Der Wunsch nach einer Perspektive

Die AfD-Bundespartei ist nun laut Verfassungsschutzgutachten gesichert rechtsextremistisch – und dennoch haben die Blaubraunen nach wie vor viele Anhänger. Woran könnte das liegen? Ich hab da so eine Idee …

Es gibt ja viele Erklärungsansätze für die Wahlerfolge der AfD: Einige betonen da ostdeutsche Spezifitäten, andere (z. B. hier) verweisen auf die emotionale Ansprache, die leichter und schneller verfängt als eine rein sachliche Thematisierung von politischen Inhalten. Und dann gibt es natürlich auch noch den verbreiteten (mehr oder weniger) latenten Rassismus, der von der AfD bestens getriggert wird.

Zudem wird ja auch immer wieder behauptet (und allerdings auch schon öfter widerlegt), dass die Menschen die AfD als Protestpartei wählen würden. Dafür spricht die generelle Abwertung der anderen Parteien, die häufig als „Altparteien“ oder „Kratellparteien“ bezeichnet werden. Doch m. E. kann man hieraus auch noch etwas anderes herauslesen, nämlich eine Enttäuschung von einer Politik, die nicht an die wirklichen Probleme herangeht: Mietenexplosion, zunehmende Armut, immer mehr ausufernder Reichtum weniger, verfallende Infrastruktur, zunehmend schlechtere Leistungen ehemaliger Dienstleister in öffentlicher Hand (Bahn, Post, Krankenhäuser usw.).

Diese ganzen Probleme hänge natürlich miteinander zusammen, denn sie sind Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik. Dazu kommt dann noch das Riesenproblem der Klimakrise, das jedoch von AfD-Wählern überwiegend komplett geleugnet wird. Und das finde ich dann ziemlich bezeichnend, denn dieses Problem ist ja von allen das mit Abstand komplexeste, was letztlich vor allem global gelöst werden muss. Auch wenn natürlich einzelne Staaten schon selbst viel dazu beitragen können – oder besser: könnten -, um die Klimakatastrophe etwas abzumildern.

Mit Komplexität scheinen es AfD-Anhänger nämlich nicht so recht zu haben, die stehen eher auf einfache Lösungen. Wenn man ihnen nun also erklärt, dass viele Missstände auf unser Wirtschaftssystem zurückzuführen sind und daher umfassender Änderungen an der Art und Weise, wie wir leben, bedürfen, dann schalten die schon oft bei solchen Aussagen ab. Das mag jetzt etwas borniert klingen, aber tatsächlich ist ja schon seit Längerem bekannt, dass Konservative eher weniger intelligent sind als Progressive (s. beispielsweise hier). Klar: Um an etwas bereits Vorhandenem festzuhalten, braucht es weniger Fantasie, Kreativität, Vorstellungsvermögen und weitere kognitive Eigenschaften, als wenn man sich auf etwas Neues einlassen möchte.

Und dann kommt ja auch dazu, dass eben von den meisten etablierten Parteien (zumindest von den neoliberalen), auch keine wirklichen Lösungen angeboten werden, um diesen zwangsläufig aus dem Neoliberalismus folgenden Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Weswegen von diesen Parteien eben seit Jahren auch nur so etwas wie Durchhalteparolen und leere Versprechungen kommen, und das führt dann eben zu zunehmender Enttäuschung.

Enttäuschung, die immer wieder wiederholt wird, wird dann irgendwann zu Perspektivlosigkeit, und wer keine Perspektive hat, radikalisiert sich sehr oft (politisch oder religiös), gerade auch, wenn er an einfachen Lösungsvorschlägen interessiert ist. Insofern sollte man sich da über die zunehmende offen zur Schau gestellte Verrohung von AfD-Jüngern, aber auch zunehmend von CDU/CSU-Wählern, nicht wundern.

Den Menschen werden seit Jahren auf allen möglichen Kanälen neoliberale Mantras wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ eingetrichtert. Wenn nun also jemand kommt und die Misere der Menschen, die zweifellos aufgrund der oben bereits aufgezählten Probleme immer häufiger auftritt, nicht ihnen selbst, sondern einem Sündenbock zuschreibt, dann wird das gern und mit Erleichterung aufgenommen.

AfD-Wähler, die also oft überfordert von den vielfachen und miteinander korrespondierenden Krisen, oft aber auch genau unter diesen leidend sind, werden nun dank der AfD aus ihrer Perspektivlosigkeit herausgerissen. Statt „Man kann ja eh nichts ändern“ und „Die da oben machen sowieso, was sie wollen“, heißt es nun auf einmal: „Ausländer raus, dann wird alles gut!“

