Grundeinkommen

In der Schweiz wurde am Sonntag per Volksabstimmung mit 78 zu 22 % die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abgelehnt. Damit ist das Thema, wie auch ein Artikel auf Spiegel online berichtet, allerdings noch lange nicht vom Tisch, und auch den Initiatoren der Abstimmung war es in erster Linie laut eigenen Aussagen wichtig, die Diskussion zu diesem Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Insofern erscheint es mir sinnvoll, einmal zentrale Aussagen, die immer wieder gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens angeführt werden, ein wenig zu hinterfragen. Diskussionsbeiträge von Euch hierzu sind entweder als Leserbrief oder als  Posting auf unserer Facebook-Seite ausgesprochen willkommen!

Zunächst einmal: Ein Grundeinkommen wäre eine sehr visionäre Sache. Es gibt bisher keine Erfahrungen damit, und es würde einige zementierte Werte unserer Gesellschaft infrage stellen. Diskutiert werden sollte allerdings in jedem Fall ein Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens, das eher in Richtung des Schweizer Vorschlags geht als der in Finnland propagierten Idee (einen Vergleich zwischen diesen beiden Varianten gibt es in einem Artikel auf Spiegel online). Von dem Grundeinkommen sollten die Menschen also nicht nur eine kärgliche Existenz auf unterstem Niveau fristen können, sondern es sollte auch ohne weitere Einkünfte ein manierlicher Lebensstil möglich sein.

Nicht finanzierbar

Was immer wieder von Gegnern eines bedingungslosen Grundeinkommens als eines der ersten Argumente ins Feld geführt wird, ist, dass so etwas eben schlichtweg nicht zu finanzieren sei. Klar, zunächst mal ist das immer ein unvorstellbar großer Batzen Geld, um den es dabei geht, sodass sich zunächst mal kaum jemand vorstellen kann, wo dieser denn herkommen sollte. Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass viele Leistungen, die bisher aus Steuergeldern und von den Sozialkasse bezahlt werden, dann wegfallen oder nur noch reduziert gezahlt würden: Arbeitslosengeld und Grundsicherung (Hartz IV), Kindergeld, Rente – da käme schon mal einiges zusammen.

Und dann gäbe es natürlich etliche Möglichkeiten, die Einnahmen des Staates zu erhöhen: Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Erbschaftssteuer für große Vermögen, Angleichung des Satzes der Kapitalertragssteuer (bisher generell 25 %) an den entsprechenden Einkommensteuersatz, Bekämpfung von Steuerflucht durch Einstellung von mehr Steuerfahndern und, Gewinnbesteuerung für Unternehmen in dem Land, in dem die Gewinne auch tatsächlich anfallen, Vermögenssteuer, Finanztransaktionssteuer – die Liste ist lang, und dabei sind dann komplett neue Ansätze, wie z. B. eine progressive Mehrwertsteuer, noch gar nicht darin enthalten.

Auch bei den Sozialabgaben könnten wesentlich mehr Gelder generiert werden: Würde man beispielsweise die Gesundheitsversorgung über Steuern finanzieren, dann würden nicht nur die Kosten wegfallen, welche die zahlreichen Krankenkassen für ihre Verwaltung usw. benötigen, sondern es wäre auch nicht mehr möglich, dass sich Besserverdienende über die private Krankenversicherung quasi aus der Solidargemeinschaft herauskaufen können.

Dazu kommt noch, dass das Geld, was in Form eines Grundeinkommens an die Bürger ausgeschüttet würde, ja nicht einfach nur eine Ausgabe wäre, sondern eben auch wieder neue Einnahmen generiert. Es wäre wohl zu erwarten, dass die Binnenkonjunktur einen ordentlichen Schub bekommen würde, da vielen Menschen einfach mehr Geld zum Ausgeben zur Verfügung stünde. Und dieses würde dann wiederum ein erhöhtes Steueraufkommen zugunsten höherer Staatseinnahmen bedeuten.

