich will nun bestimmt nicht sexuelle Übergriffe und Taschendiebstähle gegen schweren Landfriedensbruch, Brandstiftung, Raub und schwere Sachbeschädigung (ob es auch zu Körperverletzungen kam in Leipzig, ist mir gerade nicht bekannt) gegeneinander aufrechnen, aber zumindest kann man beide Abende wie folgt zusammenfassen: Eine große Anzahl von Personen trifft sich gezielt, um schwere Straftaten zu begehen, die von der Polizei nicht verhindert werden können.

Ein Unterschied zwischen Köln und Leipzig besteht darin, dass ein Großteil der Täter in Connewitz polizeilich erfasst werden konnte. Doch wo bleibt nun die in den letzten Tagen so oft geäußerte Forderung nach der „ganzen Härte des Gesetzes“, mit der solche Kriminellen nun bestraft werden müssten? Ich hab zumindest nichts Dergleichen gehört …

Und wenn man sich nun den Umgang mit den Straftaten und den Tätern anschaut, wird es noch absurder, denn hier treten nun Unterschiede auf, die fast schon als schizophren zu bezeichnen sind: In Köln ist nach wie vor nicht genau klar, wer die Täter waren, es gibt nur recht diffuse Angaben wie „nordafrikanisch und/oder arabische Männer“. Dies reicht nun allerdings aus, alle, die so aussähen, als kämen sie aus Nordafrika oder Arabien zum Ziel von Angriffen (verbal und körperlich, wie zum Beispiel letzte Nacht bei den Attacken auf zwei israelische Studenten in Dresden) zu machen, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen und zudem eine landesweite Diskussion zu entfachen, dass das Frauenbild des Islams wohl nicht mit unserer Gesellschaft zu vereinbaren sei. Hier wird also vom kriminellen Handeln Einzelner sofort auf ganze Volksgruppen und oder Anhänger einer Religion geschlossen – eine Verallgemeinerung im ganz großen Stil (größer geht’s wohl kaum).

Über die Täter von Leipzig-Connewitz wird nun vor allem als „Hooligans“ berichtet, zudem wird in den Vordergrund gestellt, dass bei den Verwüstungen ja auch Räumlichkeiten des Fußballvereins Roter Stern Leipzig heimgesucht wurden. Und somit werden die Täter quasi entpolitisiert, es findet genau das Gegenteil statt wie bei der Bewertung der Kölner Vorfälle: Es wird nicht vom Einzelnen auf die dahinterstehenden Strukturen geschlossen, sondern eine spezielle Nische gesucht, in welche diese Vorgänge einsortiert werden können: Fußballgewalt. Dass der Zug der Marodierer nun ausgerechnet am Tag der Veranstaltung zur Jahresfeier der rechten Legida-Demonstrationen, auf der zeitgleich das verbale Rüstzeug für derartige Übergriffe geliefert wurde, stattfanden und dass es sich bei Connewitz um ein überwiegend als links-alternativ geltendes Viertel handelt, wird zwar mal am Rande erwähnt, aber nicht zu dem Schluss genutzt, dass hier gezielt von rechtem Terror gesprochen werden kann, von einem Pogrom einer Gruppe von Gewalttätern, die sich zunehmend größerer Akzeptanz und Zustimmung in der deutschen Gesellschaft erfreuen kann. Dass diese Zusammenhang deutlich naheliegender ist als die bei den Kölner Tätern konstruierten Kausalitäten, die gleich eine ganze Religion oder ganze Volksgruppen in die Verantwortung (bzw. Sippenhaft) nehmen wollen, sollte eigentlich nachvollziehbar sein, oder?

Wenn also eines bei dem Vergleich des Umgangs mit diesen beiden Abenden des Verbrechens deutlich wird, dann dass in Deutschland ein (latenter) Rassismus sehr weit verbreitet ist und doppelmoralische Standards sehr gut geeignet sind, um diesen dann auch zu rechtfertigen. Und dass Politik und Medien in weiten Teilen diesen Rassismus befeuern und bedienen, anstatt ihm (wie es ein Blick zurück in die deutsche Geschichte vor allem in den 20er- bis 40-Jahren des letzten Jahrhunderts eigentlich gebieten sollte) entschieden entgegenzutreten. Gute Nacht, Deutschland!

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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