Vorsicht: dystopische Gedanken – Verdrängung angeraten

Ich sehe im Wesentlichen zwei Aspekte, die uns in eine andere, eine dystopische Zukunft führen könnten und, wenn wir nicht bald entgegensteuern, auch führen werden.

Ein Gastartikel von Heinz Peglau

Der erste Aspekt ist der, den ich als neue Währung bezeichnen möchte: die Reputation. Sie entsteht durch das Scoring und Ranking, welchem wir uns ausgesetzt sehen, welches wir meist auch selbst betreiben. Sie wird immer mehr an Bedeutung gewinnen, und durch die Digitalisierung, die sie einerseits ermöglicht hat und sie nun andererseits übermächtig werden lässt, wird sie zukünftig darüber bestimmen, wer, was, wie, wo, in welchem Ausmaß tun darf, was ihm oder ihr zusteht, ob er oder sie überhaupt noch Chancen besitzen oder chancenlos verwaltet wird. Sie wird uns kontrollieren, steuern und uns unserer Freiheit berauben, mehr noch als das derzeitige monetäre System dazu in der Lage ist.

Zukunftsmusik? Ja, aber eine der näheren Zukunft.

Lächerlich? Ja, aber nur für die, die Geld immer noch nur als Tauschmittel, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel denken können, von einer Systemveränderung auch in diesem Bereich nichts wissen wollen.

Der zweite Aspekt ist der Klimawandel, ob menschengemacht oder weil sich das Klima eben ändert, sei einmal dahingestellt. Er findet statt, und ich bin sogar sicher, dass der Mensch daran einen sehr bedeutenden Anteil hat, die Geschwindigkeit drastisch erhöht hat, in der dieser bereits stattgefunden hat und weiter stattfinden wird und die der Mensch immer noch erhöht, exponential sogar.

Dass dieser Klimawandel noch aufzuhalten ist, glaube ich nicht, der Umkehrpunkt liegt noch in weiter Ferne, auch dann, wenn wir unser Verhalten weltweit plötzlich und schlagartig ändern würden, was doch eher zu den Utopien gezählt werden kann, die uns täglich erzählt werden, um uns vom Wesentlichen auch ein wenig abzulenken. Die Systeme sind zu träge. Wir erleben heute gerade mal die Auswirkungen unseres Verhaltens von vor Dekaden, können noch gar nicht einschätzen, was wir dem Planeten gestern, heute und morgen angetan haben bzw. noch antun werden. Auch hier sehe ich eine dystopische Zukunft auf uns zukommen, bin ich eins mit denen, die meinen, dass wir Menschen noch nichts gelernt haben aus unserem Tun, die Konsequenzen unseres Tuns gar nicht überblicken können und auch meist wohl nicht wollen, auch weil wir genetisch gar nicht dazu in der Lage sind. Erst die krasse Not wird uns die Notwendigkeiten bewusst werden lassen, wie so oft in der Historie der Menschheit.

Wir meinen immer noch, nur an Stellschrauben drehen zu müssen, selbst die glauben das, die ständig den Klimawandel im Munde führen und uns gerade glauben machen wollen, dass nur ein wenig die Produkte zu verändern ausreichen würde, damit alles gut wird. „Wir schaffen das“, „Zukunft wird aus Mut gemacht“ reichen aber ebenso wenig aus, wie nur „für den hart arbeitenden Menschen“ da sein zu wollen oder nur „Respekt und Renten mit Niveau“ zu fordern. „Vorankommen durch eigene Leistung“ und „Mut zu Deutschland“ schaden uns sogar bewusst in ihrer Oberflächlichkeit einerseits und andererseits mit ihrem Nationalpatriotismus, dem unverhohlenen Egoismus, der aus beiden spricht, den beide verkörpern, den Rassismus, den ich bei beiden erkennen kann.

Der schon ans Populistische grenzende Individualismus, wie wir ihn derzeit propagieren, übertreiben, den fast alle politischen Akteure vertreten, wird ein Ende finden, dieses Ende selbst herbeiführen, weil wir ihn übertrieben haben und übertreiben, weil wir die Gesellschaft heterogenisiert haben – auch um die Währung ‚Reputation‘ ökonomisch bedeutsam zu machen. Er wird in einem Jeder-gegen-jeden, und dies tagtäglich münden, den Menschen seines letzten Schutzes berauben, der Gemeinschaft.

Aber selbst wenn wir hier, allein in Deutschland oder Europa, dies alles erkennen und beachten würden, mehr tun würden, uns der neuen Währung zukünftig verweigern würden und den Klimawandel konsequent bekämpfen würden, würden wir scheitern, fürchte ich. Denn die Welt tickt anders, und wir überschätzen uns aufgrund der scheinbar guten makroökonomischen Zahlen, die uns hier eine heile Welt vorgaukeln.

