Es gibt kein richtiges Leben im falschen

Transformation passiert häufig schrittweise und nicht durch eine Revolution. Viele Dinge in unser aller Leben ändern sich, und die Veränderungen geben manchen Menschen auch Grund zur Hoffnung: Autos fahren elektrisch, der Konsum von Bioprodukten steigt seit Jahren, und in vielen Ländern setzen sich demokratische Prozesse durch. Aber was ist, wenn all diese Veränderungen keine wirklichen Entwicklungen sind, sondern nur ein Verschieben der Probleme? So scheint es mir bei vielen grundlegenden Dinge zu sein.

Vielleicht hast Du Dich auch mal genauer informiert, ab wann ein Elektroauto wirklich umweltschonender ist als ein mit Benzin oder Diesel betriebenes Fahrzeug. Die Antworten sind ernüchternd, denn am Ende werden wieder von überall auf der Welt seltene Erden und Metalle dem Boden entrissen, oft unter erbärmlichen und lebensgefährlichen Umständen. Die Fahrzeuge müssen hergestellt und um die halbe Welt transportiert werden, sie produzieren ebenfalls tödlichen Feinstaub beim Bremsen, und wenn ich von ihnen überrollt werde, dann kann es mir egal sein, womit der 2-Tonnen-Koloss angetrieben wurde (es werden immer mehr SUVs verkauft, weil man ja unbedingt zwei Tonnen Stahl benötigt, um 75 kg Lebendgewicht zu transportieren). Kurz: Individualverkehr mit motorisierten Fahrzeugen ist auch in der elektrischen Form ein zerstörerisches System.

Die Massenhaltung von Tieren, die mit einem Tierwohl- oder Biosiegel versehen sind, ist in der Aufzucht ebenso futterintensiv wie in der konventionellen Haltung (denn die Tiere müssen das X-Fache an pflanzlicher Nahrung zu sich nehmen, um eine verhältnismäßig geringe Menge an Fleisch daraus zu erhalten). Das Getreide benötigt entsprechend ein Vielfaches an Fläche und muss wieder durch die halbe Welt gekarrt werden, um die Tiere damit zu mästen (genau wie die Bioananas, -avocado, -paprika, -banane, -chia oder sogar Salz vom Himalaya,  was wir alles aus reinem Luxus auf Kosten der Umwelt durch die Welt karren). Die Kühe furzen genauso viel Methan in die Atmosphäre, und auch in der Bioaufzucht ist der Einsatz von Antibiotika erlaubt. Und auch wenn das Leben in der Massenaufzucht bei Tierwohl- und Biosiegel mit ca. 10 % mehr Platz etwas luxuriöser scheint, so bleibt es Massentierhaltung unter oft erbärmlichen Umständen, und am Ende steht der Gang zum Schlachthof, wo die Tiere zu Tausenden abgeschlachtet werden. Kurz: Fleischkonsum ist ineffizient und kostet Millionen von Leben weltweit, Tag für Tag.

Ich habe schon öfter gehört, dass „Demokratie nicht unfehlbar ist, aber es sei das beste uns bekannte System für eine politische Willensbildung“. Bullshit! Wir gehen einmal alle vier Jahre zur Wahl, da wird einem das Blaue vom Himmel versprochen, und am Ende bestimmen Lobbyisten im Interesse global agierender Konzerne das politische Geschehen. Wie sonst kann man die Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte erklären?

Leider kann man das politische Versagen auch global kaum anders interpretieren, denn die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Klimaveränderungen sind lächerlich. Das Gleiche gilt auch für die Bestrebungen nach Frieden und die Eindämmung der sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeit. Der Konsum und das Wachstum, die Antriebsmotoren einer boomenden Wirtschaft, nur damit einige wenige mehr Geld anhäufen kann, als man in hundert luxuriösen Leben ausgeben könnte. Und anstatt dass der ausgebeutete Teil der Gesellschaft sich darüber ernsthaft echauffiert und Änderungen zu fordern, versuchen die Menschen, sich über den Konsum von Fast Fashion, Technikspielzeugs und To-go-Kultur zu definieren.

Und Großmächte wie Russland, China und die USA nehmen sich, was sie wollen, starten Angriffskriege und unterdrücken ganze Volksgruppen, weil man den internationalen Gerichtshof einfach nicht anerkennt oder ein Vetorecht hat, dass eine Anklage dieser Großmächte faktisch ausschließt. Wir lassen die vermeintlich Starken agieren, uns durch Gewaltandrohungen, Verlustängste und künstliche Verknappung in eine Art existenziellen Notbetrieb versetzen und sehen so nur noch unser eigenes Hamsterrad. Und wenn jemand kommt und grundlegende Änderungen im Interesse aller fordert (Individualverkehr einschränken, Fleischkonsum verringern oder Waffenbesitz verbieten), dann lassen wir uns von Hetzern aus Politik und Medien einreden, dass wir in einer Verbotskultur leben und man uns das letzte Stück Freiheit nehmen möchte (obgleich die Freiheit bereits darauf reduziert ist, ein paar Kreuze alle vier Jahre auf einen Wahlschein zu machen).

Veränderungen kommen stückweise, in den letzten Jahren aber all zu oft in die falsche Richtung, hat man das Allgemeinwohl im Sinn. Ich denke, ohne radikale Änderungen an der politischen Willensbildung und der Beschneidung von Macht durch Kapital und Konzerne wird diese Welt, unsere aller Welt, weiter dem Verfall entgegenstreben, und am Ende wird es Milliarden Tote geben, die wir leicht hätten verhindern können …

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

Theodor W. Adorno (11. 9. 1903 bis 6. 8. 1969)

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Dirk

Jahrgang 1974, in erster Linie Teil dieser Welt und bewusst nicht fragmentiert und kategorisiert in Hamburger, Deutscher, Mann oder gar Mensch. Als selbstständiger IT-Dienstleister (Rechen-Leistung) immer an dem Inhalt und der Struktur von Informationen interessiert und leidenschaftlich gerne Spiegel für sich selbst und andere (als Vater von drei Kindern kommt dies auch familiär häufig zum Einsatz). Seit vielen Jahren überzeugter Vegetarier und trotzdem der Meinung: „Alles hat zwei Seiten, auch die Wurst hat zwei!“

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