Erst denken, dann wählen

Am kommenden Sonntag ist ja nun die Bundestagswahl, was ja eigentlich jeder mitbekommen haben sollte. Ich hoffe, dass Ihr, die Ihr dies lest, alle wählen gehen werdet – und Euch vorher vor allem ein paar Gedanken macht, was Ihr denn eigentlich von der Politik erwartet, in welche Richtung sich unser Land weiterentwickeln soll und dementsprechend auch überlegt, welche Partei denn eben mit Euren Vorstellungen übereinstimmt und welche nicht. Klingt offensichtlich, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass die meisten Wähler nicht so handeln.

Zunächst mal gibt es ja ein paar hilfreiche Tools, von denen wir auch schon das eine oder andere hier vorgestellt haben: Wahl-O-Mat, Dein Wahl, Steuer-o-Mat oder Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de. Diese sind zwar nicht unbedingt alle perfekt, aber zumindest kann man sie nutzen, um sich schon mal einen groben Überblick zu verschaffen, wofür die einzelnen Parteien überhaupt so stehen.

Und dann sollte man sich ein paar Fragen stellen, die darauf abzielen, was einem wichtig ist und was man von einer Regierung erwarten würde. So zum Beispiel:

Möchte ich, dass Deutschland Krieg in anderen Ländern führt? Und bin ich auch bereit, die daraus resultierenden Terroranschläge hinzunehmen?

Finde ich es o. k., dass immer mehr Menschen ihren Lebensabend mit Altersarmut verbringen werden? Wie sieht es mit mir selbst aus, was habe ich zu erwarten als Rentner?

Wie stehe ich dazu, dass immer mehr Menschen im Niedriglohnsektor tätig sind, die so kaum ein auskömmliches Leben fristen können und denen im Alter dann eben auch Armut droht? Bin ich selbst zufrieden mit meinem Einkommen? Und wie schaut es mit meinen eventuell vorhandenen Kindern aus, wie schätze ich deren Aussichten und Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein?

Wie beurteile ich den steigenden Einfluss von Lobbyisten auf die Politik und die dabei reichlich wenig vorhandene Transparenz? Ist es legitim, dass Politiker teilweise Nebeneinkünfte haben, die ihre Diäten locker übersteigen, und dass viele Abgeordnete nach ihrer politischen Laufbahn recht schnell in Tätigkeiten wechseln, die durchaus Interessenkonflikte mit ihrer politischen Tätigkeit offenbaren?

Ist Nationalismus wirklich eine wirkungsvolle Art, dem geldmächtigen Einfluss global agierender Konzerne entgegenzutreten? Oder sollten nicht eher größere politische Funktionseinheiten gebildet werden (wie zum Beispiel die EU), um solchen transnationalen Unternehmen auch effektiv mit Regulierungen beikommen zu können?

Finde ich Massentierhaltung und deren Auswirkungen (Tierleid, Umweltverschmutzung, Auswüchse wie Kükenschreddern, Antibiotika im Fleisch, immer häufiger auftretende Lebensmittelskandale) super? Und wie sieht es mit Pestiziden aus, die immer hemmungsloser in der Landwirtschaft gebraucht werden und dann auch auf unseren Tellern landen?

Möchte ich, dass die Mieten weiter so stark steigen wie in den letzten Jahren? Wohne ich selbst zur Miete und muss eventuell einen immer größeren Teil meines Einkommens fürs Wohnen ausgeben?

Möchte ich in noch größerem Maße überwacht werden? Habe ich wirklich nichts zu verbergen? Wie halte ich es mit der Privatsphäre?

Habe ich Angst, in einem Krankenhaus mit multiresistenten Keimen angesteckt zu werden? Wie beurteile ich die Arbeitssituation von Pflegekräften? Fühle ich mich da noch gut versorgt, wenn ich selbst einmal schwerer erkranken sollte?

Soll wichtige gesellschaftliche Infrastruktur weiter privatisiert werden oder lieber in öffentlicher Hand verbleiben – gerade vor dem Hintergrund immer deutlicher zutage tretender Mehrkosten und sinkender Leitungsqualität für die Bürger nach Privatisierungen?

Was halte ich vom Klimawandel? Wie wichtig ist es mir, dass auch kommende Generationen eine einigermaßen intakte Umwelt vorfinden? Möchte ich, dass weiterhin viel fossile Brennstoffe verfeuert werden, was den Klimawandel beschleunigt, oder finde ich die sogenannte Energiewende hin zu regenerativen Energiequellen sinnvoll?

Das sind alles wichtige Aspekte, die auch unser alltägliches Leben betreffen und beeinflussen. Und wenn man sich hierzu (die Liste der Fragen ist natürlich beliebig erweiterbar) dann mal ein paar Gedanken gemacht hat, dann kann man – dem Internet sei dank – schauen, wie denn Parteien, die man in die engere Auswahl für die Stimmabgabe genommen hat, zu diesen Punkten stehen bzw. was die in ihren Parteiprogrammen dazu sagen.

Klar, was in einem Wahlprogramm steht und was danach dann tatsächlich umgesetzt wird, sind oft zwei Paar Schuhe. Aber zum einen muss man sich ja irgendwo dran orientieren, und zu anderen kann man ja auch mal recherchieren, wie denn die Parteien in den letzten Jahren so politisch agiert haben, welchen Entscheidungen sie unterstützt und welche Gesetze sie befürwortet haben. Wir haben die Informationen alle zu unserer Verfügung, wie müssen sie nur nutzen, und gerade themenzentriert kann man sich schon recht differenziert schlau machen.

Letzten Endes müssen wir mit den Konsequenzen leben, die unser Kreuz auf dem Wahlzettel hervorbringt. Und natürlich wird es für kaum jemanden eine Partei geben, die zu 100 Prozent die eigenen Standpunkte vertritt. Aber recht große Überschneidungen kann man schon finden – notfalls eben auch bei Kleinparteien.

Wählen zu können ist für viele Menschen auf der Erde immer noch keine Selbstverständlichkeit. Darum sollten wir dieses Privileg mit dem notwendigen Ernst wahrnehmen.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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