Ein weiterer finanzieller Aspekt, der häufig angeführt wird, ist, dass der Staat dann kein Geld mehr für den Erhalt seiner Infrastruktur übrig hätte. Dabei wird jedoch außer acht gelassen, dass viele Menschen dank eines Grundeinkommens mehr Zeit hätten und sich zudem auch das Bild des Staates, der einem nur ans Geld will, wandeln dürfte hin zu einem gemeinschaftlicheren Verständnis mit hohem öffentlichen Identifizierungspotenzial. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass das Ehrenamt so eine neue Renaissance erfahren könnte, sei es beispielsweise, dass Eltern die Schule ihrer Kinder renovieren, Bürger sich um die Landschaftspflege ihrer Stadt kümmern oder sich viele Verwaltungsaufgaben nachbarschaftlich lösen lassen. Derartige „weiche“ Effekte, die nicht in Euro und Cent zu berechnen sind, sollten m. E. nicht unterschätzt werden.

Dann geht doch keiner mehr arbeiten

Ein weiteres häufig vorgebrachtes Argument gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ist, dass dann ja viele Menschen nicht mehr arbeiten würden. Dabei werden jedoch zwei Dinge nicht berücksichtigt: Zum einen ist es nicht so, dass Menschen nur für Geld produktiv sein wollen (oder besser: müssen), sondern dass es den meisten durchaus Freude bereitet und einem inneren Antrieb entspringt, irgendetwas zu schaffen. Zum anderen ist durch die technische Entwicklung mittlerweile einfach nicht mehr genug (Lohn-)Arbeit im produzierenden Sektor oder im Dienstleistungsbereich für alle da, schon gar nicht, wenn nach wie vor an dem Fetisch 40-Stunden-Woche festgehalten wird.

Dabei ist es nun nicht so, dass es nicht genug Arbeit gäbe, die gemacht werden müsste, aber da diese eben nicht oder nur sehr schlecht entlohnt wird, findet sich niemand dafür. In der Pflege beispielsweise herrscht Notstand, und auch Jugendzentren haben oft nicht genug Geld, um in ausreichender Zahl Betreuer einzustellen. Auf der anderen Seite haben wir haufenweise sogenannte Bullshit-Jobs – also z. B. Tätigkeiten, deren einziger Inhalt es ist, andere zum Arbeiten anzuhalten oder deren Arbeit zu kontrollieren -, die wiederum durchaus gut bezahlt werden.

Ein Grundeinkommen könnte m. E. zu einer Neuordnung unserer Arbeitswelt führen, indem tatsächlich in den Fokus rückt, welche Arbeit denn überhaupt zu erledigen und welche unnötig ist. Die Sachen, die Spaß machen und interessant sind, würden wohl eher nicht liegen bleiben, und alles, was nicht so angenehm ist, müsste eben entsprechend entlohnt werden. Es wäre ja kaum damit zu rechnen, dass sich alle mit dem Niveau des Grundeinkommens zufriedengeben würden, nur fiele eben der Druck weg, um jeden Preis eine Arbeit annehmen zu müssen, um über die Runden zu kommen.

Ein weiterer positiver Aspekt: Der Kulturbetrieb würde vermutlich einen Boom erfahren. Schließlich gibt es viele Künstler, die nicht von ihrem kreativen Output leben können, sodass sie diesen nur nebenbei, quasi als Hobby betreiben können. Wäre hier nun eine finanzielle Absicherung gegeben, könnten viele ihre Broterwerbsjobs an den Nagel hängen und sich voll und ganz auf die Kunst, Musik usw. konzentrieren – und sie würden auf ein Publikum stoßen, dass mehr Zeit und auch mehr Geld hätte, um diese derart professionalisierte Kultur auch genießen zu können.

Natürlich würde es wohl auch Menschen geben, die dem Klischee entsprächen und den ganzen Tag auf dem Sofa vor der Glotze hängen würden. Ich schätze aber, dass das nicht allzu viele sein sollten, zumal wenn deren Umfeld durch ein Grundeinkommen ja auch produktiver würde (weniger Arbeitsstress führt zu einer weniger lethargischen Freizeitgestaltung). Und die wenigen, die trotzdem ihre Lebenserfüllung im Nichtstun sehen würden, kann eine gesunde Gesellschaft dann auch locker verkraften – zumal deren Zahl m. E. deutlich niedriger sein dürfte als die der derzeitigen zwangsweise Untätigen aufgrund von Burn-out, Depression und ähnlichen systembedingten Krankheiten.

Einkommen darf nicht leistungslos sein

Dieser Einwand entspringt dem mittlerweile tief in unserer Gesellschaft verwurzelten Leistungsgedanken. Was dabei aber stets außer Acht gelassen wird: Leistung wird hier immer gleichgesetzt mit monetärer Verwertbarkeit. Und: Wir leisten uns zurzeit schon mehr als genug leistungslose Einkommen.

