Von Menschenbildern, Angst und mehr

Immer wieder treffe ich in Diskussionen auf Menschen, die, wenn die Diskussionen tiefer gehen, das Menschenbild, das eigene und das des anderen, Teil der Diskussion werden lassen. Meist enden diese Diskussionen dann im Streit, meist dann, wenn ich es verpasse, diese rechtzeitig zu beenden. Nicht immer gelingt mir das.

Oft sogar lässt es der/die andere nicht zu, meist dann, wenn er/sie von seinem/ihrem Menschenbild innerlich zutiefst überzeugt ist, es als ethisches Ideal vor sich herträgt, nicht wahrhaben will, dass es nur seinen moralischen Vorstellungen entspricht, dass Ethik mehr ist als nur Moral, welche letztendlich von seinen/ihren religiösen oder auch nicht religiösen Vorstellungen ebenso mitgeprägt ist wie von seinen/ihren kulturellen Prägungen, seinen/ihren Erfahrungen sogar, sich Ethik und Moral zwar ähneln, aber doch dann wieder unterscheiden und oft sogar grundsätzlich. Immer wieder enden solche Diskussionen dann in der Wertung meines Menschenbildes, welches natürlich dann nur schlechter sein kann als seines oder ihres.

Eigentlich ist das komisch, wenn es mir passiert, denn ich habe gar kein Menschenbild, weder ein eindeutiges und schon gar kein eineindeutiges Menschenbild. Ich habe Menschenbilder. und ich ordne deshalb Menschen nicht nach meinen eigenen moralischen Vorstellungen ein, bewerte sie nicht und packe sie anschließend auf gar keinen Fall in Schubkästen nach dem Motto: Klappe zu, Affe tot. Das Leben, mein Leben, ist darum sicher komplizierter, aber auch reicher. Ich möchte es nicht anders leben. Ich liebe die Vielfalt.

Auch deshalb verstehe ich vielleicht besser als manch anderer, was Angst bedeutet, wie real sie für den Einzelnen sein kann und gleichzeitig irreal für den anderen. Ich habe sie selbst erfahren und erleben müssen, und Vernunft hat mir wenig geholfen, sie zu besiegen, im Gegenteil. Aber um meine Ängste, vergangen, überwunden oder nicht, soll es hier nicht gehen.

Allerdings behaupte ich, auf Basis auch eigener Erfahrungen mit der Angst, hier erneut, dass wir über die Ängste zu reden haben, welche hier bei uns und in Europa den sozialen Frieden zu zerstören drohen. Wir spielen ansonsten das Spiel derer, die Angst und Schrecken für sich instrumentalisieren können. Wir treiben ansonsten weiterhin den Rechtspopulisten, wie den Demagogen von Rechts, die Menschen in die Arme, die wir mit ihren Ängsten alleinlassen und damit auch ablehnen. Nur weil wir Ängste ignorieren, vom Tisch wischen, ja sie sogar durch die falschen politischen Entscheidungen, im Sinne einer immer kleiner werdenden (noch) wohlhabenden Schicht und einer recht geschlossenen Klasse von Reichen, noch wachsen lassen, schaffen wir eine für viele immer bedrohlicher werdendere gesellschaftliche Atmosphäre, die unsere Demokratien zuletzt sogar zerstören könnte, die Vielfalt in nationalen Gegensätzlichkeiten wieder einschränken könnte, sogar im Krieg wieder enden könnte, sicher aber den Wohlstand vernichten würde, den wir uns geschaffen haben – ungerecht verteilt zwar, aber das ist ein anderes, wichtiges Thema, ursächlich allerdings auch für die Angst -, wenn wir uns aus Angst auf uns selbst zurückziehen würden.

Angst fressen Seele auf, ich weiß das schon lange, schon vor Fassbinders großartigen Film, war mir das klar. Moral hilft hier wenig, gar nicht eigentlich, denn moralische Appelle verhallen ungehört im ängstlichen Äther. Vernunft kann nur Mittel sein, wirkt aber kaum gegen übermächtige Emotionen. Und Angst ist eine sehr mächtige, oft übermächtige Emotion. Wer sie beherrschen kann, beherrscht sich selbst, wer nicht, wird beherrscht. Viele von uns können sie nicht mehr beherrschen und werden deshalb beherrscht – leider nur nicht von den Guten derzeit -, werden dadurch nicht selten ohnmächtig vor Wut.

