Von Hysterie und Egoismus

Derzeit dominiert das Corona-Virus „ARS CoV 2“ nicht nur die Medien, sondern auch die persönlichen Gespräche und Stammtische weltweit. Nicht selten herrschen sehr unterschiedliche Meinungen vor, und gelegentlich kommt es dabei zu Auseinandersetzungen darüber, ob der persönliche Umgang mit dem Virus und dessen Maßnahmen zur Eindämmung angemessen ist. Für mich erkenne ich oft die gleichen Argumentationsmuster, wie es beim Thema Klimawandel seit Jahren der Fall ist: Entweder man wird in die Hysterie-Ecke gestellt oder gilt als Egoist oder Leugner. Auch hier wird seitens der Medien wieder kräftig gespalten, wo eigentlich ein Konsens gesucht werden sollte.

Die beiden scheinbar unvereinbaren Seiten sind relativ leicht abgrenzbar: Die einen machen weiter wie bisher, die anderen passen ihr persönliches Verhalten im Rahmen ihrer Komfortzone an (von Egoismus bis Hysterie). Allerdings sind die Gründe für dieses Verhalten vielfältig und deshalb nicht pauschal gut oder schlecht. Im Fall des Corona-Virus ist es etwas einfacher zu erklären: Verhalte ich mich wie gewohnt, dann gehe ich das Risiko ein, mich selbst und andere zu infizieren. Es steht natürlich jedem frei, kein Problem mit der eigenen Infektion zu haben, aber das Virus von A nach B zu übertragen und damit für die Infektion oder gar den Tod von B oder auch C verantwortlich zu sein, lässt sich so nicht ausschließen. Sprich: Ich gehe wie jeden Samstag in die Bar meines Vertrauens, infiziere mich dort und trage diese Infektion unbemerkt noch 10 bis 20 Tage umher. In der Zeit stecke ich den Gemüsehändler an, der wiederum Herrn Meyer aus dem dritten Stock ansteckt (ob über den Kontakt mit Geld, Türgriffen oder das Anniesen). Da Herr Meyer bereits 87 Jahre alt ist, legt der sich nach Ausbruch des Virus gepflegt in die Kiste unter der Erde, während ich nur erkältungsähnliche Symptome habe (natürlich gibt es mehr Gründe zur „Hysterie“ als diesen, z. B. auch das medizinischem Personal, dass man durch die eigene Infektion von den Patienten abzieht, die sie dringender benötigen, etc.).

Im Prinzip ist es mit dem Klimawandel nicht viel anders, allerdings ist es hier einfacher, die Tatsachen zu leugnen, da die Auswirkungen nicht so direkt spürbar sind. So ist es möglich, dass der Egoismus in Sachen Klimaschutz gar nicht als solcher wahrgenommen wird, denn man zweifelt ja bereits an der (weltweit anerkannten und in Fachkreisen praktisch völlig unumstrittenen) Tatsache, dass es den menschgemachten Klimawandel überhaupt gibt. Ausgangspunkt ist aber auch hier: weitermachen wie bisher! Ein Konzept, dass tief im menschlichen Verhalten verankert ist, denn wir alle geben bisher erfolgreiche Konzepte sehr ungern auf. Diese Konzepte gehen von „Wenn ich esse, werde ich satt“ über „Wenn ich meinem Partner Komplimente mache, dann bekomme ich Zuneigung“ bis zu „Wenn ich etwas vehement ablehne, dann lassen mich die Leute damit in Ruhe“.

Was sich eben noch in der Debatte gleicht: Jegliche Bemühungen zum Schutz der Gemeinschaft werden gern als „Hysterie“ verunglimpft bzw. die Person wird diffamiert. Auch dieses Verhalten scheint zutiefst menschlich, denn in meinen über 20 Jahren als Vegetarier wurde ich schon so häufig ohne vorherige Diskussion oder sonst einen Anlass verhöhnt oder angefeindet, dass es das schlechte Gewissen zu sein scheint, was Auslöser für solch ein herabwürdigendes Verhalten ist. Frei nach dem Motto: „Wenn ich mir nur oft und intensiv genug etwas einrede, dann wird es schon wahr werden (zumindest für mich).“

Natürlich habe auch ich blinde Flecken in meinen Bemühungen, Virus oder Klimawandel zu begrenzen, die ich meiner Komfortzone wegen auch blind halten möchte – typisch menschlich. Und natürlich gibt es auch Verhaltensweisen, die ich dermaßen überzogen finde, dass ich den Begriff „Hysterie“ nicht gänzlich abwegig finde (was sich teilweise beim Hamsterkaufverhalten der Leute abspielt, das ist schon abenteuerlich). Das Wort „menschlich“ ist in diesem Zusammenhang kein positives für mich, denn zu oft erklären sich unsoziale Verhaltensweisen mit ebendieser uns alle vereinigenden Eigenschaft: „Menschlichkeit“. Und trotzdem appelliere ich an die Vernunft und den Gerechtigkeitssinn aller Menschen, wenn ich schreibe: Akzeptanz ist eines unserer höchsten Güter, und wo es um Gerechtigkeit geht, da geht es immer um das „Wir“ und nicht um das „Ich“. Inwieweit man sich aus seiner Komfortzone bewegt, das wird jeder selbst entscheiden. Aber die Verantwortung für mein Handeln muss ich selbst tragen und ertragen, egal wie ich auf andere schaue und schimpfe.

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

Ein Gedanke zu „Von Hysterie und Egoismus“

  1. Ich kann jedem Wort zustimmen, Dirk. Nichtsdestotrotz eine kleine Ergänzung. Akzeptanz setzt Wertschätzung voraus und fehlt diese oder ist sie auch nur in zu geringem Maße vorhanden, wird es schwer mit der Akzeptanz. Ich behaupte, es fehlt an Wertschätzung und das in fast allen Bereichen, wo es ohne Wertschätzung eigentlich gar nicht geht. Und ich behaupte weiter, genau das sieht man dieser Tage, Tage der Wert- und der Nichtwertschätzung.

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