Eine gewagte Überlegung – zum Nachdenken, zum Selbstdenken

Selten äußere ich mich zur Zukunft, male mir aus, wie die Zukunft sein könnte. Dazu ist die Zukunft zu chaotisch, die Wege, die wir einschlagen könnten, sind zu ungewiss. Meist beschäftige ich mich mit dem Hier und Jetzt und mache Vorschläge, die im Hier und Jetzt, im Morgen, aber nicht im Übermorgen umzusetzen wären. Auch wenn ich als ökonomisch ausgebildeter Mensch mich täglich mit Prognosen beschäftigen muss, so habe ich nie den Glauben an diese Prognosen verinnerlichen können, sie eher als Hilfsmittel zur Gedankensortierung angesehen denn als wissenschaftlich fundierte Handlungsanweisungen. Die Naivität der Politik in diese Akzeptanz, ja Allmacht der Ökonomie habe ich nie teilen können, auch nie verstehen wollen. Alfred Marshall, der große Ökonom, war hier Leitbild für mich, der sagte „Verbrennt die Mathematik“, obwohl auch er sie natürlich benutzte, um seinen Gedanken ein gewisses Fundament zu geben. Er wusste schon, was er sagte, er wusste nämlich, so wie ich es weiß, dass die Ökonomie nur ein Teil der Wirklichkeit ist und oft nicht einmal der wichtigste Teil. Aber dazu ein andermal vielleicht mehr. Hier möchte ich von dieser mir selbst gesetzten Beschränkung einmal abweichen und eine gewagte These zur Zukunft zum Nachdenken, zum Selbstdenken des geneigten Lesers in den Raum stellen. Denn sie beschäftigt mich doch schon seit einiger Zeit und will öffentlich gemacht werden.

Ich behaupte: Je weiter der technische Fortschritt fortschreitet, desto mehr Konzentration, monetäre wie geografische, werden wir bekommen und umso weniger wird die Gesellschaft über einen gemeinsamen Gesellschaftsvertrag zusammenzuhalten sein, weil dieser die Heterogenität der Interessen gar nicht mehr abbilden kann. Für mich ist beides zwangsläufig, weil Folge eines völlig missverstandenen Liberalismus, der weder der Eigentumsakkumulation in der Höhe noch in der Zeit Grenzen zu setzen weiß, diese auch gar nicht setzen will. Ich jedenfalls sehe keinerlei Anzeichen dafür in den Gesellschaften, welche von Bedeutung wären, Bedeutung kurz- oder mittelfristig erlangen könnten, und auch deshalb wird in den Parteien des demokratischen Spektrums nicht einmal ansatzweise über die angebliche Alternativlosigkeit des Neoliberalismus derzeit nachgedacht.

Wir sind jetzt schon auf diesem Weg sehr weit fortgeschritten, sichtbar am vermeintlich Verbindenden des wiedererstarkten Patriotismus, an den Gerechtigkeitsanworten dieser Gesellschaft, an den Bewegungen, die sich den Folgen widmen, aber nicht den Ursachen, auch dann, wenn sie es vorgeben tun zu wollen.

Sichtbar an den Ballungsräumen und ihrer politischen Dominanz über die Regionen, deren Abhängigkeiten von den Ballungsräumen, der Macht der Ballungsräume, die gesellschaftlich relevanten Themen setzen zu können.

Sichtbar auch an der Not in den Ballungsräumen, welche längst wieder eine Teilung in Diener und Bediente offensichtlich hat werden lassen. Noch nicht in der aristokratischen Version, aber längst in einer bürgerlichen, ja großbürgerlichen Ausprägung in so manchen Stadtteilen.

Sichtbar an den im Sozialen immer schwächer und unglaubwürdiger werdenden Staaten und deren gleichzeitiger Aufrüstung der inneren und äußeren Sicherheit, um gerade in den Ballungsräumen den Frieden zu bewahren, den sie durch ihre eigene Politik erst in Gefahr gebracht hatten.

Eine Beherrschung der Gesellschaft scheint sich anzubahnen, welche denen die Macht geben wird, welche die Ballungszentren beherrschen, eine Oligarchie der Stadt über das Land und in den Städten eine der Apartments und Villen über die Randbereiche der Stadt, die Kellerwohnungen, scheint mir die Zukunft zu sein. Staaten werden dann nur noch über die gemeinsame Fahne zusammenzuhalten sein, wenn überhaupt. Ulrike Guérots Vision von einem Europa der Regionen könnte Wirklichkeit werden, anders allerdings, als sie sich das wünscht, städtischer, bürgerlicher, großbürgerlicher, spießbürgerlicher, viel ungleicher, viel uneiniger, als eine Republik eigentlich sein sollte, sein darf.

Man kann das alles natürlich nun ängstlich betrachten und damit negativ. Man kann es jedoch auch als Herausforderung sehen, wie ich, sofern meine These stimmt, und sich frühzeitig Gedanken machen, wie man auch solche Gemeinschaften organisieren kann, sodass einer Ausbeutung der Menschen von vornherein ein Riegel vorgeschoben werden kann, dass mehr als nur der Handel zwischen den Städten, die Produktion und damit wieder nur die Konkurrenz und der Wettbewerb bestimmend sein werden.

Aber auch wenn meine These nicht stimmt oder nur zu einem kleinen Teil stimmen sollte, so ist eines sicher in meinen Augen: Der Nationalstaat, eine Rückbesinnung darauf, wird keine Antworten geben können, welche der Herausforderung durch den technischen Fortschritt, durch die Eigentumsakkumulation und den damit Hand in Hand gehenden sozialen Rückschritten geben könnte. Die Welt ist dafür zu klein geworden und wird nicht wieder schrumpfen, nur weil Nationalisten von gestern, von links oder rechts, dies gern so hätten. Die Antworten müssen wir mit anderen Mitteln suchen und finden.

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Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

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