Der Fetisch von „Schwarzer Null“ und „Schuldenbremse“

Neoliberale Politiker aller Couleur (allerdings: je weiter rechts, desto mehr) haben ja ein besonderes Faible für die „Schwarze Null“ und die „Schuldenbremse“, die sogar Verfassungsrang bekommen hat. Was wäre wohl, wenn ein Unternehmen genauso agieren würde und diese beiden Prinzipien als oberste Maxime seines Wirtschaftens nehmen würde?

Das ist natürlich nur rein hypothetisch, denn aufgrund der Saldenmechanik würde dann eine Volkswirtschaft kollabieren oder zumindest in arges Ungleichgewicht geraten. Wenn nämlich in der Wirtschaft nur gespart würde, dann müssten sich der private und der staatliche Sektor verschulden, um das dann auszugleichen. Letztlich muss nämlich immer eine Null dabei rauskommen in der Gesamtrechnung, sodass die Ersparnisse eines Sektors die Schulden eines anderen oder beider anderen Sektoren sind.

Aber stellen wir uns doch einfach mal so ein Unternehmen vor, das in jedem Fall eine Kreditaufnahme vermeiden möchte und nur das Geld ausgibt, was auch zuvor eingenommen wurde (so gemäß der „Schwäbischen Hausfrau“-Denke). Und stellen wir uns weiter vor, bei diesem Unternehmen hätte nun die Produktionshalle einen Schaden am Dach, durch den es reinregnet. So eine Reparatur ist nicht ganz günstig, und augenblicklich ist kein Geld dafür vorhanden. Also belässt es der Unternehmer erst mal beim lecken Dach, und es wird einfach so weiterproduziert wie zuvor.

Das geht allerdings nicht lange gut, denn nach einem Starkregen ist so viel Wasser durchs Dach geleckt, dass eine darunterstehende Maschine einen schweren Wasserschaden bekommen hat. Auch diese Reparatur kostet Geld, eigentlich müsste die Maschine ausgetauscht werden, aber dafür ist kein Geld auf dem Konto. Also wird das gute Stück notdürftig wiederhergerichtet, es läuft auch erst mal mit immerhin 80 % der vorherigen Leistung – und der Monteur wird für die Instandsetzung mit Geld bezahlt, das durch den Verkauf eines Lieferwagens generiert wurde. Da dieses Geld schnell gebraucht wurde, hat man dabei allerdings nicht den höchstmöglichen Erlös erzielt.

Nun muss die Ware ja nach wie vor ausgeliefert werden, und da fehlt nun der verkaufte Transporter. Also wird ein neuer geleast. Dafür braucht man nur wenig Kapital zur Anzahlung, aber die laufenden Kosten des Unternehmens steigen deswegen natürlich. Und um dies auszugleichen, werden dann ein paar Leute entlassen. Und Azubis nimmt man sich am besten auch keine mehr, denn die Kosten ja auch nur Zeit und Geld.

Das Problem dabei ist nun: Das Leck im Dach wird nicht kleiner, sondern immer größer, sodass bald das ganze Dach marode ist. Die Reparaturkosten würden nun schon ein Vielfaches dessen betragen, was eine Instandsetzung gekostet hätte, als man den Schaden bemerkte. Und so kommt, was kommen muss: Weitere Maschinen erleiden Wasserschaden. Das führt dann zu Umsatzeinbußen, da man diese Maschinen auch nicht reparieren oder ersetzen kann, was dann wiederum zu weniger Geld führt, das zur Verfügung steht. Dazu kommt, dass die gekündigten Fachkräfte fehlen, die man entweder gar nicht oder durch günstigere Hilfsarbeiter ersetzt hat. Auch das drückt den Umsatz und zudem die Qualität der hergestellten Produkte, sodass die Reputation des Unternehmens am Markt zunehmend sinkt. Und das führt dann auch wieder zu niedrigeren Umsätzen, die dann durch Verkauf von unternehmenseigener Infrastruktur oder durch weitere Entlassungen kompensiert werden müssen.

Ihr ahnt, worauf das Ganze hinausläuft: Das Unternehmen muss irgendwann Insolvenz anmelden, da es überhaupt nicht mehr in der Lage ist, auch nur ansatzweise kostendeckend zu produzieren und zudem die Umsätze komplett eingebrochen sind.

Tja, da wäre es wohl cleverer gewesen, ganz am Anfang einen Kredit aufzunehmen, um das Dach zu reparieren, oder?

Das würde ja vermutlich auch jeder Unternehmer so machen – aber die auf die „Schwarze Null“ und die „Schuldenbremse“ fokussierte Wirtschaftspolitik agiert tatsächlich genauso dusselig wie das eben beschriebene Unternehmen.

Klar, das ist nun etwas vereinfacht dargestellt und auch mit einem guten Schuss Polemik versehen, aber es zeigt wohl schon ganz gut, warum es nicht eben schlau ist, nur aufs Monetäre zu fixieren und dabei dann alles andere zu vernachlässigen. Denn die Resultate erleben wir ja gerade in Deutschland: Infrastruktur, die verrottet und teilweise nicht mehr funktionsfähig ist.

Da sind Brücken seit Jahren nicht mehr für den Lastverkehr befahrbar, Schulgebäude gammeln vor sich hin, Schwimmbäder und Bibliotheken werden aus Kostengründen geschlossen, Straßen und Radwege sind teilweise in erbärmlichem Zustand, die Kommunen hat man finanziell ausbluten lassen, sodass diese ihre Aufgaben immer öfter nicht mehr adäquat wahrnehmen können, und so weiter und so fort – das kann man schon recht gut mit dem heruntergewirtschafteten Unternehmen im Beispiel vergleichen.

Das Problem dabei: Was als Unternehmenspolitik schnell und unzweifelhaft als idiotisch identifiziert werden kann, ist in der Wirtschaftspolitik mittlerweile selbstverständlicher Status quo, der so gut wie keinen Widerspruch erregt.

Und diejenigen, die genau diesen ökonomischen Unfug immer wieder und immer lauter propagieren, obwohl er sich (wie viele andere neoliberale Wirtschaftsmythen) schon längst als falsch erwiesen hat (s. dazu hier), sind dann absurderweise auch noch die, denen von vielen Medien dann eine besonders hohe „Wirtschaftskompetenz“ zugesprochen wird.

Au weia!

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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