Hass

Eine Notiz aus der Provinz.

Eine Schandtat hat mich die letzten zwei Tage beschäftigt, geschockt eigentlich. Geschockt, obwohl ähnliches Verhalten, sowohl verbal als auch tatsächlich, auch hier nicht neu ist, nun aber eine neue Qualität gewonnen hat. Nicht mehr aus dem Verborgenen heraus, sondern ganz offen, hat diese Schandtat stattgefunden, von einem Balkon herunter, jenseits der Anonymität.

In meiner Wohnstadt gab es einen Angriff mit Schreckschuss-Waffen und Leuchtmunition auf 4 Flüchtlinge, wobei ein Baby unter diesen war. Das ist erst ein paar Tage her. Sogar der Spiegel berichtete darüber. Auch darüber, dass sich 2 meiner Mitbürger unter Gefahr für die eigene Gesundheit sofort den Flüchtlingen zu Hilfe eilten, die Polizei die Täter schnell dingfest machen konnte. So weit die Situation bis hierher.

Wütendes aus der Politik war auch schon zu vernehmen, ohne jeglichen Selbstzweifel allerdings, wie nicht anders zu erwarten war. Gut so dennoch, wenn auch wohl normal, denn wer will sich schon – außer die der AfD –
auf Seiten der Täter am Ende sehen. Nur ob die Lehren endlich auch bei uns daraus gezogen werden?

Fraglich, sehr fraglich. Ich erwarte da nicht viel, denn sozioökonomischen Grundlagen des Hasses stehen auch hier nicht zur Debatte, sind auch wohl nicht geplant zur Debatte gestellt zu werden. Lieber beklagt man sich, dass nicht einmal jeder 2. hier zur Wahl gegangen ist bei der kürzlichen Bürgermeister-Wahl, erkennt die Zusammenhänge zwischen diesen Taten und der Politikverdrossenheit (eigentlich eine Verniedlichung der Tatsachen) nicht; erkennt leider immer noch nicht, dass Kommunalpolitik nicht nur für einen Teil der Bevölkerung zu machen ist, will man nicht, dass Teile der Bevölkerung sich ausgegrenzt fühlen und sich deshalb auch Sündenböcke suchen.

Immer noch nicht wird erkannt – nicht nur nicht bei uns -, dass die Politik sich diese Menschen, die nun ihre Wut – wie den Zorn meinerseits – verursachten, selbst geschaffen haben, nicht erst seit Hartz, aber seit Hartz ganz besonders. Immer noch nicht sind sie bereit dafür die Verantwortung mit zu übernehmen, reden oft sogar der gleichen schwarzen Pädagogik das Wort, welche diese Zustände erst herbei gerufen hatte, auch und gerade in meiner Kommune, melden sich die, die anders denken und handeln würden, lieber nicht zu Wort, aus welchen persönlichen Gründen auch immer.

Zugegeben, Berlin ist hier bedeutender als Hannover und Hannover bedeutender als der Kreis und die Stadt, aber das befreit die Kommune nicht aus der Verantwortung. Im Gegenteil, die Basis der Parteien „sitzt“ in den Kommunen und deren Wirken hatte und hat Einfluss auf Hannover, Berlin und damit dann auch Brüssel, ist verantwortlich für die Kommunalpolitik, vor allem für wen sie Kommunalpolitik machen oder eben nicht machen. Das Nichtmachen scheint mir immer entscheidender auch in diesem Zusammenhang zu werden. Der Rückzug der kommunalen Selbstverwaltung auf das Ehrenamt erweist sich immer mehr als Fehler, als gefährlicher Fehler.

Wer nur noch Leistungen danach zur Verfügung stellt, dass sich der Bürger und die Bürgerin sich diese auch leisten kann, Leistungen auslagert aus den Rathäusern – wie hier geschehen, denn wer die Dienste des Sozialamts braucht, wird in der Stadt nicht mehr fündig, muss dafür in die Kreisstadt fahren -, die gerade für die wichtig sind, die sich die oft exclusiven Leistungen nicht leisten können, oft auch gar nicht brauchen, die a priory hier gesetzt worden sind, sollte kleine Brötchen backen, wenn dann der Humus des Hasses auch hier größer wird, als das man ihn noch leugnen könnte. Diese Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Politik mag ja bequem für Räte und Verwaltung sein, aber kann sich schnell als unbequem für die Demokratie herausstellen.

Das Alles rechtfertigt nicht die Tat, erklärt sie individuell auch nicht ausreichend, aber erklärt schon mit, warum so viel individueller Hass entstanden ist, warum er immer größer wird. Eine Politik, von Verwaltungsmenschen meist gemacht, von uninteressierten Basen getragen, nur für die Interessen Weniger, welche nicht mehr das Gemeinwohl, und damit alle Menschen im Blick hat und haben, eine Politik der Null, des Sparen an dem, was den Zusammenhalt einer Gesellschaft erst ermöglicht, das Soziale nämlich, eine Politik, die Kultur nur für die begreift, die sich Kultur auch leisten können, andere davon sogar bewusst ausschließt, kann gar keine andere Folgen haben, als Politikverdrossenheit und Ventile dafür, die sich auch im Hass entladen.

Demokratie fängt in der Kommune an und hier endet sie auch, denn hier leben die Menschen und nicht in den Wolkenkuckucksheimen der Hannoveraner, Berliner und Brüsseler Parlamenten oder in den Parteizentralen von SPD, Grünen, CDU, CSU, den Elfenbeintürmen der Wirtschaftsverbände und ihrer Konzerne und der ihnen oft mehr zugeneigten Gewerkschaften als der gemeinen Bevölkerung. Hier nämlich in den Kommunen, an den Lebensumständen der dort lebenden Bevölkerung, an den eigenen Lebensumständen vor allem, macht der Mensch den Nutzen der Politik fest, den Nutzen letztendlich auch, den der Mensch aus der Demokratie ziehen kann. In den Kommunen zeigt sich deshalb, wie viel Qualität die Politik wirklich hat, wie gut sie war, wie gut sie ist.

Nicht nur dieser Vorfall (nicht der Erste und ich fürchte, wohl auch nicht der Letzte hier) zeigt mir allerdings, dass es mit der Qualität derzeit nicht sehr weit her ist, nicht nur hier bei uns.

Bleibt die Hoffnung, dass sich das nun ändern könnte nach der Wahl des neuen Bürgermeisters. Klein ist sie zwar, aber noch ist sie da. Was bleibt denn auch anderes, als zu hoffen, dass diese kleingeistige Politik endlich einmal ein Ende findet, dass Verstand wieder die Oberhand gewinnt über ökonomische Theorien von einem Wohlstand, der immer weniger den Wohlstand Aller im Blick hat, haben kann, weil Märkte nämlich auch nichts anderes zulassen.

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Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

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