Der Philosoph Richard David Precht gehört aus meiner Sicht zu den geistig bestsortierten Personen, wenn es um die Gesellschaft und deren Motivationen geht. Das merkt man vor allem in Diskussionsrunden, wenn Politiker*innen lieber auch mal den Mund halten, weil sie sonst ganz fix ohne Rock oder Hosen dastehen. Genauso kompetent sind Prechts Schreibstil und seine Analysen unserer Arbeitswelt in seinem 2018 erschienen Buch „Jäger, Hirten, Kritiker“, in dem er auf unserem Umgang mit der „Industriellen Revolution 4.0“ ins Gericht geht.
Immer mehr Jobs werden durch Maschinen bewältigt, ob in der Fabrik am Fließband oder durch intelligente Sprachsteuerung in der Telefonhotline, ob durch Ernteroboter in der Landwirtschaft oder selbstfahrende Taxen, Bahnen und Busse. Wie gut sind wir auf eine Umstellung vorbereitet, in der ein Großteil der Menschen keine erwerbstätige Arbeit mehr verrichten muss oder kann? Gleichzeitig sinkt der Preis für Konsumgüter, die nahezu ohne menschliches Zutun hergestellt werden. Gewinner bleiben die Big Player, die eine Umstellung auf maschinelle Herstellung finanziell leicht bewerkstelligen können.
So finde ich die Idee begrüßenswert, soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Sprachassistenten und Internet der Dinge in die Hand der Allgemeinheit zu übergeben, damit die Kontrolle über die Daten nicht mehr den skrupellosen Weltkonzernen zufällt. Wie Marx bereits 1858 forderte, sollten Wissen und Kommunikation nicht Mittel des Kapitals sein. Und da immer mehr Arbeit durch Maschinen erledigt wird, muss eine andere Möglichkeit der Bezahlung oder des Einkommens gefunden werden. „Viel Zeit zu haben ist schön – aber nur, wenn man eigentlich was zu tun hätte.“
Hier liefert der Autor, nach einer ausgiebigen Zustandsanalyse und Dystopie, viele Ansätze und konkrete Lösungsvorschläge, wie eine Zukunft aussehen kann, die uns bevorsteht (sofern uns die menschgemachte Klimakatastrophe nicht vorher in ungeahntem Ausmaß um die Ohren fliegt). Treffend stellt er fest: „Gerade die bunte Vielfalt des biologisch Verzichtbaren macht Menschen zu Menschen“, und deshalb ist eine Optimierung zu einem durchgetakteten und -organisierten Leben eine Vorstellung, die meiner Meinung nach nur Technik-Nerds mit Smartlife-Optimierung oder religiöse Fanatiker mit Selbstoptimierungs-Tick haben sollten.
Vorhersagen, in welche technischen Fallen wir laufen werden, das kann niemand mit Gewissheit. Aber die in diesem Buch dargestellten Prognosen und Utopien bieten auf jeden Fall ein breites Spektrum an eigenen Denkansätzen. Deshalb sollten wir und das Selbstdenken auch nicht von smarten Telefonen oder Sprachassistenten abnehmen lassen. Oder wie ein Zitat eines niederländischen Verkehrsplaners: „Wenn man die Leute ständig anleitet und behandelt wie Idioten, dann benehmen sie sich auch wie Idioten!“
„Jäger, Hirten, Kritiker – Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“
Im Goldmann Verlag 2018 erschienen, 288 Seiten
ISBN 978-3-442-31501-7