Bürokratiebremse

Die Bundesregierung beschließt eine Bürokratiebremse, wie beispielsweise aus einem Artikel der Zeit hervorgeht. Das hört sich erst mal gut an, denn auf unnötige Bürokratie hat ja niemand so richtig Lust, allerdings wird das Ganze dann schon ein wenig seltsam, wenn man es ein wenig genauer unter die Lupe nimmt.

Zunächst einmal sollte man sich die Frage stellen, wozu denn Bürokratie überhaupt dient. Das ist ja nun nicht nur entwickelt worden, um die Bürger mehr oder weniger gängeln zu können, sondern hinter dem Begriff verbergen sich ja auch alle möglichen sinnvollen Sachen: Verbraucherschutz, Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte, Kinder- und Jugendschutz, die Straßenverkehrsregeln usw. Also alles Dinge, auf die man dann irgendwie nicht so gern verzichten möchte. Unangenehm wird es dann, wenn das Gefühl aufkommt, Dinge würde in einem zu großen Maße oder unnötigerweise reguliert werden. Da fällt einem natürlich erst mal das in Deutschland extrem komplizierte Steuerrecht ein, aber auch Dinge wie das Verbot von herkömmlichen Glühbirnen wird von vielen als überflüssig angesehen. Bürokratie ist also per se nichts Schlechtes, kann aber eben schon nervige Blüten treiben.

Also scheint es doch durchaus sinnvoll, genau dies einschränken zu wollen. Tja, die Sache hat nur einen Haken, denn in dem Zeit-Artikel heißt es:

Mit den vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzen sollen Belastungen für die Wirtschaft durch überbordende Regelungen begrenzt werden.

Es geht also um die Wirtschaft, mithin nicht um die Bürger. Und die Sachen, die von Firmen und Konzernen üblicherweise als überflüssige Bürokratie wahrgenommen werden, sind nun mal die Regeln, die sich mit Umwelt- und Verbraucherschutz, Arbeitssicherheit usw. beschäftigen. Also irgendwie das, was den meisten Menschen durchaus sinnvoll erscheint.

Und wie soll diese Bürokratiebremse nun umgesetzt werden? Darüber gibt auch der oben verlinkte Artikel Auskunft:

Das Prinzip ist simpel: Wenn die Politik per Gesetz oder Verordnung neuen Verwaltungsaufwand für Unternehmen aufbaut, muss sie sie an anderer Stelle gleichwertig entlasten.

Danach folgt dann noch eine genaue Beschreibung, wie das ganze funktionieren soll, und zwar mit Bürokratie-Konten, die jedes Ministerium führen muss und die dann irgendwie auch mit anderen Ressorts verrechnet werden können. Liest sich für mich erst mal nicht nach unbedingt wenig bürokratischem Aufwand, der dafür betrieben werden muss. Was aber m. E. der eigentliche Knackpunkt ist: Welches Excel-süchtige BWLer-Hirn hat sich denn dieses Prinzip bloß ausgedacht? Verordnungen und Gesetze sind ja schließlich kein Selbstzweck, bei dem man zwei Salden miteinander abgleichen muss. Natürlich spricht nichts dagegen, überholte oder veraltete Regeln zu überdenken und dann auch abzuschaffen, aber dies sollte doch bitte einer inhaltlichen Prüfung unterliegen und nicht unter dem Druck vorgenommen werden, dass ja nun irgendwas eben wegmuss, weil eine neue Verordnung beschlossen werden soll. Zumal ja in einer zunehmend komplexer werdenden Welt auch durchaus neue Regelungen gebraucht werden, ohne das dadurch andere ältere überflüssig werden. Ganz einfaches Beispiel: Die Straßenverkehrsordnung hat sich vor 20 Jahren noch nicht damit beschäftigen müssen, wie mit der Benutzung von Handys beim Autofahren umzugehen sei.

Darüber hinaus öffnet diese Praxis zudem noch der Möglichkeit Tür und Tor, sich unliebsamer Verordnungen und Gesetze zu entledigen. Ein bisschen Lobbyarbeit hier, ein wenig Schmiergeld oder ein versprochenes Pöstchen da, und schon kommt eine Vorschrift als zu streichend auf den Zettel, die eben schon seit Längerem genervt hat, und dann muss nur noch irgendwas Neues in dem Bereich beschlossen werden – und schon ist man als Unternehmen eine störende Einschränkung im Bereich Umweltschutz oder Arbeitsrecht los.

Dass es der Bundesregierung hier nicht um eine wirkliche Entbürokratisierung geht, sondern nur mal wieder darum, Deregulierungen zugunsten von Unternehmen durchzusetzen, wird spätestens dann klar, wenn man sieht, was für ein bürokratisches Monster in der gleichen Woche vom Bundestag beschlossen wurde: die Pkw-Maut. Ich zitiere mal aus einem neues Deutschland-Artikel:

Grünen-Chefin Simone Peter hat die Zustimmung des Bundestags zur umstrittenen Pkw-Maut scharf kritisiert. »Dobrindts Ausländermaut ist ein trauriger Sieg bürokratischer Piefigkeit«, sagte Peter der Nachrichtenagentur AFP in Berlin. Deutschland werde sich mit dem von der CSU durchgesetzten Gesetz »bis auf die Knochen blamieren, wenn von europäischer Seite ein klares Nein kommt«. Eine Abgabe, die nur auf ausländische Bürger ziele, sei nicht europarechtskonform. Daran änderten auch die in letzter Minute vorgenommenen Korrekturen nichts. Diese führten lediglich zu noch mehr Verwaltungsaufwand.

Mal von dem berechtigten Einwand der wohl fehlenden Konformität mit EU-Recht sowie den negativen Einflüssen auf den kleinen Grenzverkehr und der Tatsache, dass von der geplanten Steuerentlastung als Ausgleich zur Maut vor allem die Besitzer großer Fahrzeuge profitieren, die überhaupt entsprechend viel Steuern zahlen, abgesehen: Wie geht denn das bitte zusammen mit dem angeblichen Bemühen um Entbürokratisierung? Aber die Pkw-Maut betrifft ja vor allem private Bürger, und deren Interessen muss man ja schließlich in der Politik nicht berücksichtigen, wenn man sich doch so viel besser um Unternehmensinteressen kümmern kann …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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