Damit meine ich nun nicht diejenigen, die Transferleistungen erhalten, sondern schaue auf das andere Ende der Einkommens- und Vermögensskala: Erben zum Beispiel (und ein Großteil der Vermögen wird heutzutage vererbt) haben als einzige Leistung erbracht, dass sie auf die Welt gekommen sind – und das ist schließlich jeder von uns einmal, noch dazu in der Regel mit nur geringem eigenem Zutun. Auch Aktionäre, die von den Dividenden ihre Wertpapiere leben, leisten nicht wirklich etwas: Zwar haben sie einmal Geld investiert, aber das war’s dann auch, der Rest geschieht mehr oder weniger automatisch.

Was auch gern unter den Tisch gekehrt wird von den Anhängern des Leistungsprinzips: Viele Jobs erwirtschaften zwar durchaus eine Menge Geld, sind aber letztendlich vollkommen unproduktiv, wenn nicht sogar volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Ein sehr gutes Beispiel ist hier der Hochfrequenzhandel, der das Prinzip, mit Geld weiteres Geld zu verdienen, auf die Spitze treibt.

Andererseits gibt es viele Tätigkeiten, die nicht mit Geld bezahlt werden und die durchaus produktiv und von hoher Relevanz sind. Wieso soll ein Spekulant an der Börse also eine höhere Leistung erbringen als jemand, der seine Kinder großzieht, seine kranken/alten Eltern pflegt oder als Jugendtrainer unentgeltlich im örtlichen Sportverein tätig ist?

Oft wird in diesem Zusammenhang auch der Hinweis erbracht, dass Menschen keine Verantwortung mehr übernehmen müssten, wenn sie denn ein bedingungsloses Grundeinkommen hätten. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob zwischenmenschliche unentgeltliche Tätigkeiten nun generell von größerer Verantwortungslosigkeit zeugen als hoch dotierte Jobs, bei denen man den größten Mist bauen kann, nur um dann noch eine millionenschwere Abfindung zu bekommen. Und wie sehr kann jemand eigene Verantwortung für sein Leben übernehmen, wenn er sich von seinem Chef gängeln lassen muss, Überstunden ohne Ende aufgebrummt bekommt und dabei noch in ständiger Angst lebt, seine Arbeit und damit seine Existenzgrundlage zu verlieren? Auch der Begriff der Verantwortung wird hier m. E. in einem durch finanzielle Verwertbarkeit korrumpierten Kontext missbraucht.

Zerschlagung des Sozialstaats

Das klingt nun erst mal nach einer unschönen Sache. Allerdings muss man sich dabei auch fragen, inwieweit denn der Sozialstaat in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik schon ramponiert wurde: Die Agenda 2010 hat da ja mit Hartz IV und der Demontage der gesetzlichen Rente schon mal ein ganz ordentliches Zerstörungswerk geleistet. „Deutschland geht’s gut“ ist ein Märchen, mehr nicht.

Insofern sei die Frage erlaubt, ob der Umbau eines Sozialstaates, der zurzeit für immer mehr Menschen nicht mehr das Existenzminimum sichert (Sanktionen für Transferleistungsempfänger) und Phänomene wie Stromsperren zu Hunderttausenden in jedem Jahr hervorbringt, nicht durchaus eine erstrebenswerte Sache sein könnte.

Wenn man nun einfach das bedingungslose Grundeinkommen nimmt und es statt der bisherigen Sozialleistungen in unser jetziges Sozialsystem einsetzt, dann dürfte es in der Tat zu deutlichen Reibungspunkten kommen. Daher müssten Überlegungen zur Einführung eines Grundeinkommens immer auch mit umfassenden Reformen der bisherigen Institutionen des Sozialstaates (und auch darüber hinaus mit anderen existenziell wichtigen Bereichen wie beispielsweise dem Gesundheitswesen und dem Wohnungsmarkt) einhergehen. Und wie ich eingangs zu diesem Artikel bereits schrieb: Die Höhe des Grundeinkommens müsste eben so bemessen sein, dass sie das Existenzminimum deutlich übersteigt.

Zumindest wäre durch ein Grundeinkommen wohl gewährleistet, dass dessen Bezieher nicht die würdelosen Prozeduren der Jobcenter, denen Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger zurzeit ausgesetzt sind, über sich ergehen lassen müssten.

