Deutschtürken stimmen für Erdogan

In der Türkei wurde gewählt, und auch in Deutschland konnten sich die hier lebenden Türken zum Teil an der Wahl beteiligen. Das Ergebnis war, dass über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Erdogans AKP entfielen. Und schon ist er da, der Furor in Medien, Politik und Öffentlichkeit, dass ja die Integration der Türken hier in Deutschland gescheitert sei. AfD, CSU und andere rechte Klappspaten dürften sich freuen ob einer derart undifferenzierten Betrachtungsweise …

So wird beispielsweise in einem Artikel auf tagesschau.de folgende Zwischenüberschrift formuliert: „Özdemir: Deutschtürken lehnen liberale Demokratie ab“. Dass hier eine vollkommen unangemessene Sippenhaft verhängt wird, scheint keine Rolle zu spielen. Dabei muss man sich nur mal ein paar Zahlen vor Augen führen: Etwa die Hälfte der in Deutschland lebenden 2,8 Mio. Türken waren überhaupt abstimmungsberechtigt, und von diesen ist dann knapp die Hälfte überhaupt zur Wahl gegangen. Dass gerade Erdogan-Gegner und auch Kurden dabei der Wahl vermehrt fernblieben, war schon bei der Abstimmung zum Verfassungsreferendum im letzten Jahr zu beobachten (s. dazu beispielsweise einen Artikel des Tagesspiegels und Artikel auf bento), da auch hier in Deutschland mit Einschüchterungen und fälschlichen Wahlverboten gearbeitet wurde. Es bleiben also etwa ein Sechstel der Deutschtürken, die sich bei der Wahl für Erdogan ausgesprochen haben.

Und dennoch ist für viele gleich klar, was die Ursache für das Wahlergebnis ist: Die Türken wollen sich ja nicht integrieren, Multikulti ist gescheitert (besonders unappetitlich in reinstem Rechtsaußen-Sprech hier mal wieder die AfD-Hauspostille Focus in einem Kommentar von Hugo Müller-Vogg), halt das übliche rechte Geblubber, das mittlerweile ja leider schon hoffähig geworden ist im deutschen Alltagsdiskurs.

Doch wäre es nicht sinnvoll, mal nach anderen Ursachen zu suchen? Schließlich ist dieser viel verwendete Begriff der Integration ja reichlich schwammig, da überhaupt nicht klar ist, welche Werte denn dabei übernommen werden sollen. In Zeiten, in denen Positionen wie die der Rechtsparteien CSU, AfD und auch FDP immer populärer werden, in denen Misogynie und Fremdenfeindlichkeit wieder zum guten Umgangston gehören, genauso wie nationalistisches Gerede, scheint es mir zumindest so, als hätten sich die türkischen Erdogan-Wähler zumindest hervorragend im Sinne dieser blaubraunen Deutschen integriert, wenn sie einen Despoten wählen, der für Ähnliches steht.

Türken sind in Deutschland oftmals immer noch eine Randgruppe, was zum Teil selbst verschuldet sein mag aufgrund von konservativen, wenn nicht gar reaktionären Familienstrukturen, was aber eben auch einer nach wie vor vorhandenen Ausgrenzung geschuldet ist, gerade in den letzten Jahren mit ihrer zunehmenden Fremden- und Islamfeindlichkeit. Allein schon, dass nun wieder so ganz allgemein von „den Türken“ geredet wird, als würde es sich dabei um eine homogene Gruppe handeln, zeigt, wie sehr ein ausgrenzendes Denken nach wie vor in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung vorhanden ist.

Und was machen Menschen, wenn sie sich ausgegrenzt fühlen und sich zudem noch ihre wirtschaftliche Situation verschlechtert, was ja bei vielen Menschen in Deutschland in den unteren Einkommensgruppen in den letzten Jahren zunehmend der Fall war (und viele Türken arbeiten eben in derartigen Berufen)? Sie suchen sich einen starken Führer, der ihnen Stabilität verspricht. Konnte man in Russland super beobachten, als nach den chaotischen 90er-Jahren sich dann Putin sehr erfolgreich als starker Mann inszenierte. Kann man auch in vielen osteuropäischen Ländern beobachten, die sich den westeuropäischen Ländern untergeordnet fühlen und in denen dann Rechtsregierungen wie in Polen oder sogar Despoten wie Orbán in Ungarn an die Macht kamen.

Hier sollte also die Analyse ansetzen, nämlich bei den sozialen und materiellen Umständen und nicht bei vermeintlichen Integrationsdefiziten, zumal wenn diese auch noch mit nationalistischen Untertönen durchsetzt sind. Die Ergebnisse würde nur zu unbequemeren Ursachen führen, als wenn man nun so schön einfach auf „die anderen“, nämlich die sich nicht integrierenden Türken zeigen kann. Eine solche Analyse würde weitere Kritik am Neoliberalismus bedeuten und den dadurch produzierten sozialen Verwerfungen – das ist natürlich nicht so gern gesehen, weder bei den Betonkopfideologen in der Politik noch bei denen in den Redaktionsstuben.

Und so wird weiter Stimmung gemacht, die vor allem den Rechten dient, die deren Positionen und Rhetorik wieder ein Stück weit selbstverständlicher in den deutschen Alltag und den öffentlichen Diskurs integriert. Bravo, das ist dann also wohl gelungene Integration, oder? Und was noch hinzukommt: Es wird sich gerade über die Wahl des Präsidenten Erdogan aufgeregt, der von der EU fürstlich dafür entlohnt wird, uns die Flüchtlinge vom Hals zu halten, an dessen Regime nach wie vor deutsche Waffen verkauft werden und mit dem wir im Militärbündnis NATO stecken – aber das wird dann lieber alles nicht kritisiert, sondern stattdessen wird eine ganze Bevölkerungsgruppe in Deutschland undifferenziert diffamiert. Wie schäbig ist das denn, bitte?

Abschließen noch ein sehr treffendes Statement dazu, das Tom Wellbrock von neulandrebellen auf seiner Facebook-Wall geschrieben hat:

Bei aller Kritik an den Deutsch-Türken, die Erdogan gewählt haben, sollten wir nicht vergessen, was wir seit mehr als 18 Jahren wählen.

Eine Regierung, die Krieg gutheißt und sich daran beteiligt, die die Daseinsvorsorge privatisiert, andere Länder finanziell und politisch aushöhlt, Armut zulässt und sehenden Auges forciert, den Banken und Konzernen die Füße leckt, bedürftige Menschen sanktioniert, Rente und Gesundheit als Geschäft versteht, Geflüchtete kollektiv aussperrt, das Erstarken der AfD mit zu verantworten hat, sich von den USA am Nasenring durch die Arena führen lässt und dabei zusieht, wie Drohnen von hier aus zum Töten in die ganze Welt losziehen.

Ist jetzt auch nicht soooo toll.

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Schreibe einen Kommentar