Ein für unsere Zeit typisches Gespräch …

… führte ich am vergangenen Sonnabend im Backstagebereich einer Konzert-Location, wo ich mit meiner Band gespielt habe.

Inhaltlich war das auch recht harmlos, es ging um Musik, was ja nun nicht so verwunderlich ist, wenn viele Musiker auf einem Haufen sitzen.

Wir hatten unsere Auftritt absolviert und saßen nun im Backstageraum, um ein bisschen was zu trinken und den Gig Revue passieren zu lassen. Ein etwas älterer Mann, ich schätze mal, dass er so in den 50ern oder Anfang 60 war, kam herein. Er sagte, er wäre auch Mitglied des Vereins, der das Konzert veranstaltete, und wollte sich nur mal etwas hinsetzen, da er Rückenprobleme hatte.

Wir kamen ins Gespräch, und irgendwann meinte er, dass es ja heutzutage gar keine wirklich neue Musik mehr gäbe. Dem widersprachen unser Schlagzeuger und ich und nannten ein paar Beispiele von Bands und Musikern, die sehr wohl Musik machen, die man so vor zehn oder 20 Jahren noch nicht gehört hat. Wenig überraschend schienen ihnen diese Namen alle nichts zu sagen, dennoch fuhr er recht unbeirrt fort, dass ja Techno im Prinzip das letzte Mal gewesen sei, dass wirklich etwas komplett Neues in der Musik passierte. Vor allem machte er dies an den hohen Beatzahlen und daran, dass dabei oft nicht gesungen wird fest.

Wir erwiderten daraufhin, dass ja selbst klassische Musik vielfach ohne Gesang auskommt, dass es auch genug Rockmusik ohne Gesang gibt (ich nannte Mogwai als Beispiel, die er allerdings auch nicht kannte) und dass Techno ja auch nicht aus dem luftleeren Raum käme, sondern eben auf elektronischer Musik aufbaute, die es zuvor schon gab, beispielsweise von Tangerine Dream, Kraftwerk oder DAF.

Das nahm er allerdings nicht so zur Kenntnis und blieb dabei, dass Techno in den 90ern das letzte Mal gewesen sei, dass es richtig neue Musik gab.

Ich versuchte dann noch anzubringen, dass es ja auch so was wie Post Rock gibt und dass im extremen Metal-Bereich sehr viel Neues geschah (und immer noch geschieht) in diesem Jahrtausend, aber darauf meinte er, dass man ja das einfach nur mit Begriffen bezeichnen könnte, die schon vorhanden sind. Und dass da eben auch nur bereits existierende Musikstile kombiniert würden.

Das ist nun allerdings im Grunde immer der Fall gewesen, auch bei Musikstilen, die er als damalige Neuerung bezeichnet: Rock ’n‘ Roll beispielsweise ist durch die Kombination von weißer Country-Musik und schwarzem städtischen Blues entstanden. Und Country entwickelte sich aus dem Bluegrass, der wiederum stark von irischer und anderer europäischer Volksmusik beeinflusst war. Auch Blues war nicht auf einmal so da, sondern hat seine Wurzeln in Worksongs von vor allem Afroamerikanern, die auch das betont Perkussive der Musik aus ihrer afrikanischen Heimat mitgebracht haben.

Wenn man es also genau betrachtet, dann kann man Musik immer darauf zurückführen, dass in archaischer Vorzeit mal Menschen auf Gegenstände geklopft oder dort reingepustet und dazu dann gesungen haben.

Und am anderen Ende der Skala findet sich dann die Neue Musik, die bereits in Form von Zwölftonmusik und anderen atonalen Ausprägungen die Grenzen des Hörbaren ausgelotet hat. Aus harmonischer Sicht könnte man höchstens noch etwas Neues da hinzufügen, wenn man die Töne nutzen würde, die zwischen zwei Halbtönen sind. Aber das wäre dann etwas, was unseren Hörgewohnheiten ziemlich entgegenstehen dürfte, sodass so eine Musik (was ja auch schon bei der Neuen Musik, die doch recht wenig rezipiert wird) eher einen theoretischen Wert hätte als einen praktischen Gebrauchsnutzen für eine breitere Hörerschaft.