Dass auch Millionäre und andere reiche Menschen, die es eigentlich nicht benötigen, ein Grundeinkommen bekämen, ist natürlich ein gerechtfertigter Einwand. Eine Überprüfung der Vermögensverhältnisse wäre nicht nur ein enormer bürokratischer Aufwand, sondern würde zudem der Idee der Bedingungslosigkeit widersprechen. Andererseits: In so vielen Bereichen wird immer davon ausgegangen, dass Firmen ethisch handeln und freiwilligen Selbstverpflichtungen nachkommen (was zugegebenermaßen oft nicht hinhaut) – warum wird diese Maxime hier also von vornherein ausgeschlossen? Bestünde nicht die Möglichkeit, dass es ethisch denkende Reiche gäbe, die ihr Grundeinkommen dann karitativen oder sozialen Zwecken zur Verfügung stellen würden? Und wäre es denn in der Tat unverkraftbar, wenn dann tatsächlich einige wenige sehr reiche Menschen ein Grundeinkommen bekämen, welches sie nicht benötigen? Von wie vielen reden wir denn da überhaupt? Der prozentuale Anteil an der Gesamtgesellschaft dürfte im niedrigen einstelligen Bereich liegen …

Fazit

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine reichlich revolutionäre Angelegenheit, für die sich einiges ändern müsste, aber die auch einiges verändern würde. Der Fehler, der dabei oft gemacht wird, ist, dass nicht über unser bisheriges Wirtschaftssystem und dessen Subsysteme hinausgedacht wird, obwohl ein Grundeinkommen grundsätzlich das kapitalistische Denken infrage stellen würde. Natürlich würde die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens etliche Vorüberlegungen und Berechnungen erfordern, zudem müssten die Weichen dafür gestellt werden, indem entweder zuvor oder auch zeitgleich andere (Sozial-)Systeme ebenfalls einer Veränderung unterzogen würden. Die Frage, die sich mir dabei stellt, ist: Würde ein Grundeinkommen erst funktionieren, wenn sich ein anderes Denken, weg von der reinen kapitalistischen Verwertungslogik, gesellschaftlich etabliert hätte, oder könnte es nicht vielmehr genau solche Umdenkprozesse mit initiieren und anstoßen?

Das Geld wird heutzutage bei uns nahezu abgöttisch verehrt, alles andere hat sich diesem Wert unterzuordnen. Durch das Grundeinkommen könnte eine andere Ressource nicht nur an Bedeutung gewinnen, sondern Geld als übergeordnetes Prinzip ablösen: Zeit. Da wir alles davon nur eine beschränkte Menge zu Verfügung haben, erscheint diese mir eher als wertvolles Gut – auch wenn der blöde Spruch „Zeit ist Geld“ etwas anderes suggerieren möchte.

Natürlich würde es Menschen geben, die ein bedingungsloses Grundeinkommen missbräuchlich verwenden würden. Nur sollte man sich nicht, was häufig der Fall ist in der Diskussion, nur darauf versteifen, denn Schindluder wird ja nun mit fast allem getrieben: Nur weil es Schwarzfahrer gibt, wird ja auch nicht der ÖPNV abgeschafft. Zumal sich ein durch ein Grundeinkommen gewandeltes gesellschaftliches Klima vermutlich auch positiv dahin gehend auswirken würde, dass solcher Missbrauch seltener vorkommen würde, da er eben schlichtweg zunehmend unattraktiv wäre.

Und nun würde ich mich freuen, wenn von Euch Kritik, weitere Anregungen, Pros und Kontras zum bedingungslosen Grundeinkommen zu erhalten. Ist schließlich ein sehr umfassendes Thema mit visionärer Ausrichtung, das ausgiebig diskutiert werden sollte.

 

 

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Grundeinkommen“

  1. Eine interessante Idee, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen (zumindest zum Teil) finanziert werden könnte, kommt vom ehemaligen griechischen Finanzminister und Mitbegründer der linken Europabewegung DIEM25 Yanis Varoufakis, über die ein Artikel im neuen deutschland berichtet: Da Unternehmen immer auch von gesellschaftlichen und öffentlichen Innovationen und Investitionen profitieren, wird ein Teil ihrer Aktien in einen öffentlichen Fond gelegt, und die daraus erzielten Dividende werden dann in Form einen Grundeinkommens ausgezahlt. Es tun sich also immer mehr Quellen auf zur Finanzierung, nur müssten diese dann irgendwie mal koordiniert zusammengefasst werden.

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