Und jetzt: Corona digital

Der Lockdown und die Kontaktbeschränkungen haben die Menschen in die digitale Welt gezwungen, und so gab es neben vielen Toten und langfristig Geschädigten auch einige Gewinner:innen: Onlinehandel, Masken- und Impfstoffproduktion und die Digitalisierung an den Schulen. Kinder haben teilweise Medienkompetenzen errungen, und die Schulen und Lehrkräfte wurden ebenfalls im Umgang mit digitalen Werkzeugen geschult. Jetzt lockern sich langsam die Kontaktbeschränkungen, Reisewarnungen werden aufgehoben und Homeschooling und -working werden wieder zurückgefahren. Was haben wir noch aus dieser Pandemie an positiver Entwicklung mitgenommen?

Neulich kam mir der Gedanke, ob nun ein „digitales Corona“ eine Möglichkeit wäre, auch einmal den Spieß umzudrehen und unsere Kompetenzen in andere Richtung zu stärken? Und das ganz ohne Tote! Es kursieren viele Viren für PCs, Notebooks und vor allem Smartphones, sodass der Gedanke sich jederzeit von allein einstellen könnte: Ein Virus bedroht die digitale Infrastruktur weltweit, und wir wären gezwungen, das Internet weitestgehend abzuschalten. Oder ein Sonnensturm legt weltweit Schaltkreise und digitale Infrastruktur längerfristig lahm. Das sind keine unwahrscheinlichen Szenarien, und auch hiervor wird seit Jahren gewarnt, wie es auch vor einer weltweiten Pandemie der Fall war, aber Vorkehrungen gab es kaum (wie wir ja nun alle deutlich erfahren durften).

Aber wie wäre es mit einem freiwilligen Lockdown? Damit meine ich vor allem (un)sozialen Medien, Onlinespiele, Unterhaltungsplattformen, Videostreams und Messenger, aber teilweise auch als kritisch eingestufte Infrastruktur wie den Hochfrequenzhandel der Börsen! Zum einen könnten wir Strategien entwickeln, was im Falle eines erzwungenen Ausfalls zu kompensieren ist und welche alternativen Optionen nutzbar zu machen wären. Zum anderen wäre eine Stärkung des sozialen Miteinanders eine unmittelbar zu erwartende Folge einer zeitlich beschränkten Abschaltung der Dauerberieselung durch Katzenvideos, Lifestyletipps und Verschwörungstheorien, dem Hinterherjagen nach schnellem Geld, der oberflächlichen Berieselung mit Smileys und Memes und dem grenzenlosen Konsumwahn als Ausdruck unbefriedigter Selbstwahrnehmung. Oder um es mit den Worten des unlängst verstorbenen Peter Lustig zu sagen: „Abschalten!

Rausgehen und mit den Leuten in persönlichen Kontakt treten, Freunde treffen und Verwandte besuchen. Sport machen, sich mit Bekannten oder Fremden zum Boulespielen treffen oder einfach nur die Gegend erkunden. Sich einen Haufen Zeit nehmen, um die Dinge einfach mal mit anderen Augen zu betrachten: Blumen und Bäume, Tiere und Insekten, Männer und Frauen, Werbetafeln und Ladenbeschriftungen, den Himmel und die Wolken. Es ist keine neue Erkenntnis, dass die digitale Dauerberieselung kaum Platz zur persönlichen Entfaltung und Entwicklung lässt. Das Hamsterrad, welches uns scheinbar keine Zeit für Freizeit lässt, ist nicht selten selbst gemacht: diesem Kanal hier folgen, diese Serien da schauen, die Profile diverser Menschen verfolgen, die wir niemals persönlich kennenlernen werden, meinen Hass und meine Wut über andere in die Welt rotzen und Dislikes säen, wo persönlicher Kontakt so viel mehr bereichern würde. Wir definieren uns allzu häufig über das, was wir meinen, über andere zu wissen, anstatt mehr über uns selbst erfahren zu wollen (Gott bewahre!). Die digitale Globalisierung überfordert viele Menschen, und das wiederum bringt Menschen dazu, sich die Welt zu simplifizieren: Verschwörungstheorien, Ausländerfeindlichkeit und schnelles Geld haben Hochkonjunktur!

Klar, wer hat nicht die Faxen dicke von „Corona“ (außer der nimmersatten Industrie und dem Onlinehandel)? Da mit einem „digitalen Corona“ um die Ecke zu kommen scheint der absolut falsche Moment zu sein. Aber wann bitte ist der Moment, an dem wir unseren digitalen Dauerstress und unseren maßlosen Wachstums- und Konsumwahn überdenken wollen? Sie sind es gerade, die uns daran hindern, einmal einen Schritt zurückzutreten und die Situation zu reflektieren. Wir bringen die Welt ökologisch und sozial an den Abgrund und merken es selbst kaum, weil wir uns selbst in diesem Teufelskreis befinden, ihn selbst mit befeuern und verstärken. Okay, ich befeuere dieses Hamsterrad auch gerade und predige dabei den Verzicht oder zumindest den maßvollen Umgang mit eben auch diesem Medium.

Am besten setze ich mich nun mal hin und schaue, was man mit einem Virenbaukasten aus dem Darknet nicht so alles selbst auf den Weg bringen kann … ;)

Print Friendly, PDF & Email

Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

Schreibe einen Kommentar