Argumentationsresistenz – kein nur auf Pegida und Co. beschränktes Phänomen

Immer wieder liest und hört man ja von verzweifelten Menschen, deren Versuche, mit Anhängern von Pegida, AfD, NPD oder anderen rechtsextremen Bewegungen und Gruppierungen zu diskutieren, komplett ins Leere liefen, da einfach die Bereitschaft fehlte, sich überhaupt mit vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen. Es herrschen verfestigte Weltbilder vor, alles, was diese unterstützt, wird unkritisch übernommen, was hingegen eine andere Sichtweise darstellt, wird sofort abgelehnt, ohne inhaltlich überhaupt auch nur darauf einzugehen. Leider musste ich in der letzten Woche feststellen, dass sich dieses Diskussionsverhalten nicht mehr nur auf deutschtümelnde Rechtsausleger beschränkt, sondern mittlerweile auch bei anderen Themen zur gängigen Praxis zu gehören scheint.

Da war zum einen die Diskussion um die Nominierung des NDR von Xavier Naidoo als Sänger, der beim Grand-Prix d’Eurovision Deutschland vertreten soll. Nun kann ich generell weder mit dem einen noch dem anderen was anfangen, sodass mir das Thema eigentlich gepflegt am Allerwertesten hätte vorbeirauschen können, allerdings entspannen sich da bei einigen meiner Facebook-Freude schon merkwürdige Diskussionen.

Musik ist immer eine Geschmacksache, aber bei Naidoo geht es halt um mehr, nämlich um Texte von ihm, die man ohne viel Fantasie  als schwulenfeindlich und mit ein wenig Fantasie auch als antisemitisch deuten kann. Zudem ist er ja auch schon bei den sogenannten Reichsbürgern aufgetreten (s. dazu hier einen Zeit-Artikel) und hat sich dort von zumindest einem NDPler Applaus spenden lassen und hat mehrfach geäußert, dass Deutschland kein souveräner Staat sei, sondern vielmehr eine „BRD GmbH“ – bei Rechten eine durchaus verbreitete Ansicht. Also alles Gründe, Naidoo nicht gerade als geeigneten Repräsentanten für Deutschland bei einem Schlagerwettbewerb zu empfinden.

Duch die Fronten waren vonseiten der Naidoo-Fans augenblicklich verhärtet (zumindest bei den Diskussionen, die ich mitbekommen habe), da wurde alles abgestritten und stichhaltige Argumente wie „Ihr seid ja alle nur neidisch auf seine tolle Stimme“ vorgebracht. Na ja, das mit der Stimme ist nun auch wieder Geschmacksache, ich finde die beispielsweise reichlich grausig, aber solche Einwände zählten nicht: Xavier Naidoo ist ein toller Sänger. Punkt! Und alles andere ist ja nur erlogen gegen ihn. Punkt! Und trotzdem! Punkt!

Tja, und mittlerweile gibt es dann ja auch genug Promis, die sich für Naidoo starkmachen (Til Schweiger, Michael Mittermeier und Marek Lieberberg zum Beispiel), und auch hier ist es dieselbe Leier: Da heißt es dann nur, dass der Xavier ja ein super Typ wäre, dass dieser Shitstorm gegen ihn voll gemein und an den Vorwürfen nichts dran wäre. Aber Naidoos Texte bestehen nach wie vor, und bei den Reichsbürgern war er ja nun auch …

Ganz Ähnliches erlebe ich derzeit auch bei der Diskussion um die Olympia-Bewerbung der Stadt Hamburg. Am Wochenende steht hier ja nun das Referendum dazu an, und dementsprechend kommt das Thema zurzeit öfter mal aufs Tableau. Eine Menge guter Gegenargumente gibt es ja (s. dazu den entsprechenden Artikel auf unterströmt, dort vor allem die Links), doch diese werden in der Regel von den Befürwortern einfach beiseitegewischt mit dem Verweis darauf, dass diejenigen, die diese vorbringen ja sowieso keine Ahnung hätten, und außerdem wären ja viel mehr dafür, und da werden dann auch gern mal Verbände genannt, bei denen das nicht der Fall ist. Wenn man dann hingegen eine entsprechende Äußerung als Zitat bringt, die das Gegenteil belegt, dann wird darauf nicht mehr eingegangen.

