Fridays For Future – „Wir sind ja keine Profis, aber …“

Über vermeintliche Profis, Scheindebatten, Glaubwürdigkeit, das Recht auf Streik, die Freude an politischem Engagement und den Veränderungswillen einer Generation schreibt hier unser Gastkommentator Leon Witte (19) aus Hamburg.

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Ich weiß nicht. Wenn an all diesen Orten junge Menschen am 15. 3. 2019 auf die Straße gehen, um auf eines der wichtigsten politischen Themen unserer Zeit aufmerksam zu machen, den Klimawandel, dann fällt es mir schwer, von unpolitischer Jugend zu sprechen.

1.500.000 Menschen weltweit, in Deutschland 300.000.

Ich bin stolz darauf, Teil einer Generation zu sein, die anfängt, sich wieder für Politik zu interessieren.

Und nicht nur das, sondern sie ist auch noch bereit, etwas zu verändern. Ich finde es toll, wenn junge Menschen begreifen, dass sie etwas mitgestalten können. Dass sie eine Stimme und eine Meinung haben und dass man auf diese vielleicht sogar mal hören sollte. Das ist doch eine gute Entwicklung und auch eigentlich das, was man sich in einer Demokratie wünscht. Das sehe ich so. Und Christian Lindner war auch mal der Meinung, dass Jugendliche erfahren müssten, dass sie etwas können und gebraucht würden. Komisch. Jetzt hört sich der gute Mann irgendwie ganz anders an … Er begrüßt zwar politisches Engagement. Aber halt irgendwie doch nicht so ganz. Zumindest nicht so richtig von Jugendlichen und Kindern. Die können das alles ja noch gar nicht verstehen. Die sind doch gar nicht in der Lage, einen Weitblick über „die globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare“ zu haben. Das ist doch schließlich eine „Sache für Profis“. Aha. Also, ich weiß ja nicht, Christian.

Wenn es junge Menschen hinbekommen, 300.000 andere junge Menschen für eine wichtige politische Frage, übrigens eine Frage, die hauptsächlich deren Zukunft beeinflusst, zu interessieren, eine Demonstration zu organisieren und dabei nicht nur stumpf auf Parolen zu setzen, sondern auch konkrete Forderungen mitzubringen, dann finde ich das eigentlich schon ziemlich professionell.

Vor allen Dingen dann, wenn die von Lindner herbeizitierten Profis den „Fridays for Future“ nicht nur recht geben, sondern sie als „Scientists for Future“ auch noch unterstützen. Die Wissenschaftler stellen dar, was getan werden müsste, um tatsächlich die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen.

Und sie gehen sogar noch weiter. Denn Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, sagt, der Kohleausstieg, die Reduzierung von Treibhausgas und der Ausstieg aus Erdöl und Erdgas seien „kein Problem“. Zumindest wissenschaftlich nicht. Und damit wird der Ball wieder den Politikern zugeschoben.

Also sozusagen den anderen Profis. Und die machen was genau? Ach, richtig. Gar nicht so viel. Die Dinge, die dann entschieden werden, ein Kohleausstieg in 19 Jahren, werden uns dann als Erfolg verkauft. Ich weiß nicht, Herr Lindner. So richtig professionell finde ich das eigentlich nicht.

Anton Hofreiter sieht das Ganze recht ähnlich wie ich. Denn auch er findet: „Die Faktenlage ist klar: Klimaschutz ist technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll, wird jedoch politisch blockiert.“ Ich finde es jetzt nicht ganz so schlecht, wenn darauf hingewiesen wird. Und wenn es sonst keiner macht, dann müssen es eben wir machen. Übrigens sagt auch das Global Environment Outlook der Vereinten Nationen, dass Klimaschutz enorm wichtig ist. Denn tun wir nichts, „werden in Städten und Regionen in Asien, dem Nahen Osten und in Afrika bis Mitte des Jahrhunderts vorzeitig [Menschen] sterben“. Die nicht ganz so profihaften Jugendlichen liegen also auch irgendwie nicht ganz so falsch.

Alles eine schwierige Debatte, keine Frage.

Wenn die Lösung für den Klimawandel einfach wäre, dann wäre der Klimawandel längst kein Problem mehr. Aber die Lösungen sind eben nicht einfach. Sie werden wehtun. Denn um das Klima zu schützen, müssen wir unseren Wohlstand reduzieren.

Und um auch das klarzumachen: Man kann natürlich sagen, jeder Einzelne der „Fridays for Future“-Bewegung ist ein Heuchler. Denn die haben ja auch alle Smartphones. Und die essen auch alle Lebensmittel, die in Plastik eingepackt sind. Und die steigen auch alle zu Mami und Papi ins Auto. Alles Heuchler. Ja, das kann man natürlich so sehen. Oder aber man sieht das Ganze einfach mal positiv. Und man freut sich, dass Leute bereit sind, auf Sachen zu verzichten, dass nicht mehr doppelt in Plastik eingepacktes Essen gekauft wird. Dass nicht für jeden Weg zum Bäcker das Auto genommen wird. Dass man nicht 20 Minuten lang duscht, nur weil es grade schön ist. Ist doch ein guter Anfang, und ich finde auch, dass man das nicht schlechtreden muss.

Jetzt kann man das Gesagte so zusammenfassen: Der Klimawandel ist ein Problem. Eine Gruppe von jungen Menschen hat das erkannt. Diese Gruppe möchte darauf aufmerksam machen. So.

