SoKo Chemnitz

Das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) hat ja schon öfter mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam gemacht (beispielsweise mit der Errichtung eines Holocaust-Mahnmals auf dem Nachbargrundstück von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke), die stets gezeigt haben, wie sich Kunst politisch positionieren kann. Das neuste absolut gelungene Werk: die SoKo Chemnitz.

Am Montag wurde, nachdem vorher Medienvertreter darüber informiert wurden, eine Website online gestellt, die unter dem Titel „SoKo Chemnitz“ dazu aufforderte, rechte Straftäter der Krawalle von Chemnitz Ende August zu denunzieren, sollte man auf den bereitgestellten Fotos beispielsweise Arbeitskollegen oder Mannschaftskameraden aus dem Fußballverein erkennen. Es wurden sogar Belohnungen im zweistelligen Eurobereich ausgelobt für diejenigen, die welche von den dargestellten Rechtsextremen denunzieren würden.

Das rief nun einige lesenswerte mediale Reaktionen hervor, so zum Beispiel in Form eines Artikels vom monopol-magazin vom 3.12., in dem nicht nur die effiziente Vorgehensweise des ZPS gewürdigt wurde, sondern auch die Parallelen dieser Denunziationsplattform zu ähnlichen Websites, die von Rechten selbst betrieben werden (beispielsweise der AfD-Lehrerpranger) aufgezeigt. Zudem wurde dort auch schon auf die ersten Reaktionen der sächsischen Landesregierung eingegangen, die sich im vorauseilenden Gehorsam aufgrund von rechtsextremen Drohungen beeilte, die Räumlichkeiten in Chemnitz, in denen laut ZPS die Belohnungen abgeholt werden könnten, zu räumen. Auf einmal kann man also in Sachsen schnell reagieren – das sah bei den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz Ende August ja noch ganz anders aus …

Ein Artikel auf Netzolitik.org (ebenfalls vom 3. 12.) attestiert dem ZPS zwar auch eine gelungene Provokation, erwähnt aber zudem kritisch, dass das Ganze datenschutzrechtlich schon ausgesprochen bedenklich sei, wenn dort auf der Seite Einzelbilder von nicht in der Öffentlichkeit stehenden Personen präsentiert würden. Und es wird zu Recht auf die Scheinheiligkeit des rechten Proteststurms wegen der SoKo Chemnitz hingewiesen, da man sich von deren Seiten ja gern ähnlicher Methoden bedient, dann nur oft noch in Verbindung mit mehr oder weniger offen ausgesprochenen Gewaltaufrufen.

Und auch in der taz fand sich gleich am Montag ein Artikel zu dieser Aktion, der die Vorgehensweise des Künstlerkollektivs rechtfertigte und als einen Akt des zivilen Ungehorsams gegen die Untätigkeit der sächsischen Landesregierung bei der Verfolgung von rechten Straftätern bezeichnete. Es sei, so der Tenor, wichtig, dass sich Rechte nicht einfach so sicher fühlen dürften, wenn sie auf offener Straße den Hitlergruß zeigten oder andere Straftaten begingen.

Am Dienstag, den 4. 12., fand sich dann in der Frankfurter Rundschau ein Interview mit Philipp Ruch von ZPS, in dem dieser erklärte, warum man die SoKo Chemnitz auf diese Weise ins Leben gerufen hat. Neben der Feststellung, dass die Zivilgesellschaft eben tätig werden müsse, wenn sie sich nicht auf die Staatsmacht verlassen könnten, und dem Bericht über die ersten ausgezahlten Denunziationsprämien an Rechte, die für ein paar Euro ihre „Kameraden“ verpfiffen hätten, kritisierte Ruch darin auch die Gesichtserkennungssoftware, mit der das ZPS nach seiner Aussage die Fotos von Rechtsextremen auf der Website erstellt hat. Auch seine Ausführungen zur Denunziation, von der er meint, dass sie erst dann verwerflich ist, wenn eine totalitäre Macht dahintersteht, sind ausgesprochen interessant.

Da war also ein richtig heißes Eisen geschmiedet worden, und die Rechten und Rechtsextremen ereiferten sich massiv, wobei es natürlich auch wieder Drohungen und Mordaufrufe gab, wie man es von diesem Pack eben leider gewohnt ist. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme erwies sich dabei als besonders eifrig, indem er in sozialen Medien die Personalien von Philipp Ruch und seiner Familie dem braunen Mob zum Fraß vorwarf.

Am Mittwoch, den 5. 12., folgte dann, wie ein Artikel auf Der Volksverpetzer ausführt, die Auflösung des Ganzen: Das ZPS hatte keine wirkliche Fotos von Rechten auf der Website präsentiert, sondern es handelte sich dabei um einen sogenannten Honey Pot: Durch den medialen Aufruhr wurden viele Rechte auf die SoKo-Chemnitz-Website gelockt, um dort nach ihren eigenen Fotos und denen von Freunden zu suchen. Man wollte halt sichergehen, dass man nicht erkannt und dann beim Arbeitgeber oder im Bekanntenkreis angeschwärzt werden konnte. Die Daten dieser Suchanfragen hat das ZPS gesammelt und auf diese Weise nicht nur eine erhebliche Menge an Infos über die rechte Szene in Chemnitz, sondern auch über deren interne Vernetzung sammeln können.

Das Fazit dazu im Volksverpetzer-Artikel fasst die ganze Aktion sehr gut zusammen:

Also haben sie die Rechtsextremen reingelegt und sie dazu verlockt, selbst freiwillig alle Daten auszuhändigen! Was wollen sie jetzt damit machen? Laut eigener Angabe könnte das ZpS diese Daten dann an den Verfassungsschutz weiterleiten. Die Kritik daran ist, dass eine private Gruppe KünstlerInnen in drei Tagen mehr Daten über die rechtsextreme Szene sammeln konnte als der Verfassungsschutz in drei Monaten. Über 2,5 Millionen Besucher zählte die Seite.

SIE WÄREN FROH, WENN IHRE DATEN BESCHLAGNAHMT WERDEN

Falls die Polizei wieder plötzlich so schnell reagiert wie Montag und die Daten der Gruppe beschlagnahmt, sind sie darauf vorbereitet. Nicht nur wurden die Daten bereits anderswo gesichert, wie uns mitgeteilt wurde. Auch wäre die ZpS regelrecht froh, wenn man ihre Daten beschlagnahmt. Dann könnte die Polizei nicht mehr behaupten, sie wüsste nicht genug über die rechtsextreme Szene.

Und jetzt? Die Gruppe hat Medien, Rechte und Sicherheitsbehörden gehörig an der Nase herumgeführt. Sie hat eine wichtige Debatte über den Rechtsextremismus in Deutschland angestoßen und aufgezeigt, dass dieser von Behörden und Medien viel zu sehr ignoriert wird. Stichwort ist hier die „Hannibal“-Recherche der taz, die ein großes rechtsextremes Untergrundnetzwerk in Polizei und Verfassungsschutz aufdeckte – und für die sich anscheinend kaum jemand interessiert.

So ergibt sich eine großartige Aktion, die mit einer cleveren Choreografie die Missstände bei der Strafverfolgung von rechten Kriminellen aufzeigt, die rechte Szene in Aufruhr versetzt und bloßstellt sowie zudem noch verwertbare Informationen über rechte Netzwerke liefert.

Bravo und Hut ab, liebes ZPD! Ganz großes Kino!

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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