Auch Erfahrungswerte der letzten Olympischen Spiele werden grundsätzlich als irrelevant abgetan, stattdessen wird auf die Versprechen des Hamburger Senats verwiesen, die als absolut festgeschrieben Zukunft genommen werden. Dass es damit jetzt schon hapert, wie man an dieser zehnminütigen Sendung sport inside vom WDR (zurzeit leider nicht in der Mediathek verfügbar) sehen kann, in der beschrieben wird, dass das Finanzkonzept zum Abstimmungszeitpunkt eben noch überhaupt nicht steht und dass der Bund bisher auch die 6,2 Mrd. Euro Zuzahlung, von denen Hamburg ausgeht, nicht zugesagt hat, ist da vollkommen egal. Olaf Scholz sagt, dass das so sein wird, und dann ist das auch so – basta! Mal zur Erinnerung am Rande: Das ist der gleiche Olaf Scholz, der als maßgeblicher Mitgestalter der Agenda 2010 auch behauptet hat, private Rentenversicherung wäre der Königsweg, um Altersarmut vorzubeugen …

Auch die persönlichen Vorwürfe dürfen nicht fehlen, wenn die Argumente ausbleiben oder nicht gegen die vorgetragenen Standpunkte, die gegen Olympische Spiele in Hamburg sprechen, ankommen. So durfte ich mir zum Beispiel unterstellen lassen, ich hätte etwas gegen Behinderte, nur weil ich meinte, dass nach den Olympischen Spielen ja noch die Paralympics kämen, bei denen es dann noch mal ähnliche Einschränkungen für die Hamburger Bürger geben dürfte. Es werden Allgemeinplätze heruntergebetet („Olympia ist super für die Stadt!“, „Das ist doch ein tolles Ereignis!“ usw.), die dann aber bei näherem Nachfragen auch nicht wirklich mit Inhalt gefüllt werden können. Und es werden absurde Behauptungen aufgestellt, so zum Beispiel, dass die Olympiagegner in der Broschüre, die den Abstimmungsunterlagen beiliegt, mehr Platz eingeräumt bekommen hätten als die Befürworter – mal vom Parteienteil, bei dem sechs Seiten pro von SPD und CDU, eine Seite neutral von den Grünen und eine Seite kontra, die noch zwischen Linken und AfD aufgeteilt wurde, abgesehen, sind das genau acht Seiten mit Argumenten für Olympia und acht Seiten mit Argumenten dagegen. Selbst der Hinweis darauf, dass acht Seiten nicht mehr als acht Seiten waren, wird dann ignoriert und weiter behauptet, die Olympia-Gegner hätten da ja auch mehr Platz. Wie will man mit solchen Menschen noch diskutieren?

Genau dieses Diskussionsverhalten kennt man ja bisher vor allem von Pegida, AfD und Co., für die Vorurteile und Gerüchte als Fakten zählen, Tatsachen dann aber sofort abgebügelt und notfalls mit „Lügenpresse“ verunglimpft werden. Die Meinung steht, und von der lässt man sich auch nicht abbringen. Unstimmigkeiten, Tatsachenverdrehungen und auch dreiste Lügen und Fälschungen werden für bare Münze genommen, wenn sie das eigene Weltbild stützen, Aussagen, die solche Unwahrheiten dann widerlegen, werden bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls mit Pöbeleien und Beleidigungen gekontert, da argumentativ eben nicht viel zu holen ist.

Was allen drei Themen gemeinsam ist, ist die Emotionalität, mit der die Leute dabei sind: Bei Naidoo-Fans ist das naheliegend, weil Fansein eben über Emotionen und Zuneigung läuft, und bei Olympia scheinen viele auch so eine Art Fanhaltung angenommen zu haben: Man will halt sein Event und freut sich drauf, und das will man sich nicht mit unangenehmen Infos kaputtmachen lassen. Auch die positiven Gruppengefühle, die viele noch vom patriotischen Taumel bei den letzten Fußball-WMs und -EMs im Gedächtnis haben dürften, spielen da mit Sicherheit mit rein, so was will man noch mal erleben, denn da konnte man ja den beschissenen Alltag mal eine Weile vergessen. Und bei den Rechtsdeppen ist es ganz ähnlich, nur dass da die bestimmende Emotion eben nicht positiv, sondern negativ, nämlich Angst, ist: Angst vor dem Unbekannten, Neuen, Angst, etwas abgeben zu müssen, Angst vor neuer Konkurrenz, gegen die man nur schwer bestehen kann, Angst, die von unverantwortlichen Hetzern bewusst in die Köpfe gepflanzt wird.

