Die Verrohung greift weiter um sich

Dass unsere Gesellschaft immer weiter verroht, wurde ja in den letzten Jahren immer wieder thematisiert (auch von mir in einem Artikel von 2014). Nun haben wir krisenhafte Zeiten, und da ist es leider nicht verwunderliche, dass sich dieser Prozess noch mal deutlich verstärkt.

Und das ist nicht mehr nur im Internet im Fall, wo es in den (un-)sozialen Medien ja schon allzu oft unter aller Sau zugeht bei Diskussionen, wenn dort nur noch gepöbelt und gehetzt wird, anstatt sachlich Argumente auszutauschen.

Wie weit so was mittlerweile geht, haben gerade kürzlich die Inhaber einer „Veganen Fleischerei“ erfahren, die in Dresden eröffnet wurde (s. hier). Da gab es haufenweise Hass-Mails bis hin zu Morddrohungen von Fleischfanatikern, die offensichtlich ein Problem damit haben, dass andere Menschen auch andere Ernährungsgewohnheiten haben können.

Wie gestört muss man denn bitte sein, um jemandem den Tod zu wünschen oder sogar anzudrohen, nur weil diese Person pflanzliche statt tierischer Produkte verkauft?

Aber Einzelhändlern von vegetarischen und veganen Lebensmitteln wird generell mit viel Hass und Ablehnung begegnet. Davon zeugt auch ein Facebook-Posting des Geschäfts „Twelve Monkeys“, die auch Veganes und vieles davon sogar noch unverpackt in Hamburg St. Pauli anbieten. Nette Leute, als ich noch dort gewohnt habe, habe ich auch regelmäßig dort eingekauft – und dann muss man so was lesen:

Und auch hier wieder die Frage, wie kaputt man sein muss, um sich derart gehen zu lassen und andere Menschen so zu behelligen. Vor allem: Dabei wird es ja kaum um Leben und Tod gehen, sondern um irgendwelches Gedöns, was mit Einkaufen von Nahrungsmitteln zu tun hat.

Das kann nun aber alles noch getoppt werden von dem, was mir meine Frau letzte Woche berichtet hat. Sie war bei uns in Rendsburg bei der Post und dort etwas verwundert, dass an der Tür ein Security-Mann stand mit der Order, nicht mehr als fünf Kunden gleichzeitig reinzulassen.

Am Schalter wurde meiner Frau dann auf Nachfrage mitgeteilt, was es damit auf sich hatte. Am Vortag kam es nämlich zu sehr unschönen Szenen in der Postfiliale, als dort etwa 20 Kunden in der Warteschlange  standen und aufgrund eines technischen Problems, um das sich zwei der Angestellten ein paar Minuten kümmern mussten, ein bisschen länger warten mussten. Erst wurde gemurrt, dann lautstark gezetert, dann untereinander gerangelt, und schließlich wurden die Postmitarbeiter mit Gegenständen aus den Verkaufsregalen beschmissen, sodass die Polizei anrücken musste.

Ich war auch schon öfter dort bei der Post, und die Mitarbeiter waren eigentlich immer recht freundlich. Klar, manchmal muss man ein bisschen warten, was dann aber vor allem daran lag, dass sich Kunden nicht eben beeilten, als sie an der Reihe waren. Und selbst wenn die Angestellten nicht sonderlich freundlich wären, so ist das ja noch lange kein Grund, dort in der Filiale herumzumarodieren.

Allerdings fingen an dem Tag, als meine Frau dort war, auch schon wieder Kunden an herumzuzetern, dass es doch ein Unding sei, dass man nun nur noch fünf Kunden gleichzeitig in die Filiale lassen würde. Die Stimmung war also schon wieder reichlich angespannt.

Was liegt diesem aggressiven Verhalten zugrunde?

Ich hab da so ein paar Vermutungen: Zum einen ist es der Zeitgeist, der alle anderen Menschen vor allem als Konkurrenten sieht und daher Unzufriedenheit schürt (s. hierzu meinen Artikel von letzter Woche). Dazu kommt dann noch, dass aufgrund des nun schon seit Jahren andauernden Krisenmodus viele Menschen verängstigt sind – und Angst führt nun mal eben nicht zu besonnenen und reflektierten Handlungen.

Diese Angst ist zum Teil berechtigt, wird zum Teil aber auch geschürt, insbesondere von Politikern und Medien von Rechtsaußen. Und dann kommt seit Beginn des Ukraine-Kriegs auch noch hinzu, dass sich die Sprache sehr militarisiert hat (s. hier) und Gewalt als Lösung für politische Konflikte ganz offen gutgeheißen wird. So was formt dann eben auch das Denken der Einzelnen, wenn die dauernd damit konfrontiert werden. Na ja, und dann ist da noch das eingangs schon angesprochene rüpelhafte Verhalten von Maulhelden hinter Displays, durch das die virtuelle Diskussionskultur leider weitgehend vor die Wand gefahren wurde. Auch hier findet dann eine gewissen Normalisierung von (verbaler) Gewalt statt, wenn dies eben immer und immer wieder auftritt.

Ziemlich fiese Mischung, die dann wohl zu derartigem Verhalten, wie ich es oben geschildert habe, führt. Und das eben nicht nur in Ausnahmesituationen ganz vereinzelt mal auftritt, weil irgendjemand gerade durchdreht, sondern offensichtlich mit schöner Regelmäßigkeit und aufgrund von nichtigen Anlässen.

Ich stelle mir nun gerade vor, wie Menschen mit so einem für mich indiskutablen Verhalten wohl reagieren werden, wenn es dann wirklich mal ans Eingemachte geht. Die Möglichkeiten von existenzbedrohenden Krisen sind ja nun wirklich mannigfaltig: Klimakrise mit entsprechenden Naturkatastrophen, Artensterben mit ebenfalls unschönen Auswirkungen, Kriege, soziale Verwerfungen, antidemokratische Parteien in Regierungsverantwortung (gibt’s ja nun bereits in viel zu vielen eigentlich demokratischen Ländern) …

Das wird ein Spaß. Oder: Der Neoliberalismus frisst seine Kinder.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Die Verrohung greift weiter um sich“

  1. In einem Artikel auf VICE wird ebenfalls beklagt, dass sich immer mehr Menschen asozial verhalten, in diesem Fall geht es um Konzertbesucher. Und auch die Frage, warum das so ist, führt dann zu einer Mischung von Gründen, die alle systemimmanent sind: Egoismus, fehlende Empathie, übersteigertes Geltungsbewusstsein, gepaart mit der Möglichkeit, sich ständig auf Social-Media-Kanälen präsentieren zu können. Und dann kommt eben noch die Corona-Pandemie hinzu, die vor allem bei jungen Menschen in den letzten Jahren zu Sozialisationsdefiziten geführt hat.

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