Und jetzt geht die eigentliche Scheindebatte los. Denn Aufmerksamkeit bekommt die Gruppe. Doch anstatt das Problem anzugehen, den Klimawandel zu bekämpfen und als Profi tatsächlich etwas zu verändern, wird eine Debatte über die Schulpflicht geführt.

Und ich muss sagen, bei der Debatte könnte ich kotzen.

Erst mal vorweg: Wer fragt, ob er streiken darf, hat das Konzept des Streikens nicht verstanden. Denn ein Streik tut weh. Das merken wir, wenn Piloten, Bahnmitarbeiter oder andere Personen des öffentlichen Lebens streiken. Ist nie schön. Aber das soll es auch nicht sein, es soll auf Probleme hinweisen. Jetzt wird aber den Schülern vorgeworfen, in der Schulzeit zu streiken, und es wird ihnen nahegelegt, das ganze doch an einem Samstag zu machen. Noch mal: Das ist nicht der Sinn des Streikens, und das würde der Bewegung nicht halb so viel Aufmerksamkeit geben.

Herr Laschet ist der Meinung, die SchülerInnen würden ein persönliches Opfer bringen, wenn sie am Wochenende demonstrieren würden, und dadurch wären sie glaubwürdiger. Ich sage, das ist totaler Quatsch.

Die SchülerInnen bringen genau jetzt ein persönliches Opfer. Sie opfern ihre Bildung. Sie nehmen Konsequenzen in Kauf. Sie führen Diskussionen mit Eltern und Lehrern.

Die Kinder von Frau Kramp-Karrenbauer zum Beispiel würden keinen „bezahlten Nachhilfeunterricht“ bekommen. Das ist „ein Opfer bringen“, Herr Laschet. Am Gymnasium Stein in der Nähe von Nürnberg zum Beispiel müssen streikende SchülerInnen Aufsätze schreiben, bekommen Elternbriefe, und Schulleiter Gerhard Nickl findet Konsequenzen auch total richtig. Denn „wenn jemandem der Klimaschutz so viel bedeutet, dass er dafür Regeln bricht, dann muss er Konsequenzen in Kauf nehmen“. Und ich finde, da wird noch mal mehr deutlich, wie wichtig es ist, dass junge Menschen für ihre Zukunft auf die Straße gehen. Denn die Laschets und Nickls unseres Landes werden die Zukunft eben nicht zum Positiven verändern.

Auch die AfD springt natürlich auf den Zug auf. Im Bayrischen Landtag wird Schule schwänzen mit „gelebte[r] Verwahrlosung, soziale[m] Abstieg und letztlich Verblödung“ gleichgesetzt. Zwei Dinge: Erstens kann ich Schule schwänzen, wann ich will. Und dann treffen diese Aussagen vielleicht auch zu. Wenn ich allerdings Schule schwänze, um mich politisch zu engagieren, hat das nichts mit Verblödung zu tun. Zweitens, wenn die Konsequenz aus Schule schwänzen für politisches Engagement „zwangsweise Zuführung“ (also die Zuführung zur Schule durch die Polizei) sein kann, auf der anderen Seite aber pro Woche eine Millionen Schulstunden ausfallen, sollten man vielleicht mal schauen, wo die Verblödung wirklich liegt.

Jetzt gibt es auch Politiker, die sich mit den Jugendlichen solidarisieren. Robert Habeck würde sich einen Eintrag ins Klassenbuch ausgedruckt an die Wand hängen. Er ist begeistert von der Bewegung und sagt: „Das ist einer der großartigsten Momente, die ich mir vorstellen kann. Dass lauter SchülerInnen der Politik sagen: ‚Ey, Leute, ihr glaubt es geht um euch – es geht um uns!‘ Was für eine großartige Bewegung!“ Auch Bundeskanzlerin Merkel unterstützt die Bewegung und solidarisiert sich mit „Fridays for Future“. Schön und gut. Den Grünen und damit auch Robert Habeck nehme ich das Ganze vielleicht noch ein bisschen ab. Schließlich ist Umweltschutz seit Jahren Thema Nummer eins bei den Grünen.

Aber letzendlich finde ich es sehr scheinheilig, sich als Politiker hinzustellen, die SchülerInnen für ihr Engagement zu loben, und dann im Bundestag nichts voranzubringen.

Denn die von Lindner herbeizitierten Profis sind schließlich die, die am Ende handeln müssen. Deshalb ist die Aussage von unserem Bundeswirtschaftsminster Peter Altmaier einfach lächerlich. Er sagt: „Letztendlich streiken die Schüler gegen sich selbst. Wenn sie später als Erwachsene die Welt verändern wollen, und das hoffen wir ja alle, dann ist eine gute Ausbidung wichtig.“ Wow. Anscheinend hatte Altmaier keine so gute Ausbildung, denn er ist mitverantwortlich, dass die Welt sich zum Schlechten verändert. Und so kontert auch Luisa Neubauer von „Fridays for Future“: „Wir gehen nicht auf die Straße, weil wir später als Erwachsene etwas verändern wollen, sondern weil Entscheidungsträger wie Sie jetzt handeln müssen.“

In diesem Sinne: Wir Jugendlichen müssen so lange weitermachen, bis die alten Säcke endlich aufhören, Phrasen zu dreschen, und anfangen zu handeln! Denn die Zukunft gehört uns.

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