Wir leben in einer Gesellschaft, die so schnelllebig ist, so brutal im Wettbewerb, so schichtenübergreifend existenzgefährdend durch gerade diesen Wettbewerb, durch die Konkurrenz, die wir fast schon zum Gott erhoben haben, als alternativlos parteiübergreifend ansehen, die schon an den Schulen, in den Kindergärten und, ich fürchte, bald sogar in den Kitas beginnt. Dass das Ängste hervorbringen musste und weiter hervorbringen wird, war und ist ganz zwangsläufig, systemimmanent quasi. Alles muss sich ökonomisch rechtfertigen, ist vom eigenen Geldbesitz abhängig, selbst die Aufstiegschancen des Nachwuchses.

Auch das Soziale muss sich ökonomisch, eigentlich nur rein betriebswirtschaftlich, rechnen und rechtfertigen, steht immer unter Finanzierungsvorbehalt, der schärfsten Waffe des neoliberalen geizigen Staates, kann immer öfter deshalb seiner Aufgabe, die Ängste durch soziale Sicherheit zu begrenzen, nicht mehr nachkommen.

Überbordende Bürokratie, meist zur Abwehr des Anspruchsstellers – die Sozialgerichte können ein Lied davon singen, die sozialen Vereine und Organisationen sowieso -, Pflegenotstand nicht nur in den Heimen, auch bei denen, die noch zu Hause pflegen, Altersarmut, Kinderarmut, Wohnungsnot, Mietwucher in Ballungsräumen durch Hedgefonds und börsennotierte Immobilengesellschaften, Angst vor Absturz in Hartz-Fear (selbst Banker müssen sich mittlerweile wappnen, wenn man sich anschaut, was am Markt gerade geschieht, wer da die besseren Karten hat durch die Digitalisierung), ein immer löcherigeres soziales Netz. Reale Ängste und berechtigte Ängste für viele von uns, und die Liste erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Kommen dann die irrationalen Ängste hinzu – die punktuell durchaus auch real sein können, wie die Konkurrenz um Arbeit im Niedriglohnsektor oder um Wohnungen mit Flüchtlingen und Asylsuchenden -, wie Angst vor Überfremdung, Angst vor dem Fremden allgemein, so wird es oft schwierig, oft sogar unmöglich, sich mit vernünftigen Argumenten dagegen zu wehren. Statistiken helfen dann wenig, sich von dieser Angst zu befreien. Meist dienen sie nur denen zur Rechtfertigung, die weiterhin die Ängste schüren, die Einzelschicksale dann behaupten und diese dann mehr oder weniger als Kollateralschäden weiterhin zu behandeln gedenken. Und der erhobene Zeigefinger dient nur dem/der, der/die ihn erhebt, zum eigenen Wohlfühlen, zum eigenen Besserfühlen, zur Erhebung des Ichs über die anderen. Wertedogmatismus und Wertedogmatiker sind deshalb in meinen Augen denkbar ungeeignet, um diese Herausforderung für uns zu stemmen, nein, ich behaupte sogar, sie schaden uns auf mittlere und lange Sicht, haben uns schon geschadet in den letzten Jahren, viel zu sehr sogar.

Ängste, wenn sie nicht ernst genommen werden, ob berechtigte oder unberechtigte, ich schrieb es schon mehrfach, können fatale Wirkungen haben. Eine Angstgesellschaft kann deshalb keine gute Gesellschaft sein, noch mehr Angst wird sie noch schlechter machen. Und wir haben eine Angstgesellschaft, viele empfinden sie nämlich als eine solche Angstgesellschaft, und das müssen wir uns endlich klar machen, der Politik vor allem müssen wir dies klar machen.

Für mich ist deshalb klar wie Kloßbrühe: Schaffen wir es nicht, die Ängste zu minimieren, vielleicht wieder ganz aus unserer Gesellschaft zu vertreiben, so werden wir gegen den Rechtspopulismus, gegen die rechten Demagogen nicht den Hauch einer Chance haben. Mit Moral gewinnt man hier nicht, mit einem moralischen monokausalen Menschenbild schon gar nicht. Mit Verständnis da, wo Verständnis angebracht ist, mit Konfrontation da, wo sie nötig ist, mit positiven Veränderungen dort, wo sie längst hätten stattfinden müssen, im Sozialstaat nämlich, mit einer anderen Sicht auf Ökonomie könnten wir es schaffen. Es ist Zeit, es endlich zu tun.

#aufstehen!

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Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

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