Der Niedergang der Popmusik

Am vergangenen Wochenende habe ich mit Freunden das Spiel „Hitster“ gespielt – und das hat bei mir dann dazu geführt, dass ich mir einige Gedanken über die Entwicklung der Popmusik in den letzten Jahren gemacht habe.

Eins vorweg: Ich gehöre nicht zur „Früher war alles besser“-Fraktion (weder musikalisch noch politisch oder gesellschaftlich), sondern höre nach wie vor sehr viel aktuelle Musik. Ständig entdecke ich neue Musiker und Bands verschiedenster Genres – nur Popmusik ist so gut wie gar nicht mehr dabei.

Und beim Spielen von „Hitster“ wurde mir auch gleich klar, warum das so ist. Kurz zum Spiel: Es werden über eine App QR-Codes von Karten eingelesen, dann wird über Spotify ein so aufgerufenes Lied abgespielt, und derjenige, der gerade dran ist, muss dann raten, aus welcher Zeit das Lied stammt. Die zeitliche Bandbreite geht von 1945 bis heute, und man muss die Karten, die man im Laufe der Runden erspielt, in eine richtige chronologische Reihenfolge bringen. Je weiter fortgeschritten das Spiel ist, desto genauer muss man also die Jahreszahlen treffen, da man schon einige andere Jahreszahlen bei sich liegen hat. Wenn man dann noch den Interpreten und den Songtitel weiß, gibt es Extrapunkte.

Die Songs sind dabei natürlich so ausgewählt, dass es sich um Hits handelt, vorwiegend aus der Popmusik, aber bei älteren Titeln kann auch schon mal Rock, Jazz oder Schlager dabei sein.

Was mir während des Spiels dann auffiel: Die Songs, die aus den letzten 20 Jahren stammen, kannte ich so gut wie nie – weder die Interpreten (von einigen wenigen hatte ich zumindest mal den Namen irgendwo gehört) noch die Songs. Ich höre nämlich schon seit über 30 Jahren kein Radio mehr, also in etwa von dem Zeitpunkt an, als die Radiosender sich zum Formatradio wandelten und so im Grunde nur noch Werbefunk für die großen Plattenfirmen waren. Zudem hatte ich auch Schwierigkeiten, die Songs zeitlich einzuordnen, da die für mich alle ziemlich gleich klangen – der einzige Unterschied war oft nur die Intensität, mit welcher der Autotune-Effekt verwendet wurde.

Nun bin ich durchaus in der Lage, differenziert Musik zu hören, zudem mache ich auch selbst Musik, habe Lehramt auf Musik studiert und Musikunterricht gegeben sowie als DJ und im Tonträgerhandel gearbeitet. Es ist also nicht so, dass die heutige Popmusik nun für mich schlichtweg „neumodischer Kram, der sowieso immer gleich klingt“ ist, was ich mir beispielsweise oft anhören durfte von meinen Eltern, wenn ich in meiner Jugend aktuelle Musik gehört habe. Wenn ich nun allerdings höre, wie sich die Popmusik in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt hat, dann ist wirklich der einzige markante Unterschied eben das inflationäre Verwenden des überzogenen Autotune-Effekts auf den Stimmen. Ansonsten sind da keine großen Unterschied von Instrumentierung, Songaufbau, Arrangement, Stimmung und Melodieführung seit den Boy- und Girlbands, die in den 90er-Jahren das Popgenre dominiert haben, festzustellen: entweder fröhliche Partylieder oder schwülstige Balladen, meist harmonisch sehr simpel gehalten und mit Refrains versehen, die oft eine Nähe zum Schlager aufweisen.

Popmusik war schon immer durch Eingängigkeit gekennzeichnet, allerdings hatte sie eben immer auch herausfordernde moderne, wenn nicht gar avantgardistische Momente. Ich denke da beispielsweise an eine Band wie Yello, die in den 80er-Jahren ganz selbstverständlich als Popmusik im Radio gespielt wurde – heute wohl eher unvorstellbar. Oder Songs wie „Mama“ von Genesis, das ein Riesenhit war trotz seiner Länge von über sechs Minuten und heute keine Chance mehr hätte, im Rundfunk zu laufen – schlichtweg zu lang. Von „Stairway To Heaven“ oder „Hotel California“, immerhin Welthits aus den 70er-Jahren, ganz zu schweigen …

Mittlerweile sieht es sogar so aus, dass Popsongs extra so gestaltet werden, dass in den ersten 30 Sekunden schon quasi alles drin ist, vor allem auch der Refrain, einfach damit die aufmerksamkeitsdefizitären Hörer von Spotify und Co. nicht nach weniger als 30 Sekunden schon weiterswitchen – dann gibt es nämlich kein Geld fürs Abspielen (s. hier). Meiner Ansicht nach ist das schon ziemlich übles Anbiedern an die kommerzielle Verwertung, die dann künstlerische Aspekte beim Songaufbau komplett in den Hintergrund schieben.