Das stimmt natürlich hinten und vorn nicht, denn Nichtdeutsche tragen viel zum kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Deutschland bei, zudem war Deutschland schon immer ein Transitland, was auch aufgrund der Lage mitten im Kontinent nicht weiter verwunderlich ist. Aber dennoch haben die frustrieren AfD-Wähler jetzt wenigstens eine Perspektive. Denn die Grenzen zu schließen, Geflüchtete abzuschieben und Menschen, die ihnen nicht deutsch genug vorkommen, als Bürger zweiter Klasse zu behandeln (und daher bei Nichtgefallen auch ausweisen zu können), das ist etwas, was AfD-Fans schon als greifbares Ziel wahrnehmen können – deutlich mehr zumindest, als wenn man von anderen Wirtschaftsmodellen (wie Gemeinwohlökonomie, Wirtschaftsdemokratie, Fundamentalökonomie, Degrowth-Konzepten u. Ä.) spricht oder eine Energie- mit der damit zusammenhängenden Verkehrswende sozialverträglich voranbringen möchte. Zumal ja diese komplexen Themen auch kaum von der Politik beackert werden, man sich da eher in Pseudolösungen ergeht, die dann auch noch von BILD und Co. regelmäßig schlechtgeredet werden.

Bei der Ausweisung von Geflüchteten ist das hingegen was ganz anderes, denn das wird ja schon ständig praktiziert von Bundes- und Landesregierungen, und das alles ohne AfD-Beteiligung. Genauso wird natürlich andauernd von Politik und Medien Migration generell als etwas Problematisches und Unsicherheit stiftendes gekennzeichnet, und das ergibt dann für die AfD-Wähler eine stimmige Perspektive: Wenn die Ausländer erst mal weniger sind, dann wird alles andere auch besser. Insofern wählen sie die AfD auch nicht trotz des von der Partei offen propagierten Rassismus, sondern gerade deswegen.

Natürlich würden dann die Mieten nicht sinken, genauso wenig wie die Energie- und Lebensmittelpreise (erst recht nicht, wenn man statt auf erneuerbare auf teure fossile Energieträger setzt, was ja die AfD auch gern möchte), und die ohnehin schon ziemlich gute Sicherheitslage würde mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht besser, wenn sich Bundespolizisten um überwiegend harmlose Geflüchtete statt um überwiegend nicht harmlose Kriminelle kümmerten. Aber das ist dann schon wieder ein nächster Schritt, den AfD-Wähler gedanklich nicht mitgehen.

Und das Fatale ist ja: Wenn eine Partei wie die AfD erst mal an der Regierung wäre, dann würden sich zwar ihre ganzen schönen Versprechungen recht zügig als Schall und Rauch erweisen, aber sie könnten eben auch entsprechend das Gemeinwesen umbauen, um sich weiterhin an der Macht zu halten. Sieht man ja in Ungarn und den USA, wie so was geht, und auch die rechtsextreme PiS in Polen hat alles darangesetzt, um nicht abgewählt werden zu können – auch wenn das dann ja zum Glück doch geschehen ist. Insofern ist es dann meistens zu spät, wenn klar wird, dass die von Rechtsextremen angebotene Perspektive in Wahrheit gar keine war.

Daraus ergibt sich nun aber auch, was man machen könnte, um der AfD entgegenzutreten: den Menschen Perspektiven aufzeigen. Und zwar solche, die ähnlich absehbar und leicht nachzuvollziehen sind wie der Quatsch, den Rechte propagieren. Nur eben mit dem Unterschied, dass diese Perspektiven auch tatsächlich eine für die meisten Menschen positive Wirkung zeitigen müssten.

Da würde mir schon einiges einfallen, was man da machen könnte. Beispielsweise Wohnraumleerstand stärker bekämpfen oder leer stehende Büros in Wohnungen umwidmen. Damit würden dann voraussichtlich die Mieten sinken, zumal wenn man dann noch eine wirksame Mietpreisbremse oder sogar einen Mietendeckel implementieren würde. Wenn die Menschen dann merken würden, dass sie weniger Geld für Wohnen ausgeben müssten, dann wäre das nicht nur ein positiver Effekt für eine optimistischere Stimmung im Lande und kurzfristig bessere Perspektiven für viele, sondern zudem ein Konjunkturprogramm für den Einzelhandel. Oder wenn man auf pflanzliche Grundnahrungsmittel die Mehrwertsteuer aussetzen würde, dann könnten sich die Menschen günstiger und gesünder ernähren, was auch wieder positive Effekte mit sich bringen würde. Nur mal zwei Beispiele, die zeigen, dass so was kein Zauberwerk sein muss.

Doch wären das eben auch Maßnahmen, die der neoliberalen Ideologie entgegenstünden, sodass sie wohl leider weder unter der aktuellen noch unter einer kommenden Bundesregierung (in der dann vermutlich sogar die AfD vertreten wäre) umgesetzt würden. Denn die Neoliberalen brauchen schließlich die AfD, um ihre kaputte Ideologie am Laufen zu halten, wie ich schon Ende 2016 in einem Artikel feststellte.

Insofern wird von denjenigen, die jetzt immer schön schwadronieren, man müsse die AfD inhaltlich schlagen und nicht verbieten, auch nichts getan werden, um den Rechtsextremen ihre Masche zu versauen.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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