Die Welt will es anders. Nicht nur Trump will es anders, nicht nur die Konzerne wollen es anders, auch die, die unserem Vorbild bei der Entwicklung ihrer Gesellschaften in Bezug auf Wohlstand folgen, wollen es anders. Mehr als ein anderes Auenland, als wir derzeit schon sind, könnten wir hier in Deutschland und auch in Europa – wenn es denn die Vielstimmigkeit überwinden kann, was ich derzeit eher auch nicht sehe – gar nicht werden, und selbst das bezweifele ich, weil die Gewalt der Welt auch uns hinwegfegen würde. Die Türme der anderen stehen ganz im Schatten des Schwarzen Turms mit seinem großen Auge. Wieder einmal ist etwas, das dem Menschen hätte dienen können, zur Waffe gegen ihn gemacht worden.

Ich meine das Internet.

Nicht nur dass es die neue Währung ermöglicht hat, es ermöglicht auch deren Missbrauch, wird gerade dazu unbedingt benötigt. Aber auch die Massenproduktion von minderwertigen Gütern, der Transport von Cent-Produkten um den Erdball – Cent-Produkte, die Glasperlen unserer Zeit, zu unserer Freude und Beruhigung -, also die Logistik, die dazu nötig war, ist und immer größere Bedeutung erhält, wäre ohne das Internet in diesem Ausmaß gar nicht möglich gewesen. Ohne das Internet wäre die Ressourcenverschwendung heute noch geringer, hätten wir mehr Zeit zur Anpassung gehabt.

Ich liebe das Internet, ermöglicht es mir doch den Zugang zu ungeahnten Informationsquellen, ermöglicht es mir Kommunikation in einem Ausmaß, welches ich mir in meiner Jugend nicht einmal zu erträumen wagte, zeigt es uns doch auch die Missstände schneller als je zuvor auf, ermöglicht es uns auch Widerstand. Aber es hat auch seine Schattenseiten, und auch die gilt es zu beachten. Nicht nur die „Guten“ tummeln sich dort, auch die, die uns schaden wollen, bewusst und unbewusst, haben es längst für sich entdeckt, ja, für sich nutzbar gemacht. Und hier meine ich nicht die Terroristen, bin ich weit weg von de Maizière. Hier meine ich die Staaten, aber vor allem die Organisationen, die sich dieses Werkzeugs bemächtigt haben, die Big Player der Old and New Economy, die Banken, welche über die Reputation entscheiden, vornehmlich entscheiden werden, die uns zukommen wird, und die Industrie, die uns mit ihren Produkten „beglücken“ wird, die sich – Say hatte recht – die Nachfrage dort schaffen wird, wo sie ihr Angebot unterbringen will.

Und es ist der Energietreiber Nummer eins, auch das sollten wir bedenken. Der Energieverbrauch ohne das weltweite Netz wäre ein viel geringerer. Das weltweite Netz ist längst ein Energiefresser geworden, Klimakiller Nummer eins, wie ich vermute, direkt als Verursacher von
Energieverbrauch und indirekt über die Möglichkeiten der Logistik und damit der Übertreibung von Massenproduktion.

Ich bin kein Gegner der Massenproduktion, weiß ich doch über deren Segnungen besser Bescheid als viele ihrer Verfechter, auch das sei hier gesagt. Aber Übertreibungen sind selten gut, und hier haben wir es längst übertrieben, haben uns in Abhängigkeit einer Produktionsweise begeben, die uns nun mehr schadet als nützt. Auch im Denken der Welt, wie wir die Wirklichkeit erkennen, wie wir sie gestalten, hat die Denkweise der Massenproduktion den Sieg über uns errungen, ist sie doch längst bis in die Schulen hinein eingedrungen, gilt auch dort seit Längerem die Norm, bestimmt sie über Wohl und Wehe, weil die Benchmark mittlerweile alles bestimmt, auch die Entwicklung unserer Kinder.

Der Neoliberalismus hat sich auch hier als fatale Doktrin erwiesen, sein Versprechen von Freiheit löst er nicht ein, im Gegenteil, er ist es, der uns hier und fast allen auf der Welt eine noch unfreiere Gesellschaft bescheren wird, uns in den Neofeudalismus, wenn nicht gar in Schlimmeres, führen könnte.

Es tut mir leid, ja, die Botschaft ist unangenehm. Aber bei diesem Thema wäre reiner Optimismus fatal, kann nur die Warnung, auch wenn sie pessimistisch klingt, helfen, um dann vielleicht doch Schlimmeres zu verhüten. Denn als Warnung will ich meinen Text verstanden wissen. Als Anregung, zu denken, selbst zu denken. Nur so werden wir das Schlimmste verhindern können.

Dass wir Schlimmeres verhüten müssen, das sind wir uns und den nachfolgenden Generationen schuldig, sind wir allen anderen Kreaturen, die mit uns diese Welt teilen, schuldig. Nur wir Menschen haben die Macht dazu, die Kreatur an sich ist machtlos, ist uns willkürlich ausgeliefert. Mit seichter Kritik allerdings werden wir es nicht schaffen.

„Es bringt (nämlich) nichts, nett zu sein in einer Welt, die brennt.“ Da hat die britische Feministin Laurie Pennie völlig recht, weit über ihr eigentliches Anliegen hinaus.

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