Und dieser Überkommerzialisierung ist dann auch die Gleichförmigkeit der Popmusik geschuldet: Hauptsache, das stört nicht. Dabei gibt es ja wirklich noch in Nischen durchaus interessante Musik, die man wohl irgendwie als Pop bezeichnen könnte, beispielsweise von der Sängerin Eivør. Und auch einige Bands des grob als Indie bezeichneten Genres könnten durchaus als Popmusik durchgehen, Elbow oder Warpaint zum Beispiel, aber das wird sich alles nicht im Popradio oder anderen Präsentationsformen von Popmusik finden (oder daher eben auch nicht bei einem Spiel wie „Hitster“), weil dort eben die Stereotypie das vorherrschende Kriterium ist.

Das für mich Erschreckende dabei: Als ich jung war, war den älteren Menschen „unsere“ Popmusik zu schräg, zu abgefahren – und heute ist mir als Älterem die Popmusik, die junge Menschen hören, zu glatt gebügelt, zu gleichförmig, zu brav. Hier hat sich der Generationskonflikt inhaltlich umgekehrt, und das ist m. E. kein gutes Zeichen, denn die jungen Menschen sollten doch den älteren eigentlich neue Wege aufzeigen, und das drückt sich ja normalerweise auch kulturell aus.

Insofern ist es für mich nicht verwunderlich, dass junge Menschen zunehmen zum Konservativismus neigen. Das berichten mir zumindest immer wieder Freunde mit Kindern im Teenager- und Jungerwachsenenalter, aber auch die Wahlergebnisse bei Jungwählern deuten ja darauf hin, wenn dort beispielsweise eine rückschrittliche Partei wie die FDP ziemlich hoch im Kurs steht.

Wenn man anfängt, Musik zu hören als junger Mensch, dann ist es extrem wichtig, was einem vorgesetzt wird. Und das ist heutzutage leider gleichförmiger, auf Kommerz getrimmter Pop mit minimaler oder gar keiner künstlerischen Inspiration. Das war ja vor Jahren mit dem Aufkommen von Castingshows schon zu beobachten, die ja letztlich dann auch stromlinienförmige Interpreten hervorgebracht haben, die das zu singen hatten, was ihnen die Produzenten (die das ausschließlich als Geldquelle gesehen haben) an Songs vorsetzten. Natürlich gab es solche Kommerzmusik schon immer, aber in den letzten Jahrzehnten ist sie eben extrem dominierend im Genre Pop geworden, sodass da kaum noch Platz für Musiker bleibt, die sich wirklich künstlerisch ausdrücken wollen.

Das Paradebeispiel dafür ist für mich ja Beyoncé, die zwar zum R&B gezählt wird, der allerdings für mich mittlerweile auch vor allem eine Spielart der Popmusik ist. Vor einigen Jahren hatte ich mal eine Diskussion auf Facebook ihretwegen, da ich ihre Musik (durchaus etwas provokant) als Schlager bezeichnete – eben von einer Hupfdohle, die immer das macht, von dem sie sich gerade den größtmöglichen Umsatz verspricht. Dem wurde dann vehement von einigen Leuten widersprochen, die eine ernsthafte Entwicklung bei Beyoncé ausmachen wollten hin zu einer seriösen Musikerin. Doch zum einen fand ich ihre damals aktuelle Musik immer noch voller Stereotype, zum anderen war eine gewisse Gesetztheit natürlich schon angebracht, da ihr Publikum mit ihr alterte und nun nicht mehr aus Teenies, sondern aus 30-Jährigen bestand. Na ja, das konnten wir damals nicht auflösen, allerdings musste ich dann gerade doch sehr schmunzeln, als ich las, dass Beyoncé nun ein Country-Album machen würde. Ob das wohl mit einer künstlerischen Neubesinnung von ihr zu tun hat oder doch eher dem Umstand geschuldet ist, dass zurzeit gerade mit Taylor Swift und Morgan Wallen in den USA Coutnry-Musiker alle Umsatzrekorde brechen? Ich tippe mal auf Letzteres …

Natürlich ist es nicht verwerflich, wenn Musiker mit ihrer Arbeit Geld verdienen wollen. Sobald dies aber, wie bei der Popmusik in diesem Jahrtausend zu beobachten, dazu führt, dass keine künstlerischen Ideen, sondern nur noch die Überlegung, mit welchen Klischees und Stereotypen man eine zunehmend an Klischees und Stereotype gewohnte Hörerschaft ansprechen kann, dann ergibt das halt Langeweile, Belanglosigkeit und Stillstand.

Und das finde ich extrem schade, denn Popmusik kann eigentlich so viel mehr sein. Und hat ja auch in den letzten vier Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts einiges in Bewegung gesetzt, sowohl künstlerisch als auch gesellschaftlich. Doch das ist nun offensichtlich vorbei – und ich glaube kaum, dass sich diese Entwicklung noch irgendwie umkehren lässt.

Nur gut, dass es noch andere Musikgenres gibt – nach denen man sich dann aber schon etwas intensiver auf die Suche begeben muss.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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