Das hätte man alles wunderbar diskutieren können, aber dazu kam es nicht, denn der Backstagebesucher hörte im Grunde überhaupt nicht zu, wenn auf seine Fragen geantwortet wurde, obwohl er genau das eigentlich vorgab: „Sag mir doch mal, was es da Neues gibt nach Techno, ich wäre ja froh, wenn es da was gäbe!“

Es stellte sich heraus, dass er offenbar seit den 1990er-Jahren nicht mehr wirklich aktiv Musik gehört hat, sodass er grundsätzlich bei allem, was wir ihm an Bands und Musikern nannten, nur meinte, das alles nicht zu kennen. Und das war’s dann auch. Keine Frage, was die denn so machen würden, was an der Musik denn für uns neu wäre, was denn beispielsweise so was wie Post Rock überhaupt sein würde – vielmehr fing er immer wieder an, seine These, dass es ja keine neue Musik mehr geben würde, in verschiedenen Ausschmückungen zu wiederholen.

Auch auf musikhistorische Äußerungen zur Entstehung von Musikstilen ging er nicht weiter ein. Irgendwann war ich dieses Gesprächs dann überdrüssig und suchte mir eine andere Beschäftigung.

Wie weiter oben schon gesagt: ein im Grund harmloses und recht unverbindliches Thema. Aber das Gesprächsverhalten finde ich dann eben schon sehr bezeichnend für unsere Zeit.

Da stellt man also eine These in den Raum, und wenn sich dann andere Gesprächsteilnehmer anschicken, dieses These zu widerlegen oder von mir aus auch nur auszudifferenzieren, dann wird nicht mehr zugehört. Dabei tritt dann zutage, dass sogar recht wenig Wissen von der Materie vorhanden ist, wobei dann aber auch keine Anstalten gemacht werden, den eigenen Horizont eventuell mal ein bisschen zu erweitern.

Was dann bei einem Gespräch über Musik nur zu einem leichten Kopfschütteln führt, ist natürlich schon deutlich ernster zu nehmen, wenn es um relevantere politische oder gesellschaftliche Themen geht. Denn in solchen Diskussionen tritt dieses Gesprächsverhalten nämlich genauso auf: Es wird etwas behauptet, und wenn dann Gegenargumente kommen, wird entweder nicht mehr zugehört oder es kommt raus, dass der Behauptungsaufsteller gar nicht so richtig viel Ahnung von der Thematik hat und sich seine Einschätzung auf veraltetes, zu oberflächliches oder gar falsches Wissen stützt. Aber auch dann zeigt sich wenig Bereitschaft, sich mit neu vorgebrachten Aspekten auseinanderzusetzen und daraufhin dann seine Ansicht zu überdenken, an die neu hinzugekommen Informationen anzupassen oder gegebenenfalls sogar zu revidieren.

Was beim Thema Musik höchstens ein bisschen ärgerlich ist, wird dann bei anderen Themen, die den Diskutanten wichtiger sind, zu etwas, was die Diskussionskultur untergräbt, da es in Diskursen ja genau darum geht: Argumente gegeneinander abzuwägen, neu hingekommene Informationen in bereits vorhandenes Wissen einzubauen und dann Standpunkte auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen.

Das fand nun alles bei der Backstagebekanntschaft so gar nicht statt, und leider erlebe ich auch immer wieder, dass bei anderen Themen so abläuft. Die Fähigkeit zum Zuhören hat leider offenbar massiv abgenommen in den letzten Jahren, genauso wie das Interesse, das eigene Wissen nicht als unumstößlich anzusehen, sondern sich offen für neuen Wissensinput zu zeigen, selbst wenn dieser erst mal nicht mit dem eigenen Standpunkt übereinstimmt.

Warum das so ist? Keine Ahnung, vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass die meisten Menschen mittlerweile vor allem um sich selbst und ihre personalisierte digitale Umgebung kreisen, sodass kaum noch etwas wirklich Neues an sie herankommt. Aber das ist nun nur eine Vermutung …

In jedem Fall sollte man zusehen, nicht in diese Gesprächsmuster zu verfallen. Und dafür wäre es vor allem wichtig, wieder mehr zuzuhören und nicht nur selbst reden zu wollen.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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