Das Coronavirus neueren Datums

Das Coronavirus ist mehr als nur ein Virus. Es ist mehr als nur eine Bedrohung der Gesundheit von Menschen, deren Gesundheit aufgrund von Alter und Vorerkrankungen schon angeschlagen ist. Das Coronavirus bedroht uns alle, weil es die Gesellschaft bedroht und in das immer dünner werdende Häutchen der Zivilisation tiefe Risse zu reißen geeignet ist.

Nach der Krise ist vor der Krise

Dieser Satz gilt schon lange, sollte längst Teil der Allgemeinbildung sein. Krise folgt auf Krise, und zwar zwangsläufig, weil Systeme, und zwar alle Systeme, sich in ständiger Bewegung befinden und Krisen deshalb auch nicht ausbleiben können. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Krisen, und die Zeiten, die mal ohne große Krisen auskamen, sind deshalb auch meist recht schlecht dokumentiert in der Geschichtsschreibung. Wir könnten also gelassen abwarten, wissend, dass auch diese Krise überwunden werden wird und eine Zeit der Beruhigung eintreten wird. Können wir das wirklich? Ich meine Nein.

Gelassenheit ist immer eine sinnvolle Art, mit dem Leben und den Geschehnissen umzugehen, und Panik, das Gegenteil von Gelassenheit, ist wohl das Dümmste, in das man fallen kann, auch jetzt wieder. Aber Gelassenheit darf man auch nicht mit Pflegmatismus verwechseln. Gelassenheit heißt nicht, die Augen und Ohren zu verschließen, „den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen“. Es heißt nicht, sich der Herausforderung nicht zu stellen oder erst zu stellen, wenn aus der Herausforderung ein Problem geworden ist. Im Gegenteil, Gelassenheit heißt, sich den Fakten zu stellen, sie zu bewerten und vor die Herausforderung dann im Tun zu kommen, nicht hinter dieser herzulaufen, sodass sie zum Problem erst werden konnte. Gelassenheit heißt nicht Nichtstun, sondern die Ruhe beim Tun zu bewahren. Und zu genau dieser Gelassenheit mahne ich, auch hier.

Nach der Krise ist nicht vor der Krise, denn die Krisen folgen auf Krisen, die noch gar nicht bewältigt worden sind

Dies ist die Besonderheit unserer Zeit. Wir haben keine der Krisen der letzten Jahrzehnte wirklich bewältigt. Wir haben sie maximal unter Kontrolle gebracht, verdrängen sie und haben uns den neuen Krisen zugewandt, und das alles in immer kürzeren Zeitabständen. Ruhe zwischen den Krisenereignissen gab es kaum. Die Feuer loderten zwar nicht mehr, aber sie schwelen, und der Schwelbrände gibt es immer mehr. Das ist das eigentliche Problem, vor welchem wir mittlerweile stehen. Es gibt zu viele Krisen, die einer wirklichen Bewältigung harren.

Das Coronavirus ist gefährlicher, als man selbst vielleicht glauben mag

Nicht die Mortalitätsrate ist das eigentliche Gefährliche für die Gesellschaft, für die Risikogruppen natürlich schon. Es sind die Krisen, die unbewältigten Krisen, die Masse davon, die es so gefährlich machen. Gefährlicher, als es sowieso gewesen wäre. Denn natürlich ist es gefährlicher als eine Grippe, die fast immer nur saisonal auftritt, nur einen Teil der Bevölkerung befällt, die wir im Immunsystem oft schon „eingepreist“ haben oder dagegen geimpft sind. Aber darüber hinaus ist es gefährlich. Denn es trifft nicht auf gesunde, krisenfreie Gesellschaften, sondern auf krisengeschüttelte und von anderen Krisen gleichzeitig bedrohte Gesellschaften. Es trifft vor allem diese Gesellschaften von innen, wenn es einmal von außen eingedrungen ist.

China hat gezeigt, was notwendig sein könnte, um das Virus einzudämmen, es unter Kontrolle zu bringen. Nur China ist ein autoritärer Staat, mit einer recht uniformen Gesellschaft in den meisten Regionen und politisch im ganzen Land. Wir können das nicht, was China kann, jedenfalls nicht ohne gravierende Folgen tragen zu müssen. Wir haben auch nicht nur diese Krise, wie schon gesagt, sondern längst einen bunten Strauß davon. Corona könnte deshalb durchaus das Fass zum Überlaufen bringen. Und wenn nicht, so wird Corona auch nicht folgenlos bleiben. Es wird uns weiter schwächen, und wir werden noch schwächer in die nächste Krise gehen.

Mehr noch: Die nächste Krise ist schon allgegenwärtig, sie spitzt sich gerade zu, an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland. Was, wenn beide Krisen gleichzeitig auf diese in sich zerrissene, geschwächte und in großen Teilen geschundene Gesellschaft treffen? Was, wenn die Finanzmärkte und die realen Märkte nicht nur schwächeln, sondern in eine tiefe Rezession fallen, und dies nicht in Folge, sondern währenddessen? Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, aber ich tue es dennoch, weil dringend darüber nachgedacht werden muss. Wir müssen nämlich vor die Krise, vor das Problem, vor die Herausforderung kommen. Vor die Problemlage kommt man aber erst, wenn man das Problem als Problem anerkennt und es entsprechend versucht zu beheben, im Falle von Corona zu managen. Vor das Problem zu kommen heißt, agieren zu können und nicht, wie so oft in den letzten Dekaden, nur zu reagieren, wenn Reaktion unausweichlich geworden ist.

Wir müssen aber vor allem endlich einmal die Krisen lösen und nicht weiterhin vor uns herschieben. Denn tun wir es nicht, so werden wir in eine substanzielle Krise schlittern, die so groß werden könnte, dass das dünne Häutchen der Zivilisation ein erneutes Mal reißt. Corona sollte Anlass sein, dies nun anzudenken, besser auch zu tun.

Fazit: Wir können gar nicht zu viel tun, um dieses Virus zu bekämpfen, denn zu wenig wäre viel zu gefährlich für uns alle. Wir brauchen nämlich Zeit. Zeit, um das Virus erträglich zu halten für die Gesellschaft, und Zeit, um endlich einmal die Probleme und Krisen der Vergangenheit zu lösen, ehe neue Krisen am Horizont erscheinen.

Print Friendly, PDF & Email

Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

Schreibe einen Kommentar