Vorsorgeatlas

In letzter Zeit wird in sehr vielen Medien (z. B. börse.ARD.de [leider nicht mehr online aufrufbar], Handelsblatt oder WAS) über den sogenannten Vorsorgeatlas berichtet. Dabei handelt es sich laut den Meldungen um eine Studie, die eine große Versorgungslücke bei jetzt jungen Menschen aufweist, wenn diese in Zukunft mal Rentner sein werden. Federführend bei dieser Arbeit der Universität war der als „Rentenexperte“ bezeichnete Professor Bernd Raffelhüschen. Moment mal: Raffelhüschen – da war doch was, oder?

Bei diesem Namen sollten stets die Alarmglocken klingen, denn Raffelhüschen ist alles andere als ein neutraler Experte, als der er immer wieder, so auch in den oben verlinkten Artikeln, dargestellt wird. Sein Eintrag in der Lobbypedia von LobbyControl zeigt folgende Verbindungen und Netzwerke auf:

  • „Botschafter“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
  • Vorstandsmitglied der Stiftung Marktwirtschaft
  • Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG)
  • Kurator und Stellv. Vorsitzender der Schwäbisch Hall-Stiftung (Stifterin: Bausparkasse Schwäbisch Hall, eine Tochtergesellschaft der DZ BANK)
  • Mitglied des Wissenschaftsrats der CDU
  • bis 7/2015 Mitglied der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft
    Aufsichtsratsmandate
  • seit 11/2007 Aufsichtsrat der Augustinum gGmbH
  • seit 01/2006 Aufsichtsrat der ERGO-Versicherungsgruppe AG
  • seit 08/2005 Aufsichtsrat der Volksbank Freiburg eG

Die NachDenkSeiten bezeichneten Raffelhüschen, der auch einer der prominentesten Fürsprecher der Rentenprivatisierung im Zuge der Agenda 2010 war und damals sehr präsent in vielen Medien war, schon öfter als „Versicherungsvertreter mit Professorentitel“ – was wohl nicht ganz unzutreffend ist, wenn man sich seine Verbindungen mit der Versicherungswirtschaft anschaut.

Ein Artikel in der Zeit zum Vorsorgeatlas erlaubt sich wenigstens eine kritische Andeutung, allerdings nicht zu Raffelhüschen, sondern zum Auftraggeber der Studie, der Union Investment:

Wer heute jünger als 35 ist, sollte laut einer Studie auch privat fürs Alter vorsorgen. Der Auftraggeber der Studie bietet solche Vorsorgeprodukte selbst an.

Hier handelt es sich also um ein Paradebeispiel für gekaufte Wissenschaft, und das hätte auch genau so benannt werden müssen: Ein Anbieter von privater Altersvorsorge gibt bei einem Befürworter von privater Altersvorsorge eine Studie in Auftrag, die als Ergebnis präsentiert (welch Überraschung), dass die Lösung für zukünftige Altersarmut private Altersvorsorge ist. Im Grund lächerlich, wenn man es sich mal so deutlich vor Augen führt – was allerdings von den allermeisten Medien nicht gemacht wird. Man macht sich also von Journalistenseite zum willfährigen Diener von Wirtschaftsinteressen, in diesem Fall von der Finanz- und Versicherungsbranche. Und dann wundern sich die gleichen Journalisten darüber, dass ihre Glaubwürdigkeit zunehmend infrage gestellt wird …

Im Juni gab es im heute journal des ZDF übrigens schon mal ein Interview mit Bernd Raffelhüschen zum Thema Rente, und auch dort wurde er schön neutral als „Rentenexperte“ vorgestellt. Daraufhin hagelte es etliche Beschwerden beim Sender, sodass sich dieser auf seiner Facebook-Seite zu einem beschwichtigenden Statement genötigt sah, das allerdings sehr uneinsichtig und vor allem auch fachlich unzutreffend ausfiel – und das vor allem durch die jetzt überall präsentierten Ergebnisse des Vorsorgeatlas reichlich widerlegt wird. Ich schätze mal, Raffelhüschen selbst war dies vor gut drei Monaten durchaus schon bewusst.

Auch ich schickte eine Programmbeschwerde wegen dieses Interviews ans ZDF, woraufhin ich dann ein paar Wochen später einen schönen Vordruck erhielt, der zu mehr als 90 Prozent identische Textpassagen enthielt wie die Antwort, die ein Freund von mir auf seine Programmbeschwerde zum gleichen Thema erhalten hat (wenngleich die Unterzeichner unserer beiden Antworten zwei unterschiedliche Personen waren). So geht man als mit m. E. berechtigter Kritik um: Man schmollt ein bisschen, rechtfertigt sich und speist die Kritiker mit vorformulierten Floskeln ab.

Zwei Fazits:

1. Wenn irgendwo Bernd Raffelhüschen als Experte auftaucht oder zitiert wird, weiß man, dass man gerade im Sinne der Versicherungswirtschaft manipuliert werden soll.

2. Unsere sogenannten Leit- und Qualitätsmedien sind tatsächlich überwiegend so schlecht und käuflich, wie es ihnen in den letzten Jahren immer wieder vorgeworfen wurden (wenngleich es hiervon natürlich immer vereinzelte Ausnahmen gibt, auf die wir dann auch gern aufmerksam machen, z. B. in unseren regelmäßigen Wochenhinweisen).

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Vorsorgeatlas“

  1. Leider kann ich diese Kritik an unseren „Qualitätsmedien“ in vielen Punkten beipflichten und gut, dass Du ein so gutes Gedächtnis hast, danke für den Beitrag ;)

    Auch wenn ich praktisch nur die öffentlich-rechtlichen Sender schau, so gehen mit heute, heute+, tagesschau und Co oft wegen ihrer Einseitigkeit gegen den Strich und ich sehe viele berechtigte Kritik. Allerdings wäre TV ohne Zapp, kulturzeit, nano, Monitor, quer und vielen anderen, gerne kritischen Sendungen, bei mir schon lange hinfällig.

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