Allerdings scheint mir Emotionalität als einzige Erklärung für die diskursive Irrationalität noch nicht auszureichen, zumal es ja auch noch eine interessante Parallele gibt: Die Politik handelt in letzter Zeit oft genauso, nämlich streng nach dem Motto „Weiter so!“, auch wenn gute Argumente und eindeutige Erfahrungen dagegensprechen. Nur mal zwei Beispiele:

Dass die Austeritätspolitik gescheitert ist, kann jeder sehen, der einen Blick auf die Länder wirft, die dieser Politik ausgesetzt waren: Die Wirtschaft brach zusammen, die Menschen verarmten, soziale Sicherungssysteme wurden geschliffen, die Staatsverschuldungsquote, die ja eigentlich dadurch gesenkt werden sollte, steig weiter an, Altersarmut und (Jugend-)Arbeitslosigkeit explodierten – und trotzdem heißt es immer nur weiter: „Sparen, sparen, sparen!“ Das ist auch nicht im entferntesten rational, zumal es ja genug kluge Stimmen gab, die schon vor Jahren darauf hinwiesen, dass diese Politik nicht die gewünschten Effekte bringen würde (das konnte man ja auch schon damals am Ende der Weimarer Republik sehen, wo eben die Austeritätspolitik von Brüning krachend gescheitert ist). Aber Argumente und Erfahrungen zählen nicht – kommt Euch das beim Lesen dieses Artikels irgendwie bekannt vor?

Und genau dieses Verhalten kann man nun ganz aktuell auch beobachten, wenn es um den Einsatz der Bundeswehr in Syrien geht. Hier sollte einem vor allem die Erfahrung sagen: „Hey, da war doch gerade was mit den Taliban in Afghanistan, das haben wir auf militärischem Wege ja nicht so richtig gut hinbekommen …“ Zweifelsohne muss der Afghanistan-Krieg als massiver Fehlschlag verbucht werden, denn die Taliban sind mitnichten besiegt, sondern erstarken gerade wieder. Genauso wie der sogenannte Krieg gegen den Terror vor allem deutlich mehr Terroristen produziert hat, als es vorher gab. Da nützen auch Aussagen von IS-Kennern oder Drohnenpiloten, dass weitere militärische Aktionen nur zu mehr zivilen Opfern und damit zu weiterer Radikalisierung vieler Menschen führen wird, nichts, genauso wenig wie Vorschläge, doch besser den Ölhandel des IS konsequent zu unterbinden, um deren Hauptfinanzierungsquelle zu kappen, oder aber deren Verbündete wie Saudi-Arabien endlich mal ordentlich auf den Pott zu setzen und nicht weiter zu hofieren oder gar mit Waffen zu beliefern. Argumente werden mit emotional aufgeheizten Statements und Angstmacherei beiseitegeschoben oder gleich komplett ignoriert.

Es ist also kein Wunder, wenn man sich mal das eben skizzierte Gesamtbild anschaut, dass die Diskussionskultur zunehmend verlottert. Die Bereitschaft, Argumenten zuzuhören, diese abzuwägen, seinen eigenen Standpunkt zu überdenken und eventuell dann auch sein Verhalten zu ändern (hiernach möge man auch nur einmal in sogenannten Diskussionsrunden im Fernsehen suchen – ich glaube, man wird nicht fündig), ist eben mittlerweile ein Auslaufmodell geworden – blöderweise eines, was eigentlich für eine funktionierende Demokratie mit mündigen Bürgern unerlässlich ist. Ausgesprochen bedenklich, wie ich finde …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Argumentationsresistenz – kein nur auf Pegida und Co. beschränktes Phänomen“

  1. Bei ZAPP (NDR) lief ein 7:30-minütiger Bericht über die Machtlosigkeit gegen Gerüchte über Flüchtlinge. Letzten Endes ist eben klar: Wer solche Gerüchte in die Welt setzt oder unreflektiert glaubt, der möchte nur seine bereits vorhandenen Vorurteile bestätigt haben. Da nutzen sauber recherchierte Gegendarstellungen und sogar persönliche Aussagen der angeblich Betroffenen überhaupt nichts. Wie hier bei unterströmt leider schon oft bemerkt: Argumente nutzen oft nichts … traurig.

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