Zurzeit befindet sich die AfD ja in einem Umfragehoch. Und vonseiten der CDU in Person von Friedrich Merz kommen (natürlich) absurde Theorien, warum das so sei: Das Gendern sei daran schuld (s. hier). Da die Lage aber reichlich ernst ist, sollte man vielleicht mal besser schauen, was denn wirklich die Gründe sein könnten.
Bundesweit wird die AfD zeitweise als zweitstärkste Partei hinter der CDU gehandelt, und in Thüringen liegen die Blaubraunen sogar an erster Stelle, so zumindest eine Umfrage von Infratest dimap für den MDR:
Was man dazusagen muss: In Thüringen ist der Landeschef der AfD Björn Höcke – also nicht irgendein „Gemäßigter“ oder sich bürgerlich Gerierender, sondern eine waschechter Hardcore-Rechtsaußen.
Sind das also alles Rassisten, Neonazis und anderes rechtsextremes Volk, die da nun AfD wählen würden? Zumindest scheinen das Menschen zu sein, die keine Berührungsängste mit offen geäußertem rechtsradikalen Gedankengut haben. Schlimm genug, wie ich finde, aber eben leider auch typisch für unsere Zeit bzw. unseren Zeitgeist, der beständig Wasser auf die Mühlen der AfD kübelt, wie David Goeßmann in einer lesenswerten zweiteiligen Analyse auf Telepolis (Teil 1 und Teil 2) feststellt.
Deswegen ist das ja auch kein rein deutsches Phänomen, denn ein Rechtsruck bzw. Rechtsextremisten/-populisten an der Regierung, das findet und fand sich ja leider in vielen Ländern in den letzten Jahren: USA, Brasilien, Italien, Polen, Ungarn, Österreich, Großbritannien … Und selbst im liberalen Skandinavien werden rechtsextreme Parteien immer stärker, genauso wie in Frankreich die nächste Präsidentin durchaus Marine Le Pen heißen könnte.
Zusammengefasst kommt Goeßmann zu dem Schluss, dass zum einen das neoliberale Wirtschaftssystem, das zunehmend größere soziale Verwerfungen produziert, Rechtsextremen zugutekommt, da diese von Verunsicherung und Angst, die sie dann gern noch auf irrationale Weise weiter schüren, profitieren. Wenn ihnen dann noch immer wieder die Möglichkeit gegeben wird, nicht nur Sündenböcke (die mit den eigentlichen Missständen wenig bis gar nichts zu tun haben) zu benennen, und dieser Quatsch dann auch noch schön in vielen Medien verbreitet wird, dann schlägt sich das eben irgendwann in Wählerzustimmung nieder.
Dass die AfD ein neoliberales Projekt ist (weswegen es eben auch den eben benannten Support von neoliberalen Medien gibt), habe ich ja bereits 2016 in einem Artikel beschrieben. Es geht dabei m. E. vor allem darum, die zunehmend größere Gruppe von Unzufriedenen und Verängstigten davon abzuhalten, systemkritisch zu werden, sodass ihnen quasi eine Art „Ventil“ in Form der AfD geliefert wird. Das erklärt dann auch, warum nach eigenen Angaben so viele die AfD „aus Protest“ wählen. Und so kommt es dann zu derart absurden Meldungen (Quelle):
Denn dass die AfD nicht gerade ein Herz für arme Menschen und Arbeitslose hat, sollte sich ja eigentlich mittlerweile rumgesprochen haben. Zumindest findet man ständig Belege dafür in den sozialen Medien:
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Kennt Ihr den wunderbaren Film „The Bandshees of Inisherim„? Darin geht es um die zwei Iren Colm und Pádraic, die Freunde sind – bis Colm die Freundschaft von jetzt auf gleich für beendet erklärt. Da Pádraic das nicht so recht einsehen will, untersagt Colm ihm, ihn weiterhin überhaupt auch nur anzusprechen – andernfalls würde er sich selbst immer einen Finger abschneiden. Was für ihn als Geiger nicht so richtig prickelnd ist.
So ähnlich wie Colm kommen mir die AfD-Wähler vor, die selbst arbeitslos sind, Abstiegsängste haben oder in Altersarmut leben …
Dabei sind AfD-Anhänger rational auch gar nicht mehr zu erreichen, denn wenn man sie mit solchen wie den obigen Tatsachen konfrontiert, dann wird darauf meistens mit einem höhnischen Lachsmiley und vielleicht noch einem „Stimmt nicht“-Kommentar (natürlich ohne jeden Beleg) reagiert. Es kann für diese Leute also nicht sein, was nicht sein darf. Umso wahnwitziger, dass eigentlich alle anderen Parteien seit Jahren weiter nach rechts rücken, diesen Menschen zuhören und ihre Sorgen ernst nehmen wollen, um sie dann vielleicht wieder als Wähler zurückzugewinnen von der AfD.
Aber wie soll man Menschen ernst nehmen, die jede ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung verweigern? Und wie soll man sich um deren Sorgen kümmern, wenn diese offensichtlich gar nicht relevant für ihre Parteipräferenzen sind?
Was nun noch hinzukommt: Diese entpolitisierten Bürger, die offenbar einen Großteil der AfD-Wählerschaft (neben den Rechtsextremen) ausmachen, bekommen nun quasi Bestätigung durch die aktuellen Wahlumfragen. Und fühlen sich dann trotz ihrer ganzen (teilweise bewusst geschürten und damit oft genug irrationalen) Ängste und Sorgen ein Stück weit besser, weil sie sich nun auf der Gewinnerseite wähnen. Wenn schon im Leben so viel schiefläuft und eine große Krise die andere jagt, dann will man wenigstens am Wahlabend und bei der Veröffentlichung von Wahlprognosen mal Grund zum Jubeln haben.
Ich glaube, dass das ein nicht unerheblicher Aspekt ist. Zumal solche Umfragen ja ohnehin nicht nur das Wahlverhalten abbilden, sondern auch beeinflussen, wie beispielsweise der Statistiker Gerd Bosbach in einem Artikel auf Zeit Online schon 2017 festgestellt hat. Klar, wer den Eindruck hat, dass die bevorzugte Partei sowieso chancenlos ist, der geht dann oftmals gar nicht erst hin zur Wahl. Wer hingegen sieht, dass die eigene Partei gut dasteht und vielleicht sogar am besten von allen abschneiden könnte, der wird ganz anders motiviert sein.
Das müsste denjenigen, die diese Umfragen ständig veröffentlichen, doch eigentlich auch bewusst sein. Insofern muss man wohl davon ausgehen, dass bei aller vorgespielten Empörung bei vielen Medienschaffenden durchaus gern gesehen wird, dass die AfD bei Wahlen zulegt. Oder mal etwas provokant formuliert: lieber rechtsradikal und neoliberal als systemkritisch.
So kriegt man nun diejenigen, die sich als Protestwähler sehen, dazu, nicht gegen das bestehende System und dessen Repräsentanten zu votieren, sondern vielmehr für „Weiter so, aber noch mehr davon“ zu stimmen. Das ist schon ziemlich raffiniert, finde ich.
Und da die CDU immer weiter nach rechts abdriftet, und zwar sowohl personell (Friedrich Merz als Vorsitzender, Carsten Linnemann als Generalsekretär und Tilman Kuban als Lautsprecher) als auch inhaltlich, werden dann demnächst wohl die Protestwählerstimmen über die AfD in die Regierung geholt. Vermutlich auf Bundesebene in zwei Jahren, vielleicht vorher schon auf Landesebene.
Und da wird es dann richtig übel, vor allem im Hinblick auf das riesige Menschheitsproblem der Klimakrise, die sich immer mehr zur Klimakatastrophe auswächst.
Wer „The Banshees of Inisherim“ noch nicht gesehen hat, dies aber noch möchte, der sollte jetzt wegen Spoilerei nicht mehr weiterlesen. Colm hatte am Schluss keine Finger mehr, sodass sein destruktiver Protest ihm sein geliebtes Geigenspiels verunmöglicht hat. Pádraics geliebter Zwergesel war deswegen auch tot und Colms Haus abgebrannt. Eine ziemlich treffende Parabel, auch wenn die Macher des Films die AfD-Wähler wohl eher nicht im Kopf gehabt haben dürften …
Danke für die sehr informativen Grafiken und der leicht verständlichen Einordnung des neoliberalen Agierens der AfD. Klingt ja eigentlich ganz schlüssig und ich wundere mich auch, wie Menschen so gegen ihre Interessen wählen. Das Argument, dass unreflektierte Wähler:innen dann meinen auf das vermeintlich „richtige Pferd“ gesetzt zu haben, scheint leider auch nur allzu treffend. Ich denke, aus dem gleichen Grund gibt es so viele FC Bayern Fans ;)
Leider vermute ich, dass unsere Großparteien gar kein echtes Interesse an einer Erhöhung einer Wähler:innenbeteiligung haben. Warum ein Konzept wie der „Partizipative Haushalt“ (Bürgerbeteiligung) z. B. in Hamburg existiert, aber es praktisch kaum jemand weiß, kann eigentlich nur politisch motiviert sein. Es scheint so, als wären viele politischen Eliten eben mehr am Machterhalt interessiert, als daran Kompromisse durch echte Debatten zu finden oder eben ihre Macht an das Volk abzugeben. Und das Volk scheint mehrheitlich auch wenig daran interessiert zu sein zu partizipieren, weil bockig wählen (was mit Protest inhaltlich wenig zu tun hat) viel einfacher ist (wenn denn überhaupt wählen gegangen wird).
Wie geht es also wieder in Richtung einer Demokratie (systemkritisch?), in der sich Bürger:innen beteiligen anstatt unreflektiert eine Partei zu wählen, weil der Wort „Alternative“ darin vorkommt? Dazu sollten Bürger:innen erst eimal die Möglichkeit erhalten sich „effektiv“ einsetzen zu können (Bürgerbeteiligung). Eine zentrale Rolle kommt sicherlich der Politik zu, die Entscheidungen im Interesse der Menschen anstatt der Konzerne treffen, aber die Damen und Herren scheinen sich häufig lieber mit ihrer „persönlichen Außenwirkung“ zu beschäftigen, wie völlig nutzlose Instagramkonten und Facebookprofile zeigen (welche ich, zugegebener Maßen, nur aus dem Kabarett kenne).
Ich bin da leider zu wenig im Thema, denn ich versuche lokal in meinem direkten Umfeld zu wirken und setze wenig auf das anonyme und unverbindliche Internet. Auf jeden Fall würde ich das Buch „Im Grunde gut“ von Rudger Bregman empfehlen, um ein positiveres Menschenbild zu entdecken und eine ganze Reihe von positiven Ansätzen zu finden, wie man selbst sein eigenes Leben und das direkte Umfeld in eine sozialere und tatsächlich auch schönere Lebenswelt transformieren kann. Mit Trotz und Passivität wird es auf jeden Fall wohl nicht besser mit unserem politischen Disaster in Deutschland …